Susanne Sievert

Bloody Julie 2.0


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habe so viele Ideen für neue Kuchen, aber …“ Sie seufzt und setzt dann wieder ihr Teufelsgrinsen auf. „Es geht nicht, Julie. Niemals. Und weißt du warum?“

       Puff, die Hoffnung löst sich auf.

      Mein Atem stockt, ich traue mich nicht, zu antworten, aus Angst, was danach passiert. Doris dauert die Reaktion zu lange, sie springt auf und packt mit beiden Händen meine Arme. Sie drückt zu, verdammt, viel zu fest für eine alte Dame. Aus den Augenwinkeln sehe ich etwas Haariges und Schwarzes auf der Kante meines Bettes sitzen.

      Ich habe es mit zwei Gegnern zu tun, bei denen ich nicht abschätzen kann, welcher gefährlicher ist. Eine alte Frau und eine Katze. Ach, machen wir uns nichts vor: Ich habe gegen beide nicht die geringste Chance.

      „Warum, habe ich gefragt?!“

      Mit der Frage spuckt sie Speichel in mein Gesicht und endlich erwache ich aus meiner Starre.

      „Du bist nicht echt!“, antworte ich und atme schwer. „Ein Produkt meiner Fantasie, ein Geist, ein Wunschgedanke, was weiß ich?! Du kannst nicht hier sein! Ich will doch nur zu meinem Bruder, verdammt.“

      Ich glühe – wahrscheinlich habe ich Fieber. Die schlimmsten Albträume hat man doch, wenn man fiebert, oder?

      O Gott, denke ich. Ging es Rosalie etwa genauso? Aber ich wurde weder gekratzt noch gebissen. Moment mal … O nein!

      An meinem Arm entdeckte ich einen Verband. Mein Herz macht einen Sprung und ehe ich vollständig begreife, was sich darunter verbirgt, bringt Doris mich wieder aus dem Konzept.

      „Falsch“, brüllt sie und aus ihrem Mund höre ich ein Krächzen und Gurgeln.

      Spinne ich? Ich schließe die Augen und will mich wieder unter der Decke verkriechen, bis der Albtraum vorüber ist. Aber das wird nicht funktionieren. Ich hoffe einfach, dass der Scheiß bald vorbei ist.

      Als ich die Augen wieder öffne, trifft mich der Schlag. Doris hat sich verändert, und zwar nicht zu ihrem Vorteil. Sie ächzt und stöhnt und genau wie Scratcher faucht sie in mein Gesicht.

       Oh, Fuck, Zombie!

      „Du hörst nie zu“, schnauft Zombie-Doris und mir wird übel von dem Geruch, der aus ihrem Mund strömt.

      Mit einem schmatzenden Geräusch lässt sie mich los. Ich wage einen Blick auf meine gequetschten Arme und würde am liebsten schreien. Doris’ Haut hat sich gelöst und klebt in Fetzen auf meiner eigenen.

      „Ich höre ja zu!“ Angewidert wische ich über das Laken. „Aber ich kapier’s nicht!“

      Scratcher faucht und schreit, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Seine Laute ähneln dem Brüllen eines Babys. Bei dem Getöse fällt es mir immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen.

      „Du bist nicht soweit!“, krächzt Doris und setzt sich wieder auf den Stuhl. Sie starrt mich an und ich begreife immer noch nicht, was ihre Ermahnungen bedeuten. „Das alles hat ein Ende, wenn du soweit bist, glaub mir. Und dann, Kindchen, dann gehst du mit deinem Bruder nach Cherryhill. Nach Hause.“

      In meinem Hals bildet sich ein Kloß und Tränen verschleiern meinen Blick. Das Psycho-Drama kostet mich mehr Nerven als ein Kampf gegen einen Zombie. Ich habe keine Kraft für so was, ehrlich nicht. Niemand kann von mir verlangen, dass ich in das Höllenhaus zurückgehe. Weder mein alter Kumpel Bobby noch Zombie-Doris und schon gar nicht das Mistvieh Scratcher!

      Ich schluchze leise und wünsche mir Jules an meine Seite, aber hier sind nur Doris und Scratcher und deren Plan ist es nicht, mich zu trösten.

      Wer früher stirbt, ist länger tot

      Es ist an der Zeit, ein paar Fakten zusammenzutragen.

      Erster und wichtigster Punkt: Ich lebe.

      Direkt gefolgt von: In einem Krankenhaus, dessen Personal gekündigt und verklagt werden sollte, denn es macht einen echt beschissenen Job und schert sich offensichtlich einen Dreck um die Patienten. In diesem Fall: um mich. Andere habe ich noch nicht gesehen.

      Was haben wir noch? Mein Zustand verschlechtert sich. Mit welchem Medikament ich auch immer über diesen Schlauch versorgt werde, es zeigt keine Wirkung. Ich spüre ein Reißen in der Brust, als ob sich etwas von innen nach außen wühlt und seit Scratchers Überfall brennt mein Oberarm wie verrückt.

      In meinem ersten Traum hat Jules mich gebissen. Hat er das auch in Wirklichkeit getan?

      Was soll’s, zu rätseln, ist anstrengend - ich bin müde und kaputt. Wie eine Barbiepuppe, der man den Kopf abgerissen hat.

      „Sieh dir unser Mädchen an, Liebling. Ist sie nicht bezaubernd?“

      Mein Körper versteift sich und mir bricht der Schweiß aus. Ich halte die Augen geschlossen und kneife die Beine fest zusammen, um nicht vor Angst ins Bett zu pinkeln. Die Stimme, seine Stimme, brennt in meinen Ohren und meinem Kopf und mein Herz steht kurz vor dem Kollaps.

      „Bezaubernd, ja?“, höre ich sie. Spitz, abfällig, ohne Liebe. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Alles was ich sehe, ist ein jammerndes Gör, das sich auf seiner faulen Haut ausruht.“

       Vielen Dank, Mutter, für deine mitfühlenden Worte.

      Ich spreche es nicht laut aus. Dazu bin ich nicht in der Verfassung. Ich befürchte sogar, dass ich das Sprechen schlagartig verlernt habe. Aber ich muss mich ihnen stellen, sonst werde ich sie ewig mit mir herumtragen. Es gibt einen Grund, warum ich sie mir einbilde. Warum das Fieber mir den Endgegner schickt.

      Schwitzend öffne ich die Augen und verkneife mir die Tränen. Sie zu hören ist eine Sache, aber sie zu sehen, eine andere.

      Links von mir sitzt mein Vater. Er trägt seinen besten Anzug, mit passendem Hemd und Krawatte. Seine Hände liegen locker in seinem Schoß und er lächelt. Manche nennen es einnehmend - ein Lächeln, bei dem man seine weißen und geraden Zähne sieht, makellos. Aber ich weiß es besser. Dieses Lächeln ist steif, kalt und so gut eingeübt, dass er damit jeden täuscht. Seine Haare sind streng nach hinten gekämmt. Das Öl darin schimmert im Mondlicht. Obwohl es Nacht ist, sehe ich ihn deutlich vor mir.

      Und dann haben wir sie. Meine Mutter, die rechts von mir sitzt und demonstrativ in die andere Richtung schaut. Ihre Arme sind vor der Brust verschränkt, ihre Nase ein klein wenig nach oben gereckt und ihre braunen Locken fallen weich auf ihre spitzen, knochigen Schultern. Sie trägt ein rotes Cocktailkleid – bereit für einen bunten Cocktail und ihre Pillen am Abend.

      Meine Mutter bemüht sich sichtlich, mich nicht anzusehen, mein Vater hat dagegen keine Probleme und rutscht mit seinem Stuhl sogar ein Stück näher. Das quietschende Geräusch jagt mir eine Gänsehaut über den Körper und obwohl ich mich kaum bewegen kann, schiebe ich mich mit aller Kraft ans Kopfende und versuche, die Beine anzuwinkeln. Mir wird übel und schwindelig, aber ich gebe alles, um von ihm fortzukommen.

      „Bleib weg von mir“, sage ich.

      Verdammt! Er erkennt meine Angst, wie ein Wolf, der Blut wittert.

      „Liebling, was ist los?“ Mein Vater beugt sich grinsend vor und legt eine Hand auf die Matratze. Wie Würmer kriechen seine Finger näher an mich heran. „Mommy und Daddy sind jetzt da.“

      „Bleib weg von mir“, wiederhole ich und diesmal klingt meine Stimme entschlossener.

       Weiter so, Julie. Du kannst es.

      Es kostet mich einiges an Überwindung, aber ich schaue ihn an und erinnere mich dabei an den Tag, als wir die beiden verlassen haben. Jules und ich, gemeinsam. Wir hatten in diesem verfluchten Schrank gehockt und auf das Unvermeidliche gewartet, bis ich einen Entschluss fasste. Mein Vater hatte damals die kleine Tür unter der Treppe geöffnet und einen kräftigen Fußtritt zur Begrüßung erhalten. Und noch einen und noch einen. Mit jedem Tritt wurde ich sicherer und meißelte meine Entscheidung in sein Gesicht.

      „Du