Jochen Schmitt

Euskal Herria


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gelingen.

      Am späten Nachmittag wurde er erlöst. Leise und von fern erscholl vielstimmiges Blöken. Dann ergoss sich die Schafsherde ins Dorf. Ibrahim ritt ihr voraus. Sein rechtes Auge war zugeschwollen, sein linkes glänzte in Regenbogenfarben. Ein rotbrauner frischer Schmiss zog sich vom rechten Auge zum Mund Winkel hin.

      Seine Meldung war wie immer bei ihm kurz und bündig.

      „Die Basken wurden voll überrascht. Dennoch kämpften sie wie die Löwen. Die Hälfte meiner Männer trägt ähnliche Blessuren, und Faruk ist einem Schleuderstein begegnet. Wir haben ihn gleich oben bei der Sennerei vergraben.

      Wie immer hat Jan den Kampf entschieden. Wie ein Berserker hat sich der Wende in die Gruppe der Basken gestürzt. Seine Fäuste flogen wie Windmühlen. Sie fällten in sekundenschnelle 8 Basken, alle durch k.o. Er selbst erhielt nicht einen Kratzer Er muss mit dem Sheitan der Slawen im Bunde sein. Allah wird diesem ungläubigen Heiden wohl kaum geholfen haben.

      23 Baskenkrieger führen meine Männer am Seil. Darunter den Kriegshäuptling und zwei Unterführer. Diese drei haben den Überfall auf Sadaba kommandiert. Zwei weitere Basken mussten erschlagen werden. Sie waren nicht zu bändigen. 24 junge Frauen und drei alte Weiber folgen mit 143 Rindern und Kälbern. Ein Trupp aus dem Dorf war mit zwei Karren und Maultieren bei der Melkerei, um den fertigen Käse der ersten Weideperiode abzuholen. Daher waren so viele Dörfler da oben. Mehr als wir erwartet hatten. Ohne Jan und seine Fäuste hätte das schief gehen könne. Beide Karren, mit Käserädern gefüllt, folgten der Rinderherde zu Tal.“

      Der Amir nickte nur. Niemand merkte ihm an, wie froh er über den Sachstand war. Seine Besorgnis war nur zum Teil behoben. Die Beute war noch nicht in Sadaba. Jeden Augenblick konnte ein entschlossener Trupp Basken aus den Nachbartälern hervorbrechen, und den Rückzug zum Desaster machen. Daher befahl er Ibrahim, die Schafe sofort in das Tal weiter zu treiben, bis zum vorbereiten Lager des gestrigen Sklavenzuges. Am Brunnen stehend nahm er die Parade der Schafe ab, und die der sie antreibenden menschlichen Beute. Dann begann das Warten auf die zweite Kolonne.

      Erst im Dunklen strömte diese ins Dorf. Die Rinder soffen die Tränke leer. Dann kamen sie in einem Pferch. Die menschliche Beute wurde in die größte Scheune gesperrt. Die jüngeren Frauen und Mädchen dienten die Nacht hindurch der verdienten Entspannung der erfolgreichen Muslime. So verbrachten die weiblichen Gefangenen ihre letzte Nacht in der Heimat. Für Abdallah, Lauro und ihre Männer gab es dadurch nur eine kurze Erholung. Sie schliefen in dem großen Bauernhof, jenem, zu dem die Scheune gehörte. Das verlangte die Situation. So hatte jeder ein Mädchen neben sich, das ihn warm halten musste. Des Amirs ausgeruhte Krieger übernahmen die Nachtwache, und die körperliche Betreuung der anderen.

      Und wieder im ersten Morgenlicht erfolgte der letzte Auf-bruch. Die nächtens intensiv benutzten Frauen, alle mit dem Halsstrick, trieben schwerfällig schreitend die Herde ins Tal. Dort schlossen sich Ali ibn Assads Krieger des Flankenschutzes an. Mit deren Hilfe gelang es, noch im Abendlicht die Rinderherde bis Sadaba zu treiben. Erst als er hinter ihr als Letzter in den Alkazar einritt, atmete der Amir auf. Niemand konnte das Abderrahman anmerken. Seine kühle Mine, sein regloses Gesicht gaben den Aufruhr nicht preis, unter dem er gelitten. Seine scheinbar gleichmütige Gelassenheit täuschte selbst Ali ibn Assad, den Burg-Kaid von Sadaba, der ja als zweiter Kommandeur die Razzia begleitet hatte. Als sie endlich nach einem späten Abendmahl im Burgfried saßen, und sich heimlich von Bacchus bewirten ließen, hatte Ali den Eindruck, der völlig gelöst dasitzende und seinen Wein genießende Amir sei gar nicht auf einem Raubzug gewesen.

      Der Folgetag verging mit einer endlosen Reihe von Aufträgen und Erledigungen. Die Sklavenkarawane wankte nach Saragossa. Streng bewacht und eilig trabend. Für beides sorgten die muslimische Wachmannschaft und ihre Peitschen. Die Viehherden folgten mit einigem Abstand, wesentlich langsamer, um die Tiere zu schonen, und von sachversändigen Murabitun getrieben.

      Alle männlichen Dorfbewohner der Grenzburg Sadaba, und ein Dutzend Frauen dazu, fuhren und trieben die Schweineherde zum Markt nach Pamplona. Die Karren mit der übrigen Beute gingen denselben Weg. Erst als am späten Nachmittag Ruhe in den Alkazar von Sadaba fiel, bestieg der Amir sein Reittier und ritt in seine Festung Olite zurück. Im erleichterten Herzen den dankbaren Seufzer „Es ist vollbracht“. Des Emirs Anerkennung war ihm sicher.

       ***

      10. Kapitel: Tag des Gerichtes

      Trutzig und abschreckend reckte sich am Ebro, oberhalb der Stadt, der Qal´a oder Alkazar von Saragossa. Dem ausgedehnten Geviert, fünf Meter hohen Mauern, und aus mächtigen Stein Quadern geschichtet, sah man an, dass dies Römerwerk gewesen. Einer ganzen Legion, ihren Kasernen, den Offiziershäusern, den Vorratsspeichern und Lagerhallen, hatte diese Festung durch vier Jahrhunderte als geschützte Heimstatt gedient. Die waren nun allesamt verschwunden. Weggespült nicht vom Rio Gallego oder dem Rio Huerva, die sich hier in Form eines Wasserkreuzes mit dem Rio Ebro vereinigen, sondern vom Laufe der Zeit.

      Die Mauren hatten daraus ihren Alkazar gemacht. Der Innenraum der Festung war zum Schlosspark geworden. An der nördlichen, der Stadtseite lehnte nun der maurische Palast des Emirs. Die Außenmauer im Norden war jetzt die Rückwand seines Wohn- und seines Regierungssitzes. Das Stockwerk darüber bewohnten die Damen seines Harims. Der moderne Neubau sah mit der vornehmen Frontfassade auf den ausgedehnten Vorplatz für öffentliche Anlässe, und auf die dahinter wild wuchernde Kasba, die City dieser Araberstadt. Der Palast nahm die gesamte Front ein, denn zum Ebro hin schlossen sich der Küchentrakt, und dann der Tiraz an. Die Werkstätten des Palastes lagen praktische Weise direkt am Ebro, der ja einer der Verkehrswege war. Vom Ostflügel ging es hinunter in den Hafen und zu dessen lang ausgedehntem Kai.

      An der Außenmauer der Westwand reihten sich die wesentlich kleineren Paläste der Wesire aneinander. Ihnen gegenüber lag das Viertel mit den etwas weniger prunkvollen Häusern der Reichen und nachrangig Mächtigen der Stadt. Die lagen an durchgehenden Straßenzügen von zusammenhängend gebauten kleinen Festungen, wie die arabische Welt sie liebt. Jede war ein kleines Abbild der großen Festung zur Römerzeit. Nach außen verlief jeweils eine Steinmauer, nur durch die massiven Holzbalkentore der Hofeinfahrten unterbrochen. Dahinter, abgeriegelt in den Höfen, wohnten und lebten die Wohlhabenden, umgeben von Bedienteten, Wächtern und Sklaven beiderlei Geschlechts, in ihrem Eigentum.

      Nicht so die Wesire. Deren nach außen offenen Paläste waren Eigentum einer selbständigen Stiftung nach islamischem Recht, so wie die Moscheen und die Bewässerungsanlagen. Alles unterlag aber der Oberaufsicht des Diwans, also letztlich des Emirs, der sie ihnen nur für die jeweilige Amtsdauer zur Verfügung stelle. Daher lag der Palast des Kriegs-Wesirs als letzter. Um die Ecke herum, an der Südwand waren die Kasernen, und das Arsenal mit seinen Werkstätten angebaut. Denen gegenüber folgte das offene Übungsgelände des Militärs, weit im Hintergrund von der eigentlichen Stadtmauer eingegrenzt Auch die war ein massives Relikt der Römerzeit.

      Nur die Ostwand hatte noch ihre alte Funktion. Sie war nur hier zugleich die Stadtmauer. Nackt und kahl ragte sie über dem Ebro in die Höhe, und verkündete weit ins Land hinaus ihre Unbezwingbarkeit. Eine ähnlich gewaltige Römermauer umschloss in weitem Umkreis zusätzlich Stadt, Paläste und Burganlage. Die bezog auch die Kasba mit ein und den Basar. Ebenso die Wohnviertel der Mauren und Juden, der Händler und Handwerker, die in der Mehrzahl nach wie vor noch Christen waren.

      An diesem herrlichen Spätsommermorgen blickte die fröhlich blinzelnde Sonne auf ein ungewöhnliches Schauspiel. Vor dem Palast erhob sich eine künstlich errichtete Holzempore um einen Meter in die Höhe. Auf der mit feinen Orientteppichen ausgelegten Fläche saß der Emir in seinem Thronsessel, umgeben von allem, was in Saragossa Rang und Namen hatte. Sie kauerten im mehr oder weniger gelungenen Schneidersitz, weiche Sitzpolster unter dem Allerwertesten. Fein abgestuft nach Rang und Wert: Der Hofrat der Wesire nächst dem Thron. Es folgten die höheren Ränge des Militärs und der Polizei, dann die Ratsherren der Juden, die Räte der Stadt, die Patriziersenioren der Zünfte. Und im äußersten Winkel der Bischof der Katholiken mit seinem Domkapitel.

      Den Ehrenrang nahm heute der Amir Abderrrahman ein. Er saß auf einem niederen Hocker zu Rechten des dankbaren Emirs. Der hatte ihm schon gnädig