Joachim Kath

Der Intellektuelle, der klug genug war, sich nicht dafür zu halten


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Sie nur mal eine Minute oder auch nur 20 Sekunden auf einen gelben Punkt. Dann werden Sie merken, wie Ihre Konzentration nachlässt. Sobald sie an etwas anderes denken, verschwimmen die Konturen des Balles. Wenn Sie ihn unscharf sehen, treffen sie ihn häufiger unsauber. Eine Ball mit dem Rahmen zu treffen statt mit dem Sweetspot, ist nicht ganz so „süß“ für den Ellbogen. Dann kann es sein, dass es Ihr Arm schwer hat und Ihr Gegner leicht.“

      „Wann geht es los mit dem ersten Wahnsinns-Wettkampf?“

      „Heute Abend, unter Flutlicht! Die haben hier am Hotel einen Match-Service für Leute, die keinen Partner haben. Ziemlich praktische Sache. Man muss seine Spielstärke angeben – von Anfänger bis Vollprofi – und dann besorgen die einen Gegner aus der Kategorie, der man angehört.“ „Es gibt nur zwei Stufen?“ fragte ich erstaunt. „Nein, sechs. Ich fühle mich als fortgeschrittener Anfänger, das wäre Gruppe 2, habe mich aber als fortgeschrittener Spieler, also Gruppe 3, eingeschrieben, weil ich etwas lernen will.“ „Ist dass nicht ein bisschen sehr mutig?“ wollte ich wissen. „Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?“ antwortete Jonathan. „Und was ist morgen geplant?“ „Morgen veranstalten die vom Hotel aus ein Gästeturnier um so begehrenswerte Preise wie eine Flasche Champagner oder einen Sonntagsbrunch für Zwei.“ „Große Sache!“ bemerkte ich ironisch. „Erst will ich mal gegen den Dreier gut aussehen!“ steckte sich Jonathan sein Ziel für heute.

      Nun, über das Flutlichtspiel ist zu berichten, dass die Temperatur am Abend angenehm war, aber dass man schon Augen wie ein Luchs haben musste, wenn man die doch viel schwächere Lichtstärke als sie unsere Sonne spendete, kompensieren wollte. „Nicht ohne Grund wird Licht in Lux gemessen“, verkündete Jonathan, der natürlich wusste, dass es nichts mit dem Tier aus der Familie der Katzen zutun hatte, sondern Licht eben auf Lateinisch „lux“ heißt. Der angebliche Dreier entpuppte sich als echter Vierer, also als ein ausgewachsener Fortgeschrittener. Wenn er nicht im zweiten Satz Probleme mit seinem Kreuz, er meinte es seien die Nieren, bekommen hätte, würde Jonathan wohl das Nachsehen gehabt haben. So aber wurde die Partie nach Sätzen unentschieden abgebrochen. Schweißtriefend wankten beide Kämpfer unter die Dusche.

      Übrigens das Gästeturnier am nächsten Tag fiel mangels Teilnehmer buchstäblich ins Wasser, aber nicht weil es regnete, sondern weil die feucht-schwüle Hitze die Touristen an den Strand und ins lauwarme Meer getrieben hatte. Jonathan und ich fuhren stattdessen mit unserem geliehenen Cabrio, Chrylser Le Baron stand am Heck, aufs Festland und dann rechts über die Autobahn 1-395 auf dem Mac Arthur Causeway nach Miami Beach. An den pastellfarbenen Gebäuden des weltberühmten Art Deco Viertels vorbei kamen wir zum Fisher Island Fährterminal.

      „Grundstücksspekulanten wollten dieses ganze Gebiet, eines der größten historischen Kleinodien der USA, aus Geldgier niederreißen und nicht etwa durch ein Wunder, sondern durch den aktiven Kampf kunstsinniger Menschen wurde es schließlich gerettet. Die eigentümliche Atmosphäre hier lässt sich nicht beschreiben, die diese Bonbonfarben und Ornamente auf den Häusern ausstrahlen. Es sind immerhin 960 Bauten, die in den 30er und 40er Jahren so entstanden sind. Damit ist dieses Art Deco Distrikt das zweitgrößte der Welt nach Napier in Neuseeland und sicherlich auch das bekannteste. Dieses besondere Fluidum kann nur an Ort und Stelle erlebt werden. Ich bin immer high, als Ästhet von Kunst und Design jedes Mal tief berührt, wenn etwas außergewöhnlich gut ist, gerade weil es auf das Wesentliche reduziert ist“, kommentierte Jonathan begeistert die Umgebung.

      Fisher Island, Floridas Luxusinsel in privater Hand, ist nur mit der Fähre zu erreichen und wenn man dort nicht Resident ist oder wenigstens ein Appartement oder eine Villa gebucht hat, kommt man gar nicht erst mit. Die Insel ist ein Paradies für Golf- und Tennisspieler, letztere finden dort gelenkschonende Plätze in drei Varianten: grüne Hart-Tru Asche, rote Kleinfeldplätze und als Clou drei Rasencourts. „Wenn die mich schon nicht auf dem heiligen Rasen von Wimbledon antreten lassen, will ich wenigstens mal das Feeling von Gras spüren“, sagte Jonathan mit blitzenden Augen. Weiß der Teufel, wie er die Einladung von einem der Inselbewohner ergattert hatte. Irgendwie hatten sie mal geschäftlich miteinander zutun gehabt und jetzt verlebte der bedauernswerte Mann aus New York seine Millionen vorzugsweise im Fisher Island Club. Das Gästehaus hatte 1925 der Eisenbahnkönig Vanderbilt bauen lassen, der vorher von dem Architekten Carl Fischer die gesamte Insel gegen eine Luxusyacht samt Besatzung eingetauscht hatte.

      „Der Bekannte von mir spielt weder Tennis noch Golf und segelt auch nicht, aber er ist ein ausgewiesener Gourmet und angeblich soll es in dem Club das beste Essen von ganz Florida geben, zumindest aber das teuerste.“

      „Und was macht er, wenn er satt ist?“ fragte ich sozialkritisch, wie es sich für einen Journalisten gehört.

      „Dann“, erwiderte Jonathan, ohne eine Miene zu verziehen, „dann fährt er mit seinem batteriegetriebenen Golf Cart, solche Karren nutzen alle hier, mit der rasanten Höchstgeschwindigkeit von 19 Meilen pro Stunde zu seiner Villa und legt sich aufs Ohr, um wieder fit zu sein, für den 5 Uhr-Tee.“

      „Wie entsetzlich!“ rief ich gespielt schockiert.

      „Ich kenne Aaron Schlesinger seit über zwanzig Jahren. Er ist einer der einseitig begabtesten Leute, die ich bisher getroffen habe. Ein Technikfreak, aber ur in der Theorie. Der war keiner der Jungs, die damals in Steve Jobs Garage den Personalcomputer erfunden haben, überhaupt kein Tüftler und Bastler. Dennoch hat er wahrscheinlich für Silicon Valley mehr getan als alle, die später berühmt wurden, zusammen. Ich weiß nicht, wie viele Patente er besitzt, jedenfalls haben ihn die Computerfirmen immer gerufen, wenn es um kreative Engpässe ging.“

      Aaron Schlesinger begrüßte uns am Eingang zum Club. Ein freundlicher Herr im schwarzen Blazer und weißer Hose, ein Seidentuch um den Hals. So wie man sich einen pensionierten Diplomaten vorzustellen hat, den wir von Aperitif-Reklamen kennen.

      „Es gibt im Club einen phantastischen Sherry, lang in Eichenfässern gelagert“, sagte er.

      Wir sprachen eine Weile über unsere bevorzugten alkoholischen Getränke, der übliche männliche Smalltalk seit Hemingway, bis Jonathan, den so etwas langweilte und ich muss zugeben, dass mich diese Weinkenner mit ihrem Getue auch nerven, die Frage stellte, die ihn interessierte: „Wie siehst du eigentlich die technische Entwicklung im Tennisschläger-Bau?“

      Ich bin sicher, er hätte auch jede andere Frage zu irgendeinem Gebiet stellen können, solange es um Technik ging. Jedenfalls wurde Aaron augenblicklich wach. Visionen waren gefordert. „Was ist das wirkliche Problem?“ fragte er.

      „Das Problem bei Tennisschlägern ist der konstruktive Widerspruch von Power und Gefühl. Die heutigen Wide-Body-Schläger mit ihren großen Köpfen haben viel Geschwindigkeit ins Spiel gebracht, aber sehr viel Ballbeschleunigung bedeutet auch weniger Touch. Selbst der Nichtkönner kann heute bis zur Grundlinie schlagen und darüber hinaus. Letzteres praktiziert er mit Vorliebe.“

      „Was wir brauchen, ist der denkende Schläger!“ wurde ich utopisch.

      „Es gibt noch nicht einmal den denkenden Computer“, wiegelte Aaron Schlesinger ab.

      „Computer können zuverlässiger große Datenmengen speichern als wir, aber für das Denken ist Lernen eine Voraussetzung und auch Phantasie. Im Grunde werden Computer überschätzt“, sagte Jonathan Seyberg.

      „Ich glaube“, sagte Aaron bedächtig, „Tennisschläger haben mit Computern insofern zutun, dass schon seit geraumer Zeit CAD, also Computer Aided Design, auch auf diesem Feld eingesetzt wird. Aber um nicht nur mehr Power, sondern auch mehr Ballkontrolle und Komfort zu erzielen, wird sich auf dem Materialsektor etwas bewegen. Bei den Saiten ist die Entwicklung auf dem Kunststoffsektor vorangekommen. Und auch bei den Rahmen wird die Flüssigkristall-Technologie, werden die sogenannten viskoelastischen Polymere wahrscheinlich dem Graphit den Rang ablaufen. Jeder kennt das Zeug von den Bildschirmen bei Smartphones oder Notebooks. Die Flüssigkristalle können bei Temperaturunterschieden, aber auch bei Druck, blitzschnell ihre Festigkeit verändern. Ein Racket kann also bei weichem Spiel elastisch sein und bei harten Schlägen fester. Es passt sich automatisch an die Spielweise an.“

      „Aber spielen muss man schon noch selbst“, witzelte Jonathan.