Jürg und Susanne Seiler

Der Stempelschneider


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wenn ich zurück bin, muss ich mich voll den Vorbereitungen zum Fest widmen. Panos wird mit den Ranken zurück sein, dann muss ich ihn auf den Markt schicken, damit er alles Nötige noch herbeischaffen kann. Das Fest ist ja nicht nur für die Familie ein Anlass zur Freude, sondern bedeutet auch einen wichtigen Schritt für die Sicherung unserer Zukunft. Ganz besonders bin ich natürlich geehrt, dass Theramenes zugesagt hat, an diesem Fest teilzunehmen. Er ist sozusagen mein Schutzherr, und ein Metöke, auch wenn er wirtschaftlich so gut gestellt ist wie ich, kommt doch nicht immer ohne die schützende Hand eines Athener Bürgers aus.

      Mit Theramenes habe ich aber einen guten Freund, wenn man einen Höhergestellten so bezeichnen darf, der mir auch schon einmal vor Gericht geholfen hat. Damals, als meine Steuern plötzlich verdoppelt wurden und ich mich dagegen wehren wollte, aber nicht wusste, wie ich das tun sollte, hat er meinen Fall aufgegriffen und die Willkür in der Festsetzung der Steuerbeträge vor Gericht gegeisselt. Er war mir auch beigestanden, als ich völlig ungerechtfertigt angeklagt wurde, Silber aus der Prägeanstalt entwendet zu haben. Gerade weil er an diesem Fest anwesend sein wird, ist es ausserordentlich wichtig, dass es ein Erfolg wird, es muss einfach ein grosser Erfolg werden. Dann werden das Glück und die Zukunft meiner Familie in Athen gesichert sein!

      Die Flucht : Athen, 404 vor Christus ̶ Panos

      Ein paar Monate sind seit dem grossen Fest vergangen. Das ganz grosse Glück ist bei uns eingezogen, gleich eimerweise scheinen die Götter ihr Wohlwollen über uns auszugiessen. Seit Theramenes bei uns zu Gast war, werden die noblen Damen mit Schmuck aus Aristons Händen überschüttet, und jedermann scheint einen neuen Siegelring zu brauchen. Mein Herr kann sich der Aufträge kaum erwehren und hat seinen Sohn als Hilfe herangezogen. Dies allerdings war nicht von Erfolg gekrönt. Niko ist zu ungeduldig und offenbar auch zu ungeschickt. Seine Stärken liegen wohl nicht in den kleinen feinen Dingen, sondern eher im Kämpfen und Laufen. Seufzend hat der Meister dieses Unterfangen aufgegeben und dafür mich zu seinem Helfer gemacht.

      Ich wurde zwar nicht als Handwerker erzogen, in Melos hätte ich es mir nicht träumen lassen, dass ich eines Tages Schmuck herstellen und Stempel schneiden würde, aber jetzt fasziniert mich diese Tätigkeit. Es braucht viel Geduld, gute Augen, eine ruhige Hand und ganz exaktes Arbeiten. Das gefällt mir, und ich scheine mich nicht allzu ungeschickt anzustellen, ich wurde sogar von meinem Meister schon gelobt. Natürlich darf ich nur kleinere Dinge tun, alles liegt noch fest in den Händen des Meisters, aber ich mache schon die ersten Schritte auf dem Weg zu dieser Kunst. Wer weiss, vielleicht öffnet sich da der Weg für mich zu seinem Nachfolger.

      Auch bei den Frauen hat sich das neue Glück ausgewirkt. Immer wieder schweben die Klänge von Ismenes oder Phoebes Lyra über unseren Hof. Das Glück scheint so vollkommen zu sein, dass ich meinen Traum schon ab und zu vergesse und mich mit meinem Schicksal abfinde. Könnte ich nicht auch hier die Freiheit erlangen und ein gutes Leben führen? Melos ist ein Traum, aber wenn dort nur Athener, ein paar Olivenbäume und Schafe zu finden sind, was soll ich dort?

      So leben wir alle glücklich in dem neuen schönen Haus, die Geschäfte laufen gut, tagtäglich ergiesst sich wärmender Sonnenschein über unseren Hof, der kleine Olivenbaum in der Ecke treibt neue Blättchen und sogar der alte Feigenbaum neben dem Eingang, den mein Meister eigentlich fällen wollte, überrascht alle mit einer Fülle von Früchten. Jedermann geht zufrieden seinen Aufgaben nach und am Abend versammelt sich die Familie im Vorhof und geniesst die letzten wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne.

      Jeder von uns glaubt, dass dies nun bis zum Ende unserer Tage so weitergehen wird. Haben wir nicht hart dafür gearbeitet, jeder auf seine Weise? Ist unser Herr nicht der unbestrittene Meister seines Fachs, sind seine Arbeiten nicht die besten weit und breit? Wir haben sozusagen das Dach des Glücksolymps bestiegen und können nun ein geruhsames und zufriedenes Leben führen. Das Glück ist aber ein zerbrechliches Gut und dies müssen auch wir erfahren.

      Ich bin auf dem Markt um Oliven zu kaufen. Rund um mich herum ist ein Gewimmel von Händlern, immer wieder versucht einer, mir Dinge anzudrehen, die mein Herr bestimmt nicht will, aber es ist manchmal gar nicht so einfach, einen besonders hartnäckigen Kerl wieder loszuwerden. In einer Ecke ist offenbar ein neuer Stand. Eine grosse Menschenmenge umringt ihn, und das kann nur heissen, dass Händler aus fernen Ländern hier eingetroffen sind.

      Ich möchte auch wissen, was sie Wunderbares anbieten, und versuche zwischen all den Leuten hindurch einen Blick zu erhaschen. Die Händler sind wohl Ägypter oder von noch weiter her. Sie haben dunkle und auch etwas grimmige Gesichter, das aber scheint die Käufer nicht zu verunsichern. Denn was sie anbieten, ist hier selten und daher sehr gefragt: Skarabäen aus einem seltsamen grünen Stein, kleine Figürchen aus Elfenbein, kostbare kleine Kügelchen, die wenn man sie verbrennt, einen herrlich angenehmen Duft verbreiten. Die Waren sind ungeheuer teuer, aber auch dies scheint die Leute nicht abzuschrecken, die Fremden machen gute Geschäfte.

      Ich allerdings kann hier nichts kaufen, ich wende mich ab und schon hat mich das Schicksal ereilt. Der Korbhändler hat mich gesehen. Der Korbhändler ist meine besondere Plage. Vor einiger Zeit brauchte meine Herrin einen Korb, den habe ich diesem Händler abgekauft. Der Korb war von wirklich guter Qualität, so wurde ich etwas später ausgeschickt, um noch einen zu kaufen. Seither ist der Händler überzeugt, dass wir ständig neue Körbe brauchen. Denkt er, wir essen sie auf? Sobald er mich erblickt, stürzt er daher, heftet sich an meine Fersen und preist seine Ware an. Was immer ich sage, scheint nicht in seinen Kopf einzudringen, er verfolgt mich durch den ganzen Markt. Ich versuchte es schon mit: Pass auf, wenn du weg bist, werden deine Körbe gestohlen. Aber auch das nützt nichts, sein Sklave passt ja auf. So bleibt mir jeweils nur die Flucht, denn der Händler ist eher rundlich gebaut und nicht gerade schnell auf den Beinen. Ein guter Sprint zick-zack durch die Menschenmenge ist das Einzige, das mich von seiner Gegenwart befreien kann.

      So suche ich auch jetzt wieder das Heil in der Flucht, und nach kurzer Zeit höre ich sein Keuchen hinter mir nicht mehr, er hat aufgegeben. Nun kämpfe ich mich durch das Gewühl bis zum Stand des Speusippos, der die besten Garne verkauft. Nirgends sonst finde ich nämlich Wolle und Garne mit so intensiven Farben. Hier muss ich mich etwas gedulden, denn ich bin nicht der Einzige, der seine Ware schätzt.

      Plötzlich spüre ich, dass jemand seine Augen auf mich richtet. Ich drehe mich um und lasse meinen Blick über die bunte Menschenmenge schweifen. Tatsächlich, ein Stück weiter, neben dem Stand des Schuhmachers, steht ein Mann, der seine Augen auf mich gerichtet hält. Kaum schaue ich zu ihm hin, fällt sein Blick zu Boden, und er verschwindet hinter zwei zankenden Händlern. War das nicht Lysias, mein Freund aus Melos? Ich wende mich wieder dem Stand des Speusippos zu, warte auf die Gelegenheit, meine Wünsche anzubringen, da raunt mir jemand ins Ohr.

      „Du kennst mich, wir sind beide aus Melos und nur darum will ich dir helfen. Komm zum Friedhof hinter die Grabstele des Peisandros.“

      Ich drehe mich um, aber da sind nur die Menschen, die schon vorher mit mir auf eine Gelegenheit gewartet haben. Die Worte sind aber in mein Gedächtnis eingegraben. Ich will dir helfen. Wozu helfen? Ich brauche keine Hilfe, es geht mir gut! Was soll das? Ein sonderbares Gefühl ist aber da. So kaufe ich schnell, was ich brauche, besorge mir noch einen Olivenzweig und eile zum Friedhof. Wo ist das Grab des Peisandros? Ich wandere auf und ab und plötzliche sehe ich die Stele. Nun lege ich den Olivenzweig auf ein Grab, verbeuge mich, um wie ein Grabbesucher auszusehen, denn irgendetwas warnt mich: Sei vorsichtig. Dann schreite ich langsam zu der Stele. Eine Stimme zischt:

      „Schnell, setz dich zu mir, da in den Schatten.“

      Und wirklich, mein Freund aus Melos ist es, der mich angestarrt hatte. Er sitzt zusammengekauert in der dunklen Ecke zwischen dem Olivenbaum und der Stele. Ich quetsche mich neben ihn, damit wir nicht gesehen werden können.

      „Was soll das?“ frage ich.

      Er hält die Hand hoch.

      „Still, hör zu,“ und flüstert: „Deine Familie ist in grosser Gefahr. Du weisst, ich bin Sklave bei Kritias, daher weiss ich, was dort geschieht. Dein junger Herr trifft sich mit der Tochter des Kritias, ich selbst habe ihn über die Mauer klettern und in den Frauengemächern