Susanne Sievert

Bloody Julie 2.0


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zu erreichen. Als mein Zeigefinger auf das blanke Metall trifft, höre ich Elvis zischend ausatmen.

      Jetzt oder nie, denke ich und drücke die Klinke nach unten.

      Eine Hand packt mich von hinten. Es ist Elvis, der mich zurückzieht, denn sofort drängen sich die Untoten durch den Türspalt. Mein Plan funktioniert, sie schaffen es nicht alle gleichzeitig und stehen sich im Weg, weil jeder der Erste am Buffet sein will. Ich greife mir den Brieföffner und einen Bleistift, während Elvis die blutige Schere und einen Kugelschreiber in Händen hält. Nervös klickt er mit dem Schreiber herum. Dann läute ich den Kampf ein.

      Der erste Zombie macht es mir zum Glück leicht. Er stolpert nach vorn, prallt sofort gegen den Schreibtisch und packt mein neues Shirt. Er keucht mir seinen ätzenden Atem entgegen und ich stelle fest, dass die Gerüche extremer geworden sind. Ich würge, schlucke die bittere Galle runter und steche ihm mit dem Brieföffner ins Auge. Derweil kümmert Elvis sich um unsere Barriere und schiebt den Schreibtisch zurück in Richtung Tür.

      Der Griff des Zombies lockert sich und mit beiden Händen stoße ich den Untoten in die Arme seines Freundes. Der ist wütend und nicht so ungelenk wie der vor ihm. Er erinnert mich ein wenig an Rosalie nach ihrer Verwandlung, und mein Herz rutscht beim Anblick seiner blutunterlaufenen Augen in die Hose.

      Er will töten. Er will fressen. Aber ich bin nicht sein Ziel.

      Der Kerl steuert direkt auf Elvis zu, der nicht auf den Angriff vorbereitet ist. Mit großen Augen und der Schere in der Hand huscht sein Blick abwechselnd zu mir und dem Zombie. Uns bleibt aber keine Zeit, Händchen zu halten, denn zwei weitere quetschen sich durch den engen Spalt und ich hoffe, dass Elvis alles im Griff hat, während ich versuche, die beiden anderen auszuschalten.

      Ich klettere über den Schreibtisch, trete einen Zombie gegen die Wand und ramme dem anderen den Bleistift in den Hals. Schwarzes, dickes Blut quillt hervor, aber das stört den Untoten nicht. Natürlich, denn man muss das Gehirn zerstören, um alle Lichter auszupusten. Also hole ich mit dem rechten Arm aus, spüre einen Stich in der Brust – verdammtes Einschussloch, meldest dich zu einem ungünstigen Zeitpunkt – und durchbohre mit der Spitze des Stiftes die Schläfe des Untoten. Respekt, auch wenn ich sechs Wochen im Koma lag, habe ich offenbar nichts verlernt. Der Stinker sackt zusammen und macht Platz für seinen Kumpel.

      Im Hintergrund höre ich Elvis keuchen, ein paar Flüche und das Zähneklappern seines Gegners.

      „Benutz die Schere!“, brülle ich, ohne mich umzublicken. „Du bist doch Chirurg, verdammt!“

      „Urologe!“, antwortet Elvis und dann höre ich seinen Schrei.

      Obwohl meine Hände vom schwarzen Blut nass und glitschig sind, rutscht der Brieföffner nicht weg und ich bearbeite mit festen Stichen das Gesicht des Zombies. Ich nehme mir einige Sekunden und werfe einen Blick über den Flur. Erleichtert stelle ich fest, dass es keine weiteren Besucher gibt, und kehre der Szene rasch den Rücken, um Elvis zu helfen.

      Der Arzt ist am Leben und so wie ich es von meinem Standpunkt aus beurteilen kann, hat keiner der Zombies ihn erwischt. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis der Untote ein Stück von ihm abbeißt. Elvis liegt am Boden und hat beide Hände um den Hals des Zombies gelegt. Seine Waffe ist nicht zu sehen, dafür steckt der Kugelschreiber zur Hälfte im Ohr des Angreifers. Bei dem Anblick ist mir fast zum Lachen zumute, doch das hebe ich mir für später auf.

      „Hey, du blödes Arschloch!“, schreie ich den Zombie an. Sein wütender Blick ist auf mich gerichtet und es kommt mir vor, als schätze er ab, ob es sich lohnen würde, von der aktuellen Beute abzulassen.

      Er denkt nach, stelle ich verwundert fest. Ob ich einen Schritt weiter gehen soll?

      „Hat deine Mutter dir nicht beigebracht, dir einen Gegner deiner Größe auszusuchen?“

      Elvis schwitzt unter dem Untoten und bekommt nur am Rande mit, was um ihn herum geschieht. Bei dem Wort Mutter zuckt der Zombie zusammen. Er lässt den Arzt los und steht langsam auf. Seine Brust hebt und senkt sich, während aus seinem Mund Blut läuft und er wie ein Hund seine Zähne bleckt. Kein prickelnder Anblick, aber ich habe seine Aufmerksamkeit. Das war mein Ziel.

      „Deine Mutter hat dich wohl zu heiß gebadet, he?“ Mir fällt leider nichts Besseres ein. Jules hätte ein paar lustige Witze auf Lager, aber ich konnte nie welche erzählen.

      Mein Herz wird schwer, wenn ich an Jules denke. Er ist der einzige Mensch, der mir nie zu viel wird, dem ich niemals lange böse sein kann und der mich zum Lachen bringt, auch wenn der Tod mir ins Gesicht hustet. Dann höre ich seine Stimme – sie flüstert mir direkt ins Ohr. Ich spüre sogar seinen Atem auf meiner Haut …

      Grinsend wiederhole ich, was er mir zuflüstert: „Deine Mutter stinkt sogar auf Fotos!“

      Ob der Zombie den Witz nun verstanden hat oder nicht - er ist wütend und kommt grunzend und sabbernd auf mich zu. Er sieht kräftig aus, also muss ich schneller sein. Rasch öffne ich einen der Schränke und greife blind hinein. Es ist zwar schade um den Alkohol, aber wenn wir tot sind, haben wir auch nichts davon. Mit einem stumpfen Laut trifft die Flasche auf den Schädel des Untoten und zersplittert. Die Flüssigkeit läuft in seine Augen und ohne auch nur zu blinzeln, leckt er sich über die Lippen und spuckt schwarzes Blut vor meine Füße.

      „Du bist wirklich undankbar“, sage ich zu ihm und steche mit dem Brieföffner nach seinem Gesicht. Im letzten Moment weicht der Stinker aus. „Das war eine gute Flasche Jack Daniel’s!“

      Der Untote ist nicht nur kräftig, sondern auch schnell. Kurzerhand rennt er mich um. Ich knalle mit dem Rücken auf den Boden und ein Schmerz zieht sich von meiner Brust bis in den kleinen Zeh. Er lässt mir keine Gelegenheit, Atem zu holen und fällt wie eine Bestie über mich her.

      „Runter von mir!“, brülle ich und wälze mich von links nach rechts, rutsche über den Boden und bäume mich auf. Es nützt alles nichts, ich verbrauche nur kostbare Kraft, von der ohnehin nicht mehr viel übrig ist.

      Der Stinker sitzt auf meinem Bauch und die Laute, die aus seinem ätzenden Mund kommen, klingen wie das Gackern von Hühnern. Das schaurige Lachen eines Untoten. Und dann wird es mir klar: Er lacht mich aus. Das Arschloch lacht mich aus!

      Ich überlege nicht lange, stemme meinen Oberkörper hoch und breite die Arme aus, als wolle ich den Zombie umarmen. Kurz bevor er seine Zähne in mein Gesicht rammt, schlage ich mit beiden Händen fest auf seine Ohren. Elvis hat gute Vorarbeit geleistet. Der Kugelschreiber steckte halb in seinem Ohr und mit meinem Schlag begrüßt der Stift das Gehirn. Es reicht nicht aus, um den Arsch auszuschalten, aber seine Bewegungen erschlaffen und werden langsamer. Sabbernd und mit großen roten Augen begegnet er meinem Blick. Es sind nur wenige Sekunden und doch erkenne ich die Botschaft, die er mir mitteilt. Ich halte daran fest, dass es eine ist, denn diese Dinger waren einst Menschen, nicht wahr? Bei all den Kämpfen und Verlusten gerät dieser Punkt schnell in Vergessenheit.

      In seinem Blick liegt Schuld. Trauer. Und sogar Bedauern.

      Ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen – etwas Bedeutendes. Aber wie zuvor fällt mir nichts ein.

      Mit dem Brieföffner ziele ich auf seine Schläfe, die weichste Stelle am Kopf, und steche zu, einmal, zweimal, dreimal, bis ich unter dem untoten Körper begraben werde.

      „Julie, alles okay?“

      Elvis Starre dauert zum Glück nicht lange an. Er rollt den Zombie von mir herunter. Dankbar greife ich nach seiner Hand und lasse mich hochziehen. Seite an Seite betrachten wir sein Büro, das Schlachtfeld und die zerbrochene Flasche auf dem Boden.

      Elvis’ weißer Arztkittel ist mit schwarzem Blut gesprenkelt. Er sieht aus wie aus einem Splatterfilm. Ich sehe auch nicht besser aus und könnte die Rolle der irren Patientin übernehmen. Von Anfang an hatte ich befürchtet, dass meine neuen Klamotten nicht lange sauber bleiben …

      „Und jetzt?“, fragt Elvis.

      „Jetzt“, sage ich, strecke meinen Arm aus und halte den Brieföffner an seinen Hals. Die Spitze des Metalls bohrt sich in