Jochen Schmitt

Euskal Herria


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Seine Stunde würde kommen. Er sah einen silbernen Hoffnungsschimmer für seine baskische Rache am Horizont aufleuchten.

      Der Amir musterte zunächst schweigend die beiden Jungkrieger vor ihm. Was er sah, gefiel ihm. Je 15 Sommer alt, drahtig und schneidig. So wie er sich seine Adjutanten wünschte. Dumm war nur, dass in seinen Augen der Adelsspross einen starken Makel hatte. Ihm war sehr wohl bewusst: Da stand der Sohn des mächtigen Kanzlers. In seinen Augen ein Problemfall. Was konnte der Bursche an Unheil anrichten! Der musste wie ein kostbares dünnes Glas mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Nicht weil der was zu sagen gehabt hätte. Vorläufig jedenfalls noch nicht. Aber der Amir wusste sich sehr gut auszumalen, welche Folgen es haben müsste, sollte er diesen Burschen auf dessen erster Razzia durch Schuld eines der Anführer verlieren. Und außerdem: Emire, Wesire, und auch ein Hadjib waren nicht unsterblich. Sie hatten allgemein keine lange Lebenserwartung. Zwar starben sie meist nicht auf einem Schlachtfeld sondern mit allem Komfort umgeben im Prunkbett ihrer Paläste. Das aber oftmals mit eifriger Unterstützung durch eine hilfreiche Hand, einem schnellen Dolchstoß oder einem wirksamen Gift im abendlichen Wein. Kein Herrscher konnte sich sicher fühlen. Jeder Fürst tat gut daran, sich gegen die Ränke seiner eigenen Söhne zu wahren. Über kurz oder lang würde Abdallah einer von denjenigen sein. Von seinem Wohlwollen konnten schon Morgen Karriere und Zukunft des Amirs abhing. Dennoch musste jetzt dem Burschen erst mal mit listiger Umsicht vermittelt werden, wer auf dieser Razzia sein Herr und Gebieter war.

      „Nun Abdallah, wie ich höre, mogelst du mir verbotener Weise einen Sklavendiener in mein Aufgebot? Dir ist doch Bekannt, dass niemand einen Diener mitnehmen darf. Selbst ich, der Kaid, reite allein und ohne Bedienung! Dein Sklave bleibt also zu Hause!“

       „Aber nein, Allah ist mein Zeuge: Dies ist zwar mein Leibsklave, aber ein voll einsatz- und verwendungsfähiger Krieger!“ Mit fast aufrichtigem Brustton und ehrlich klingender Stimme fügte er hinzu:

       „Mein Vater, der Hadjib, hat mir befohlen, ihn als meine Leibwache mit zu nehmen. Er ist nicht mein Diener sondern er wird neben mir kämpfen! Ich habe ihm eine voll abgeschlossene Chassa Ausbildung zukommen lassen. Mir ist er zwar nicht gewachsen, aber ein ganz brauchbarer Kämpfer ist er schon. Unter meiner Aufsicht wird er sich im Zuge der Razzia ganz bestimmt bewähren und zum Erfolg beitragen.“ Stramm aufgerichtet und ohne zu zwinkern sah dem Amir in die Augen. 17 Jahre Erfahrung mit Harims- und Palastintrigen trugen nun Früchte.

      Der Amir nahm Lauro ins Auge. Der hielt und erwiderte reglos den Blick:

       „So, so, ein ausgebildeter Krieger bist du also?“ wandte sich der Amir mit deutlich erkennbarer Skepsis und zweifelndem Ton zu Lauro, obwohl er dessen Befähigung schon beim ersten Blick auf den Jungkrieger erkannte. Auftritt und Haltung ließen eigentlich keinen Zweifel zu. Dann schoss unerwartet, aber blitzschnell und durchaus mit der Absicht Schaden anzurichten, seine Faust in dessen Magenregion.

      Der handelte nicht bewusst oder überlegt. Drei Jahre harter Ausbildung zahlten sich aus. Instinktiv die antrainierte Reaktion. Seine gekreuzten Unterarme fingen den Hieb ab und machten ihn unwirksam. Eine gleichzeitige flinke Wendung seitwärts, und der Amir taumelte mit der Wucht seines Schlages ins Leere. Im Schwung seines heftigen Angriffes wäre er auf seinem Bauch gelandet, hätte ihn nicht Lauro, auch zu seiner eigenen Verblüffung, wie ein Karnickel am Kragen des Wamses gepackt und so den Sturz verhindert.

      Grinsend richtete sich der Amir auf. Anerkennend ließ er seine mächtige Pranke auf Lauros Rücken sausen, dass dem die Luft weg blieb. Einerseits Strafe für die Berührung des Anführers durch den Sklaven, andererseits Dank für die Verhinderung des Sturzes. Und schließlich respektvolle Anerkennung der instinktiven wirkungsvollen Blitz Reaktion:

       „Du hast Recht, Abdallah“, räumte er diesem gnädig ein. „Jetzt weiß ich es. Du hast einen brauchbaren Krieger im Gefolge. Ich teile euch beide meinem Unter-Kaid Ibrahim zu. Ihr reitet mit ihm auf Erkundung. Aufbruch morgen früh, wenn der erste Hahn kräht. Ihr werdet die drei Dörfer im Gebirgstal des Rio Lorte, nordöstlich von Sadaba erkunden. Ich will wissen, wie wir den Bewohnern die Flucht in die Berge abschneiden können, und wo sie ihre Zufluchtshöhlen haben. Rückmeldung mit euren Erfolgen in 10 Tagen. UND, Abdallah! Ibrahim hat diesen Auftrag. Er ist euer Kaid! Ich erwarte von dir und Lauro bedingungslosen Gehorsam!“

      „Schon wieder so ein Mahn- und Meckergreis, genau wie mein Alter!“ So dachte sich Abdallah das nur. Er sagte es wohlweislich nicht laut. Stattdessen zuckte er stramm mit dem Kopf. Mit einigem guten Willen konnte man darin eine angedeutete Verneigung erkennen. Dann schaltete er wieder jenen gut eingeübten Brustton der Überzeugung ein und spielte Papagei:

      „Ibrahim ist unser Kaid!“ schmetterte er in den Raum. Des Amirs Gesicht zeigte wie sein Körper nicht die geringste Regung. Die arrogante, wenn auch verdeckte Provokation war ihm nicht entgangen. Scheinbar gleichmütig entließ er die beiden mit lässiger Handbewegung.

      „Bei dem Bürschlein bin ich auf alles gefasst! Wandte er sich an Ibrahim. „Nimm den ja mit äußerster Vorsicht unter deine Fittiche und halt ihn dort unter Kontrolle!“ Ibrahim nickte nur. Die beiden verstanden sich längst auch ohne viele Worte.

       ***

      8. Kapitel: Aufklärung und Erkundung

      Der Trupp dieser fünf Rastreros ritt zwei Tage später im ersten Morgenlicht aus dem Alkazar von Sadaba. Hinaus gings, ins die Ischibanya, ins Niemandsland. Zur grenzenlosen Enttäuschung der angehenden, vorher noch so stolzen Chassa, wurde ihnen befohlen, ihre so sorgfältig ausgesuchten Pferde im Stall zu lassen. Pferdespuren und Pferde“äpfel“ konnten Verdacht auslösen. Maultiere waren auch bei den Basken überall im Einsatz und daher unverdächtig. Ihre hohe Erwartung geknickt aber hatte der Befehl, ihre hoffeine Bekleidung gegen abgenutzte alte Bauernkittel der Basken auszutauschen. Formlose Röhrenhosen, ausgefranste Hemden, dazu die traditionelle baskische Wolljoppe, aus roher Schafswolle gestrickt. Alles flicken- und Löcher übersäte, wenn auch sauber gewaschene Lumpenkleidung. Dass selbst der Kaid Ibrahim diese Tarnkleidung trug, tröstete die stolzen Jungkrieger nicht. So hatten sie sich ihre erste Feind-Unternehmung nicht vorgestellt.

      Ibrahim ließ sie die Marschformation im Feindesland einnehmen. 100 m voraus ritt Faruk. Nach weiteren 100 m folgte ihm Abid. Wie Ibrahim hatte sie von früheren Unternehmungen her eine ungefähre Vorstellung vom Gelände. Nochmals 100 m später kam der Haupttrupp. Die Abstände weiteten sich bis zu 1000 Metern in offenem Gelände. Sie schrumpften im Wald auf weniger. Die vorausreitenden Späher sollten frühzeitig eine drohende Begegnung entdecken, und die anderen warnen ohne selbst erkannt zu werden. Anfangs hatten sie in weitem Bogen nach Westen ausgeholt, um unentdeckt ins Tal zu gelangen.

      Gegen Mittag erreichten sie die beginnende linke Talwand. Mühsam arbeiteten sie sich durch dichtes Gestrüpp in die lichtere Zone des Hochwaldes hinauf. Durch diesen ritten sie nun, dem Verlauf der Felsenhöhen folgend und im Wald geschützt, ins obere Tal.

      Abends, im letzten hellen Licht, schlugen sie hoch am Steilhang ihr Standlager auf. Ein winziger Bach brach aus einer Felsenklamm hervor. Der gab den Trunk für Mensch und Maultiere ab. Die standen oder lagen fest angeleint unter den Bäumen und fraßen das Gestrüpp. Kalte Speisen aus den Satteltaschen mussten ihren Reitern als Mahlzeiten genügen.

      Vom nächsten Morgen bis zum Abenddunkel saßen je zwei von ihnen abwechselnd höher in einem Ausguck. Ein mächtiger alter Baum gab ihnen Deckung. Das gesamt Tal lag mit seinen drei Dörfern unter ihnen. Jede Bewegung dort ließ sich deutlich bewerten.

      Drei Tag lang saßen Abdallah und Laur mit im Versteck und langweilten sich. Abdallah schaffte es schon am zweiten Tage nicht mehr, seinen Unmut über die erzwungene Aktionslosigkeit zurückzuhalten. Ärgerlich stieß er hervor:

      „Wenn doch nur endlich die Razzia losbrechen würde!“

      „Ach Abdallah, du bist noch zu nass hinter den Ohren. Das ist keine Razzia. Das wird nur eine kleine Strafaktion. Auf deine erste echte Razzia wirst du noch eine Weile warten müssen. Nimm es gelassen! Als erstes realistisches Üben ist es Gold wert für euch. Umfassendes Training ist der halbe Erfolg. Was ihr richtig eingeübt habt, gelingt im Ernstfall umso besser.“

      Das