Klaus Perschke

Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier


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Es stand ungefähr ein halber Meter Frischwasser im Raum, und Ernst Tesch wurde darauf aufmerksam, weil das Wasser schon über die Schwelle der Eingangstür lief. Ernst, der auch gleichzeitig der Raumwächter von Luke 4 war, besaß die Schlüssel und konnte die Tür sofort öffnen. Da war die Kacke am Dampfen! Von den 50 Zimtballen konnten gerade noch 30 Ballen gerettet werden. 20 Ballen waren klitschnass, vom Wasser beschädigt. Herrn Hanuschke blieb die Sprache weg, Kapitän Schott war fassungslos, Herr Vetter schimpfte wie ein Hafenarbeiter auf die gesamte Maschinengang. Und tatsächlich hatte jemand von den Flurplattenindianern, ein Maschinenassistent sogar persönlich, Mist gebaut, nämlich zwei Ventile verwechselt. Ich glaube, der Knabe hieß Georg Orthmann. Und der konnte bestimmt in Bremen seinen Sack nehmen und an Land gehen. Ein Ballen Zimt kostete damals 1.000 D-Mark! Also 20.000 D-Mark Ladungsschaden. Kurz vor Genua mussten wir, nachdem die Postluke gelenzt war, erst die trockenen, dann diese nassen Ballen mit Taljen aus dem Raum holen und zum Trocknen nach Luke 5 bringen. So sah die Situation aus, als wir am 22. April 1956 in Genua einliefen. Der Bootsmann war stinksauer. Gott sei Dank waren die Zimt-Ballen nicht für Genua bestimmt gewesen. Die Italiener hätten einen Riesenhallas daraus gemacht, wenn es ihre Ladung gewesen wäre.

      Bei der Mannschaftspost, die wir am 22. April 1956 in Genua bekamen, ging ich leer aus. Der frisch gekürte Marine-Verwaltungsinspektor hatte in der Aufbauphase des Marinestandorts Cuxhaven so viel um die Ohren, dass er nicht zum Schreiben kam. Brainstorming war er jahrelang nicht gewohnt gewesen. Das wurde offenbar gerade nachgeholt. Armer Willi! Die grauen Zellen standen plötzlich unter Strom.

      Wir blieben nicht lange in Genua. Am 23. April 1956 verließen wir die schöne Hafenstadt wieder Kurs Heimat oder Kurs Nordseeküste, hinein in den Frühling an unseren norddeutschen Gestaden. Der 2. Ingenieur gab seinen Pferden die Peitsche, bis die Kolben glühten, und die BAYERNSTEIN stürmte davon, zuerst durch das Ligurische Meer, an Backbordseite Corsica liegen lassend, weiter in Richtung Balearen-Inselgruppe, Menorca an Backbord lassend. Von dort aus zur Südostspitze von Spanien, Cabo de Gata, ganz dicht unter der Küste von Costa del Sol, bis sich der Felsen von Gibraltar voraus eben an Backbord aus der Meerenge zwischen Europa und Afrika erhob. Mittels einer kleinen Kurskorrektur ließen wir „Her Royal Majesty Own Rock“ eben an Steuerbord und fädelten uns beim Näherkommen des Affenfelsens in den ost-west- und nordsüd-laufenden Schiffsverkehr zwischen Atlantik und Mittelmeer ein. Mittelmeer „Tschüssing für diese Heimreise“. Der Atlantik hatte uns spätestens ab Tarifa wieder in seinen Fängen, Wind und See kamen wieder von vorn. Spritzwasser und Salz überall.

      Von Genua bis Gibraltar betrug die Distanz laut Reed’s Marine Distance Table genau 875 Seemeilen, bedeutete also bei unserer Durchschnittsfahrt von 17,5 kn genau 50,1 Sunden oder zwei Tage und vier Stunden. Und in diesen zwei Tagen ließ auch Bootsmann Kurt Tietjen seine Deckspferdchen noch einmal ranrauschen. Die Restarbeiten auf dem Vor- und Achterschiff, zum Beispiel auf den Masthäusern, mussten noch abgeschlossen werden. Es war ein Wettrennen mit der Zeit und dem Wetter, denn Ende April, Anfang Mai konnte man noch mit manchen Überraschungen im Atlantik querab von Portugal und Spanien rechnen. Querab von Cadiz bis Cabo de Sao Vicente blies der Wind noch aus WNW, eine frische Briese, aber kein Spritzwasser an Deck. Wir malten, was das Zeug hielt. Und wir schafften tatsächlich alle Ladewinden auf den Masthäusern des Vor- und des Achterdecks. Doch als die BAYERNSTEIN querab von Cabo de Sao Vicente den Kurs auf Nord bis zum Eingang der Biscaya änderte, da frischte es doch noch einmal auf. Weiterhin wurde es zeitweilig stark diesig und salzigfeucht. Und ab Eingang Biscaya, querab von Cabo Finistere, dem Nordwestzipfel von Spanien, als wir den Kurs auf Ile d’Ouessant-Leuchtfeuer zum Westeingang des Englischen Kanals absetzten und Windsee und Dünung fast querab von Backbordseite kamen, da war endgültig Schluss mit lustig. Alle Deckaufbauten und Luken wurden mit einer salzigen Glasur überzogen. Jetzt wurden alle Farbtöpfe und Pinsel zu Martin Imbusch ins Kabelgatt gebracht, in die großen Farbeimer entleert und alle Pinsel mit Terpentin ausgewaschen und weggelegt.

      Die letzte Strecke von Gibraltar bis querab Cabo Finistere betrug 815 Seemeilen. Bei einer Marschfahrt von 16 kn, bedeutete das zwei Tage Fahrt bei Wind und Dünung von vorn. Die verbliebene Strecke durch die Biscaya, den Englischen Kanal bis zu unserem ersten Hafen Antwerpen betrug nur noch 530 Seemeilen, also 31,2 Stunden. Und da man rechnen konnte, dass man im Kanal bei einer günstigen Tide kräftig geschoben würde, konnte sich die Ankunft sogar noch verfrühen. Und so geschah es auch. Unsere Fahrzeit von Genua bis Antwerpen betrug trotz widriger Wetterumstände für die Distanz von 2.190 Seemeilen 5 Tage und 12 Stunden einschließlich der Revierfahrt auf der Westerschelde. Wir kamen also am 28. April 1956 in Antwerpen an.

      Schon ab Vlissingen, als der belgische Revierlotse an Bord kam, ging es wieder rund an Deck. Auf der Back und achtern wurden die Festmacherleinen an Deck geholt und aufgeschossen. Die vergipsten Ankerklüsen zum Kettenkasten hinein wurden freigemacht, anschließend bei den für Antwerpen zu öffnenden Luken die Ladebäume getoppt und festgesetzt. Das passierte alles noch vor dem Schleusen. Die BAYERNSTEIN war klar zum Löschen. Antwerpen bedeutete wieder erste, zweite, dritte Schicht. Und für diesen Stresshafen mussten auch entsprechend für jede Schicht Decks- und Wachleute eingeteilt werden. Ich wurde der Nachtschicht, also von 22:00 Uhr bis morgens um 06:00 Uhr zugeteilt. Und das waren wieder einige Talerchen mehr, die zu meiner Heuer kamen. Ein Mann ging Fallreepwache und vier Jungens standen dem Wachoffizier zur Seite. Sobald ein Teil des Zwischendecks gelöscht war, wurde das Stauholz (dunnage) zu einer Hieve aufgestapelt und bei passender Gelegenheit an Deck gesetzt. Wenn zwischendurch mal Pause zum Luftholen war, gingen wir ins Kabelgatt, um mit Martin Imbusch Stroppen aus Geiengut für die Reserve zu spleißen, falls die Hafenarbeiter welche benötigten. Zu tun gab es immer etwas, auch wenn es nur Kaffeekochen war.

      Am nächsten Tag teilte mir der Bootsmann beim Mittagessen mit, dass ich in Bremen aussteigen müsse, da es mit einem Teilnehmerplatz auf dem Segelschulschiff DEUTSCHLAND für den Sicherheitslehrgang geklappt hatte. Das hieß, für die Zeit der Rundreise Bremen – Hamburg – Bremen wurde ich für den Crashkursus freigestellt. Mir war das recht. Während der dritten Nachtschicht wurde die Antwerpen-Ladung aus allen Luken gelöscht. Für uns war jetzt wieder Maloche angesagt. Die Ladebäume blieben auf der Reise nach Rotterdam getoppt, alle Luken wurden seeklar gemacht, also seefest geschlossen. Als endlich der Hafenlotse und der Scheldelotse an Bord gekommen waren und auch beide Hafenschlepper stand-by längsseits lagen, wurde das Fallreep eingeholt und „klar vorn und achtern!“ geblasen. Wir nannten solche arbeitsintensiven Nächte „Nacht der langen Messer“. Als die BAYERNSTEIN nach dem Ablegen endlich zur Schleuse bugsiert, eingeschleust, festgemacht war und endlich wieder auf die Westerschelde auslaufen konnten, waren wir alle am Ende unserer Kräfte. Kaffeetrinken hält nicht immer lange wach. Wir waren froh, als draußen auf der Westerschelde das Kommando „Vorschlepper los!“ kam und wir nur noch die Festmacherleinen und Drähte aufzuschießen brauchten. Bis auf die Mitternacht-04-Wache konnten wir uns verpieseln, duschen und anschließend in die Koje kriechen, auch ich. Doch gegen 03:40 Uhr wurde die 04-08-Seewache bereits wieder rausgetrommelt, ob sie wollte oder nicht. Jetzt konnte endlich die 00-04-Seewache unter Deck gehen und Feierabend machen.

      Rotterdam war unser nächster Hafen, ein Katzensprung bis zur Maas, ich schätze mal knapp 100 Seemeilen bis zur Lotsenübernahme vor Hook van Holland. Und dann ging der Spaß von neuem los, „klar vorn und achtern!“ vor der Einfahrt in den Maashaven. Zwei Hafenschlepper hatten uns schon vor der Einfahrt auf den Haken genommen und bugsierten uns langsam von der Maas in das Hafenbecken.

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      Teil des Hafens von Rotterdam mit Maashaven

      Ein schöner Liegeplatz, leider ein bisschen weit ab, um in die City zu kommen. Also unsere Ankunft war am 30. April 1956. Im Maashaven wurde der überwiegende Teil der verbliebenen Ladung gelöscht. Unter anderem gingen die Kautschukballen hier an Land. Auch über die Hälfte der Teekisten wurde hier gelöscht. Die Ballen Zimtstangen mussten noch bis Bremen warten. In Rotterdam hieß es wieder erste, zweite, dritte Schicht. Wieder einmal wurde die Deckscrew gesplittet und auf die einzelnen Schichten aufgeteilt. Und wieder einmal hingen wir am Kaffeekannentropf, denn die Schichten, besonders die Nachtschicht, schlauchten einen mächtig. Aber da mussten wir durch! Auf der anderen Seite, je schneller die Ladung aus den Laderäumen kam, desto früher konnten wir Rotterdam wieder verlassen.

      Und