Klaus Perschke

Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier


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Exkurs einfügen. Außer meinen Erinnerungen, die ich aus meiner damals nach Hause geschickten Post herausfiltern konnte, hatte ich wenig Anhaltsmaterial, nicht viele Fotos, die ich mit meinem einfachen Fotoapparat gemacht hatte. Daraus hätte ich niemals den Teil BAYERNSTEIN fortsetzen können. Aber, wie so oft im Leben, kam mir der Zufall zur Hilfe. Nach meinem Ausscheiden als statistischer Sachbearbeiter beim „Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie“ am 28. Februar 2000 hatte ich ein Angebot bekommen, beim Germanischen Lloyd, als Aushilfskraft im Sachgebiet „Port State Controll“ einzuspringen, denn da war Not am Mann. Der eigentliche Sachbearbeiter, Herr Böpple, hatte gerade eine schwere Herzoperation hinter sich und war ausgefallen. Ein junger Student der Hochschule für Seefahrt, Herr Thorsten Knull, der selbst noch in der Endphase der Prüfung - Abgabe der schriftlichen Hausarbeit - stand, war bis Oberkante Unterlippe mit Arbeit eingedeckt. Er war froh, dass ihm so ein „alter Rentner“ zur Seite gestellt wurde. Allerdings musste er mich erst einmal einarbeiten. Natürlich kam man auch miteinander ins Gespräch über frühere Zeiten. Ich erzählte ihm unter anderem, dass ich als Matrose 1956 auf der BAYERNSTEIN vom NDL gefahren hatte. Das verschlug dem jungen Mann die Sprache. Seine Reaktion war: „Dann müssen Sie meinen Vater kennen, denn der fuhr damals als Offiziersanwärter auf dem Schiff.“ Knull? An den Namen konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Jedenfalls kontaktete Knull Junior seinen Vater in Buxtehude und erzählte ihm von unserer Begegnung. Und es dauerte nicht lange, da besuchte Vater Knull seinen Sohn im Hause des Germanischen Lloyds, um diesen ominösen Rentner kennen zu lernen. Und es entstand eine Art Verhör: „Kennen Sie noch den Bootsmann von der BAYERNSTEIN?“ „Klar, Kurt Tietjen!“ Und den 1. Offizier? Natürlich, unseren unnahbaren Herrn Vetter, der nur mit dem Bootsmann sprach, es sei denn, er hatte einen auf dem Kieker. Und den Kapitän? Ja, doch der Name war mir entfallen. Und als er mir den sagte, wusste ich sofort wieder Bescheid. Kapitän Schott, der Herrscher aller Weltmeere, jedenfalls derer bis Japan. Er nannte noch Harald Beck, Erst Tesch, Martin Imbusch, den Namen des Oberkochs, des 1. Zahlmeisters, den des 1. Funkoffiziers, den des Bordarztes. Ich war erstaunt, dass er diese Namen noch alle zusammenbekam. Es waren noch etliche mehr. Aus diesem ersten sporadischen Treffen beim GL kamen weitere telefonische Kontakte hinzu. Ich grub auch noch andere ehemaligen Kollegen aus, telefonierte in der Zwischenzeit mit ihnen: Harald Hilmer in Cuxhaven, Fritz Almstedt, Ernst Tesch. Wir wollten uns irgendwann einmal in Hamburg treffen, zusammensetzen und Erinnerungen austauschen, die dann auch in diese „endlose Geschichte“ einfließen sollten. Fritz Almstedt, der als Rentner jetzt im Övelgönner Museumshafen einen alten 90jährigen Klütenewer namens „HANNA“ ehrenamtlich betreut, empfahl mir, dort an Bord ein Treff mit den Ehemaligen zu veranstalten. Ich hoffe, es kommt noch zustande. In der Zwischenzeit versuchte ich allein, auf Grund meiner Post von damals, den Anschluss der Zeit vor dem Mast auf der BAYERNSTEIN so gut wie möglich selbst zu meistern.

      Kapitän Schott, ein absoluter Souverän, man sah ihn selten an Deck, der 1. Offizier war der schneidige Herr Paul Vetter, fast unnahbar, wechselte fast kein Wort mit dem niederen Volk, den Jan Maaten. Hin und wieder schiss er einen von uns zusammen, wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen war. Es fuhren auch fünf Chinesen an Bord, die achtern die Schiffswäscherei betrieben. Der Dienstälteste war der „Alte Fritz“, jedenfalls nannte jeder ihn nur Fritz. Die Wäschereigang musste für 91 Mann Besatzung die Bettwäsche, die Arbeitswäsche für die Decks- und Maschinengang, für die Herren der Teppichetagen die Uniformen, für die Stewards die Tischdecken, Servietten und alles Gedöns, womit die Passagiere beeindruckt wurden, waschen. Und wenn das Schiff „full house“ mit 88 Passagieren aufgefüllt war, dann war Hochbetrieb beim Alten Fritzen. Der Alte Fritz war ein „deutscher“ Chinese, hatte die deutsche Staatsangehörigkeit, kam aus Bremerhaven und hatte dort auch eine gut gehende Wäscherei, die von seiner zweiten Frau geleitet wurde. Der Alte Fritz hatte früher, noch vor dem 2. Weltkrieg, bei der Kriegsmarine als Wäscher auf einem der dicken Pötte gefahren, den die Siegermächte nicht versenkt hatten. Er hatte Glück gehabt. Jetzt fuhr er beim NDL, natürlich mit Absicht. Er hatte in Shanghai noch eine große Familie, zu der er Kontakt pflegte, also noch seine erste Frau und einen Sohn aus erster Ehe.

      In so einem großen schwimmenden Betrieb kennt man natürlich nicht jeden. Aber jeder kannte Ernst Tesch aus Timmendorf und Martin Imbusch aus Bremen. Ernst war der Gängesteward. Er musste jeden Morgen die Betriebsgänge mittschiffs fegen und feudeln. Martin war der Kabelgattsteward und zuständig für die Ausgabe von Werkzeug und Farbe, weiterhin der Oberspleißer, wenn es um Tauwerk, Geien und Laderunner ging, die zu spleißen waren. Dann war da noch Leichtmatrose Harald Beck aus Würzburg, der Promenadendecksteward, der schönste Mann von der Decksgang. Er war zuständig für die Ausgabe von Liegestühlen an die Passagiere. Weiterhin war es seine Aufgabe, morgens ab 06:00 Uhr nach dem Deckwaschen auf dem Promenadendeck die Teakholzreling mit Frischwasser abzuschwabbeln. Und wenn die ersten jungen weiblichen Frühaufsteher erschienen, dann hatte Freund Harald viele Aufträge zu erfüllen: „Please move the deckchair in the sun“ usw., usw. Ladies always first!

      Beinahe hätte ich eine sehr wichtige Person unserer 91köpfigen Besatzung vergessen, nämlich Frau Zausch. Frau Zausch war damals um die 50 Jahre alt und die Krankenschwester an Bord. Bei Bedarf, wenn wir auch etliche Kleinkinder unter den Passagieren hatten, musste sie auch als Kindergärtnerin einspringen, zur Entlastung der Eltern, damit die in Ruhe die Reise genießen konnten. In diesem Fall stand Frau Zausch ein nur für Kinder eingerichteter Raum zur Verfügung, der mit Spielzeug und Unterhaltungsspielen ausgestattet war. Und sie hatte dann auch allerhand mit den Blagen zu tun, denn die konnten sie ganz schön auf Trab halten. Wir hatten damals das Gefühl, als wenn Frau Zausch unseren Bootsmann heimlich anhimmelte. Wie gesagt, es war nur eine Vermutung. Frau Zausch war besonders gefragt, wenn das Schiff rollte und stampfte und die Eltern seekrank waren. Dann lagen die Kinder der seekranken Eltern ganz in der Obhut von Frau Zausch.

      Nach dem Inhalt meines ersten Briefs vom 22.01.1956 an meine Eltern musste ich damals im Auftrage des „Recruting Office“ des NDL direkt von der REIFENSTEIN an Bord der BAYERNSTEIN übersteigen und wurde am 18.01.1956 in Bremen angemustert. Von Bremen aus ging die erste Fahrt der Rundreise nach Hamburg zum Laden. Danach ging es wieder zurück nach Bremen, um die Restladung aus deutschen Häfen an Bord zu nehmen. Es war Schlechterwetterzeit. Und da bei diesem Wetter kein Seelotse versetzt werden konnte, war der Weserlotse bereits aus Geestemünde nach Hamburg gekommen und fuhr mit uns als Gast bis zur Weseransteuerung. Diese kurze Strecke der Reise hatte es in sich. Draußen bei Feuerschiff ELBE 1 hatten wir einen Kuhsturm aus NW, Stärke 10. Das Schiff machte im noch nicht abgeladenen Zustand heftige Bocksprünge und kam mächtig ins Rollen, als es in die Weser einlief. Trotzdem lief die BAYERNSTEIN noch 15 kn bei dem Schietwetter. Ich hatte wieder einmal das Glück, die 4-8-Wache gehen zu dürfen. Insgesamt waren wir drei Mann, die sich die Wache teilten: 1 Stunde und 20 Minuten am Ruder stehen, weiter 1 Stunde und 20 Minuten Ausguck in der Brückennock gehen und 1 Stunde und 20 Minuten „stand-by“ unter Deck, das hieß, am Ende der Seewache die nächste Wache zu wecken und für sie Kaffee zu kochen.

      Wie war ich untergebracht auf diesem Schiff? Also, meine Wenigkeit wurde midships in einer Zweimannkammer einquartiert. Der Rest der Decksbauern wohnte achtern. Ich war mit meiner Räumlichkeit vollauf zufrieden. Anfangs musste ich mich erst daran gewöhnen, statt der gewohnten Schraubengeräusche nun das Singen der Hauptmaschinen zu hören. Wahrscheinlich waren das die hohen Frequenzen der Turbolader. Meine Kammer hatte auch einen Nachteil: Bei schlechtem Wetter mussten die Bullaugen geschlossen bleiben, sonst wäre der Blanke Hans eingestiegen. Aber das wurde wettgemacht durch den Vorteil, dass die Kammer fließend warmes und kaltes Wasser hatte, ein Luxus, auf den die Decksbauern achtern verzichten mussten. Mit mir auf dem Betriebsgang wohnten etliche Stewards und das Maschinenpersonal. Weiterhin war mein Weg zur Mannschaftsmesse relativ kurz.

      Der Aufenthalt im Hafen von Bremen war immer recht arbeitsintensiv: erste, zweite, dritte Schicht. Der Bootsmann und Martin Imbusch teilten sich die Decksaufsicht, wir, der Rest der Deckscrew, wurden auf die Schichten verteilt, immer stand-by, Stauholz in die Luken, wenn Not am Mann war. Anschließend, als es dem Ende zuging, eine Luke nach der anderen seeklar machen, Bäume niederlegen usw. Wir luden unter anderem als Deckslast, feuergefährliche Chemikalien oder Säuren und Laugen in Fässern und Demijohns. Und die wurden stets auf dem Vorschiff in den Seiten neben den Luken 2 und Luke 3 platziert, mit Stauholz eingeschalt und gelascht. Wir hatten also genug zu tun.

      Bei