Flur blinzle, achte ich auf ungewöhnliche Geräusche. Wer einmal einen Zombie gehört hat, wird das niemals vergessen, denn kein anderes Wesen macht sich derart bemerkbar. Ich habe ihre Laute oft genug gehört, um zu wissen, wann ich mächtig in der Scheiße stecke.
Draußen ist es still, was mir noch mehr Sorgen macht. Was ist, wenn ich mutterseelenallein in diesem Gebäude bin und Jules unauffindbar ist?
Hör auf mit dem Blödsinn!, denke ich. Geh da raus und der Sache auf den Grund. Wann hat dir heulen je geholfen, du blöde Kuh? Keine aufmunternden Worte, aber sie erfüllen ihren Zweck und mit pochendem Herzen ziehe ich die Tür ganz auf.
Der Flur ist dunkel, einzig das Licht, das durch die geöffnete Tür fällt, erhellt ihn genug, um etwas zu sehen. Kein Blut an Wänden und Boden. Das ist ein vielversprechendes Zeichen, oder?
Dieser Ort kommt mir irgendwie bekannt vor. Das kann allerdings auch an der nichtssagenden Flur-Atmosphäre liegen, die sich nicht sonderlich von anderen Kliniken unterscheidet.
Ich sacke innerlich zusammen, überwältigt von der Größe und Stille. In der Hoffnung, einen Treppenaufgang, eine geöffnete Tür oder eine Schwesternstation zu finden, wende ich mich nach links. Hier muss es doch Menschen geben, oder von mir aus zumindest Zombies.
Mit weichen Knien taste ich mich an der Wand entlang und jedes Mal, wenn ich an einem Zimmer vorbeikomme, lege ich mein Ohr an die Tür und horche.
Anfangs fehlt mir der nötige Mumm, eine der Türen zu öffnen, und wieder frage ich mich: Was zur Hölle ist los mit mir? Ich atme tief durch und drücke die Klinke in Zeitlupe nach unten, um bloß kein Geräusch zu verursachen. Die Tür öffnet sich leicht, mein Herz hämmert in der Brust und ich werfe einen Blick ins Zimmer.
Auf dem Bett liegt ein Mann und schläft. Nein, das ist nicht ganz richtig. Er ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Ich ziehe mich zurück. Jetzt habe ich Gewissheit, dass ich nicht alleine bin, aber ich kann nicht jedes Zimmer nach Jules absuchen. Ich muss jemanden finden, der weiß, wo er sich aufhält.
Am besten gehe ich einfach los. Mein Zustand erinnert an einen fiesen Muskelkater: Man muss sich bewegen, damit es besser wird. Am Ende des Ganges wird die Wand als Stütze überflüssig.
Der Tag entwickelt sich prächtig! Wer hätte das gedacht? Ich bin ja eigentlich eher eine Pessimistin, aber offenbar habe ich mich instinktiv für die richtige Richtung entschieden. Links von mir befindet sich eine Glastür und dahinter liegt das Treppenhaus. Zunächst bin ich vorsichtig, lehne mich an das Glas und verfolge mit den Augen die steilen Stufen, die nach oben führen. Sie sind grau und kahl und reichen vermutlich bis zum Dach des Gebäudes.
Okay, Julie, dann eben den Weg nach unten.
Nie zuvor hat sich Treppensteigen derart wie Leistungssport angefühlt, aber hier gilt: Streng. Dich. An!
Mit zusammengebissenen Zähnen bahne ich mir den Weg nach unten. Ich begegne keinen Zombies. Hier sind nur ich, meine Gedanken und geknurrte Hasstiraden gegen Krankenhäuser und den Rest der Welt.
Schwitzend und zufrieden mit mir betrete ich die nächste Ebene. „Station 4“ steht in großen Buchstaben an der Wand und daneben entdecke ich endlich ein Schild mit handfesten Anhaltspunkten.
„Neurochirurgie“, lese ich laut vor. Der Pfeil zeigt nach links. Auf der anderen Seite steht: Neurologie.
Ich lag also auf der Station 5 und nein, ich werde sicher nicht die Stufen erklimmen, um herauszufinden, welche Fachabteilung für mich verantwortlich war. So wie das in meinem Leben läuft, ist es die Psychatrie.
Ich öffne die Tür und höre Schritte. Vor Schreck halte ich den Atem an und bleibe starr stehen. Mein Blick huscht von einer zur anderen Seite und da! Rechts von mir, am Ende des Ganges erkenne ich eine Gestalt. Groß und stämmig. Ein Mann?
Ich blinzle ein paar Mal und verfluche mich, dass ich ohne Waffe losgezogen bin. Mein Gott, ich habe auch gar nichts dazugelernt! Früher war ich mal so erfinderisch. Irgendetwas Brauchbares hätte ich im Zimmer bestimmt gefunden, aber nein! Das Wichtigste habe ich vergessen.
Der Fremde rührt sich genauso wenig wie ich und nachdem der Schreck sich gelegt hat, erkenne ich an ihm einen weißen Kittel und ein Klemmbrett, das unter seinem Arm steckt. Ein Arzt? Ein Pfleger? Auf jeden Fall ein Mensch, aber erfahrungsgemäß sind die Lebenden sogar noch gefährlicher als die Zombies. Ich erinnere mich nicht gerne an Grace und ihre Familie, aber die Bilder ploppen automatisch vor meinem geistigen Auge auf.
Sie waren die ersten anderen Menschen, die wir nach unserer Rettung auf der Jacht trafen, und es waren Monster, die einfach nur quälen und töten wollten.
Das ist gerade nicht hilfreich, denke ich.
Doch anstatt meiner Fantasie gerecht zu werden, hebt der Fremde seine Hand und winkt mir zu.
Alkohol und Antworten
Er nähert sich mir mit vorsichtigen, behutsamen Schritten, als hätte er es mit einem schreckhaften Tier zu tun. Fehlt nur noch, dass er die Hände ausstreckt und beruhigende Zischlaute macht. Ich frage mich, wo die waghalsige Julie Mond geblieben ist, die Zombies mit bloßen Händen tötet, auf jeden losgeht, der ihr zu nahe kommt, und absolut keine Unterschiede bei den Menschen macht, weil sie alle gleichermaßen hasst? Dieser Julie wäre spätestens jetzt etwas zur Rettung eingefallen, da dieser Typ nur noch zehn oder 15 Schritte von mir entfernt ist.
Wo bist du hin, Julie? Hast du ein Stück von dir selbst im Zimmer zurückgelassen oder im Fieberwahn ausgeschwitzt? Es fällt mir schwer, es zu leugnen: Etwas ist anders. Ich bin anders. Wie drücke ich es am besten aus? Stiller, geruhsamer? Nein. Gelassener? Vielleicht eher …
„Guten Tag.“
Seine Stimme reißt mich aus den Gedanken und vor Schreck knallt mein Kopf gegen die Glastür.
Na ja, unvorsichtig bist du immer noch, Julie. Und dumm. Ja, auf jeden Fall dumm.
„Hi“, antworte ich und reibe mir den Hinterkopf.
„Geht es Ihnen gut? Drehen Sie sich mal um, dann kann ich mir Ihren Kopf anschauen.“
Ja klar, und mir dann einen Schlag verpassen!
„Tut mir leid, Sir, das wird nicht passieren.“ Langsam aber sicher finde ich zu mir zurück. Ein willkommenes Gefühl, meine kalte Stimme zu hören.
„Wie Sie wollen, Julie. Ich zwinge meine Patienten zu nichts.“
Er lächelt, streicht sich über sein kurzes, krauses Haar und hinter seiner schmutzigen Brille erkenne ich braune Augen, die wie Murmeln glänzen. Sein Blick ist so direkt und offen, dass es mir unangenehm wird und ich ihm ausweiche.
„Sie kennen meinen Namen“, stelle ich fest. Was soll ich davon halten? „Sind Sie Arzt? Dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie einen richtig beschissenen Job machen. Im Knast wird man vermutlich besser behandelt.“
„Ach ja?“ Er ist erstaunt, nicht wütend. „Ich schätze, das ist Ihre Sicht der Dinge. Wollen Sie meine Meinung hören oder Ihre Beschwerde in den Kummerkasten werfen? Dann dürfen Sie aber nicht so schnell mit einer Antwort rechnen. Das Personal wurde in den letzten Wochen drastisch reduziert. Leider nicht wegen irgendwelcher Sparmaßnahmen.“
Das Spiel gefällt mir nicht, aber was soll’s. Ich nicke stumm.
„Erstens: Sie lagen im Koma. Zweitens: Sie sind keine wandelnde Leiche. Die Chancen dafür standen allerdings ziemlich gut. Drittens: Wie ich sehe, ist Ihr Zustand stabil. Sie gehen und reden. Mein Fazit, und verzeihen Sie meine Ausdrucksweise: Wir sprechen von einem verdammten Wunder! Meine Arbeit als beschissen zu bezeichnen, ist ungerecht. Was sagen Sie jetzt?“
Ich grinse über seine Bemerkung. Er ist zumindest witzig.
Dann streckt er mir seinen Arm entgegen und ein weiteres Wunder geschieht: Wir schütteln uns die Hände. Obwohl ich Berührungen