fühle mich nicht belastbar genug, um es herauszufinden, und drehe meinen Kopf nach rechts, vorbei an der weißen Wand mit Raufasertapete und einem Bild, auf dem eine breite Brücke umgeben von Nebel zu sehen ist. Der Abgrund darauf wirkt unendlich – verschlingend – und ich blicke mich lieber weiter um.
Rechts von mir in der Ecke stehen am Fenster ein Tisch und zwei Stühle, beide leer. Gott sei Dank, ich bin nicht in Stimmung, Besuch zu empfangen. Es ist Tag und die Sonne scheint ins Zimmer. Eigentlich schön, wenn ich wüsste, wo ich bin. So fühle ich mich nur schutzlos, ängstlich und allein.
„Ich … ich lebe, gottverdammt“, murmle ich und rutschte ein Stück nach oben. Das war wieder eine Bewegung zu viel und ich beiße mir vor Schmerz auf die Unterlippe.
Ich schmecke Blut; ein weiterer Beweis, dass ich den Löffel noch nicht abgegeben habe. Ich kann mich nicht entscheiden: Soll ich lachen oder heulen?
Meine Hand berührt etwas Kaltes und erst jetzt bemerke ich einen kleinen Rolltisch direkt am Kopfende des Bettes. Eine Flasche Wasser steht darauf. So etwas sieht man nur im Krankenhaus.
Und was ist das? In meiner Hand steckt eine Kanüle, verbunden mit einem Schlauch, der am Tropf endet. Sieht professionell aus, lindert jedoch nicht die Schmerzen. Einen kurzen Moment überlege ich mir, das Ding selbst zu entfernen, aber das verschiebe ich auf später.
„Okay, ein Krankenhaus. Ich hab’s ja gleich geahnt. So ein Mist. Oder nicht? Ist das jetzt was Gutes oder was Schlechtes?“
Niemand antwortet mir. Damit habe ich allerdings auch nicht gerechnet. Wenn das ein Krankenhaus ist, dann wird irgendwann jemand kommen, um nach mir zu sehen, schließlich bin ich eindeutig nicht allein hierhergekommen. Auf diesen Besuch muss ich mich vorbereiten.
„Wasser, ja, Wasser ist erst mal eine gute Idee.“
Ich hebe meinen Arm, ächze und stöhne dabei, versuche es ein kleines Stück weiter und stelle frustriert fest, dass das Wasser genauso gut im Weltall schwirren könnte.
„Ach Mann, Jules, wo bist du nur?“, maule ich und verkneife mir die Tränen. „Ich liege weiß Gott wo, bin ein absoluter Pflegefall und zum Sterben hier vergessen worden. Das ist doch einfach nur zum …“
„Na komm, Püppi, ich helfe dir.“
Mir fehlt zwar die Kraft, an das Wasser zu gelangen, aber ich bin in der Lage, zu schreien. Und das sehr laut.
Wie aus dem Nichts erscheint ein Mann. Ein Mann, der enorme Ähnlichkeit mit Bob Baker hat. Aber er kann es unmöglich sein.
Bobby Bear, so durften mein Bruder und ich ihn nennen, ist tot. Und ich muss es wissen, war ich doch diejenige, die ihn erschossen hat, weil er sich in einen Zombie verwandelte. Das war damals am Motel. Ein weiteres dunkles Kapitel in meiner Geschichte. O mein Gott, Zombies … Mein Gehirn kommt langsam auf Touren. Die Scheißer hatte ich für einen winzigen Augenblick ausgeblendet.
Fakt ist: Mein Freund lebt nicht mehr und tausend Tränen sind meine Zeugen. Dennoch steht er am Fußende, betrachtet andächtig das grässliche Bild und nimmt von meinem Gezeter und Geschrei kaum Notiz.
„Bist du bald mal fertig?“, fragt er nach einer Weile, während ich Atem für den nächsten Schrei sammle. „Ist nämlich nicht so, dass ich ewig hier abhängen kann.“
Seine Worte nehmen mir die letzte Kraft, und ich gebe nach. Okay, warum nicht? Unterhalte ich mich mit einem Toten. Es ist Bobby Bear, wie schlimm kann es werden?
„Bobby …“, hauche ich und kaum habe ich seinen Namen ausgesprochen, fange ich an zu heulen. Ich schluchze und sabbere auf meine Decke, bis seine großen Hände mein Gesicht berühren und ich seine Wärme spüre.
Verrückt, absolut verrückt!
„Das kann doch nicht sein. Ich träume, nicht wahr? Bobby? Ist doch so, oder?“
„Wenn du dich dann besser fühlst, nenn’s einen Traum, Püppi. Schon okay, und jetzt …“ Er greift nach der Flasche, dreht am Verschluss, der sich zischend öffnet und hält den Flaschenhals an meine Lippen. „Trink. Na los, Kleines. Du hast es bitternötig. Danach reden wir. Ganz in Ruhe.“
Mit einigen kleinen Schlucken leere ich die Hälfte der Flasche, was Bobby mit einem zufriedenen Brummen quittiert. Noch nie hat imaginäres Wasser so erfrischend geschmeckt.
„Danke“, sage ich und schaue zu Bobby hinauf. „Macht es dir was aus, eins der Fenster zu öffnen? Ist verdammt stickig hier drin.“
Hey, er hat mir die Flasche aufgemacht, warum nicht auch ein Fenster?
Mein Freund lacht – ach, dieses kraftvolle, tiefe Lachen – und tut mir den Gefallen. Umgehend strömt klare Luft in das Zimmer und kühlt mein verschwitztes Gesicht.
Ich schließe die Augen, genieße die Frische und werde sogar ein wenig schläfrig, bis ein Quietschen meine Ruhe stört. Bobby schiebt sich einen der Stühle ans Bett und ich sehe ein, dass das hier nicht vorbei ist.
Tja, so ist das, wenn man eine verdammte Verrückte ist.
„Weißt du, was echt lustig ist?“, frage ich und Bob schaut aufmerksam in meine Richtung. Er lacht gerne und der Witz wird ihm gefallen. „Bis vor ein paar Sekunden dachte ich noch, ich wäre am Leben. Aber das kann unmöglich sein, wenn du mein erster Besucher bist. Ist das das Wartezimmer zur Hölle, oder was?“
Hmm, er lacht nicht. Nein, er steht auf und es ist zu spät, sich gegen seine ausgestreckte Hand zu wehren. Mein Freund drückt seinen Finger direkt in meine Brust und ein Feuer verzehrt mich von innen. Es tut so verdammt weh, dass ich zu atmen vergesse. Sein Zeigefinger bohrt sich immer tiefer in das blutige, knirschende Loch und ein Feuerwerk explodiert vor meinen Augen.
Kurz vor einer Ohnmacht hört es überraschend auf.
„Na, wie siehst du die Dinge jetzt?“, fragt Bob ohne eine Entschuldigung. „Hör auf zu heulen, Püppi, und reiß dich zusammen. Es wird niemand kommen, nicht sofort, und darüber solltest du dich freuen. Beim Schichtwechsel interessiert es niemanden, was auf der Station passiert. Schau mich nicht so an, Kleines. Deine Vermutung ist richtig. Das hier ist ein Krankenhaus. Nicht die Hölle. Wer hat dir den Mist erzählt?“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung, während ich damit beschäftigt bin, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Na schön, und was soll das Ganze dann? Ich meine, ich sehe dich, ich spreche mit dir. Da kann ich mir schwer vorstellen, dass …“ Bobby hebt seinen Zeigefinger zum zweiten Mal in die Höhe und panisch wehre ich ab: „Kapiert. Ich hab’s ja kapiert! Ja, ich lebe, verdammt noch mal.“
„Gut“, antwortet Bobby und nickt zufrieden.
So wie er vor mir sitzt, sieht er aus wie damals, zu seinen goldenen Zeiten in der Bar. Das schwarze Haar glänzt und die Elvis-Tolle ist perfekt gestylt. Das karierte Hemd spannt sich um seinen üppig genährten Bauch und seine Hände, die großen, schwieligen Arbeiterhände, liegen zusammengefaltet auf seinem Schoß. Ich erinnere mich, wie ich mit elf Jahren meine fünfzig Cent für eine Packung Milch hatte hineinfallen lassen. So tief wie ein Brunnen, dachte ich damals. Noch heute machen sie diesen Eindruck. Kraftvoll, beschützend und unbesiegbar.
„Du siehst gut aus, Bob Baker“, stelle ich fest und meine Stimme wird schwer und leise. Das Aussehen meines Freundes ist weit von dem Zombie entfernt, den ich erschossen habe. „Ich vermisse dich.“
Mein Leben ist nicht mehr dasselbe. Wer richtet mich jetzt auf? Du bist der Beste. Du gibst mir Sicherheit. Was wird aus mir?
All das würde ich gerne sagen, kann es aber nicht, ohne in Tränen auszubrechen. Vielleicht ist das nicht nötig. Sein warmer Blick gibt mir zu verstehen, dass er Bescheid weiß.
„Soll ich dir was verraten?“ Er beugt sich zu mir, so nah, dass ich seinen Atem riechen kann. Bier und Zigarettenrauch umgeben meinen Freund. Der Himmel behandelt ihn sicher gut. Nach seinem Leben hat er das verdient. „Ich verlasse dich nicht, kann ich gar nicht, so oft, wie du an mich denkst.“
„Ach,