Thomas M Hoffmann

Blutgefährtin 3


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Erwartungsvoll stehe ich auf. Großvater bleibt im Eingang stehen und betrachtet mich mit Augen, die verdächtig feucht glänzen.

      «Du siehst ganz großartig aus, mein Schatz» sagt er mit rauer Stimme, die verrät, wie gerührt er ist.

      Doch ich kenne meinen Großvater ziemlich gut, ich weiß, welche Gedanken ihm durch den Kopf gehen. Ich erinnere ihn an eine andere Hochzeit vor sieben Jahren, als Tante Anna kurz entschlossen Onkel Daniel geheiratet hatte. Damals lebte Großmutter noch und Großvater wünscht sich nichts sehnlicher, als dass sie mein Glück noch hätte miterleben können. Vorsichtig, um mein Kleid nicht durcheinander zu bringen, umarme ich ihn.

      «Sie sieht jetzt zu und freut sich mit uns, da bin ich mir sicher» flüstere ich.

      Großvater lächelt mir traurig zu. Obwohl er sich an dem Glauben von Großmutter ein Beispiel genommen hat und sich in den letzten Jahren in der Kirche engagiert hat, ist er sich nicht so sicher, ob das mit dem Leben nach dem Tod und dem Himmel wirklich stimmt. Ich dagegen bin sicher. Als ich vor ein paar Monaten an der Schwelle des Todes stand, ist mir Großmutter in einer Weise begegnet, die mich dazu gebracht hat, zu kämpfen statt aufzugeben. Zwar bin ich trotzdem gestorben, aber ich konnte immerhin durch meine Verwandlung das zweite Leben beginnen.

      «Du bist wohl ziemlich aufgeregt, was Trish?»

      Großvater hat meine Hände mit den seinen umschlossen und reibt sie vorsichtig. Vermutlich ist ihm aufgefallen, dass sie sich sehr kalt anfühlen. Ich könnte ihm sagen, dass das normal ist, da Vampire lediglich eine Körpertemperatur von etwa 20 Grad haben. Aber die Komplikationen, die so ein Geständnis mit sich bringen würde, wären diesem Tag nicht angemessen. Heute will ich glücklich sein und mit allen Freunden feiern.

      «Natürlich bin ich aufgeregt. Schließlich ist es das erste Mal, dass ich heirate.»

      «Dann sollten wir Pierre, den Priester und die Gäste nicht weiter warten lassen.»

      Großvater drückt meine Hand, wobei er mich auffordernd anschaut. Ich nicke und lasse mich von ihm zu der Treppe führen. Vorsichtig steige ich die Stufen hinunter. Ich will weder auf mein Kleid treten, noch mit den ungewohnt hohen Absätzen umknicken. Nicht dass ich viel Angst um meine Gelenke haben müsste, Vampire stecken selbst schwere Verletzungen ziemlich schnell weg. Aber wenn mir ein Absatz abbricht oder das Kleid zerreißt, wäre das schon recht ärgerlich. Großvater ist mir immer eine Stufe voraus und sorgt dafür, dass ich das Gleichgewicht problemlos halten kann.

      Ich habe den Bereich vor dem Gottesdienstraum noch nicht erreicht, da spüre ich die Intensität der Energie, die aus dem Innenraum der Kirche strahlt. Der Raum muss gepackt voll sein von übernatürlichen Wesen, von vielen alten und gefährlichen Vampiren. Das bedeutet, dass die meisten gekommen sind, die wir eingeladen haben. Tante Anna ist schließlich die Auserwählte, die Königin aller nicht-europäischen Vampire. Wenn die Nichte einer so hochgestellten Persönlichkeit heiratet, dann ist das eben ein Ereignis, das selbst in den entfernteren Ecken der vampirischen Gesellschaft bemerkt wird.

      Inzwischen haben wir das Ende der Treppe erreicht. Tante Anna und Pierre warten bereits auf uns. Für einen Augenblick stockt mir das Herz, mein Blick verengt sich, alles tritt in den Hintergrund. Ich sehe nur noch Pierre, die Liebe meines Lebens. Er steht da, strahlend wie damals, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Seine schlanke, athletische Gestalt, seine ebenmäßigen Gesichtszüge, seine raubtierhafte Ausstrahlung überwältigen mich und wenn er nicht schon seit über zwei Jahren mein gewesen wäre, ich hätte in diesem Moment alles dafür gegeben, ihn für mich zu gewinnen. Er hat einen perfekt sitzenden, schwarzen Anzug an, ein weißes Seidenhemd und ein fast als Krawatte gebundenes Halstuch. Und er blickt mich an, als würde er etwas unglaublich Wertvolles sehen.

      Ein warmes Gefühl, ja Ehrfurcht, durchströmt mich. Es ist ein wahres Wunder, dass dieser Mann mein ist, zu mir gehört und in wenigen Augenblicken zusätzlich auch noch mein Ehemann sein wird, verbunden mit mir bis in alle Ewigkeit. Vorsichtig nähere ich mich ihm, strecke meine Hand aus. Sein Lächeln umschmeichelt mich und als sich unsere Finger berühren, durchzuckt mich der ach so vertraute Blitz der Spannung, die zwischen uns herrscht.

       Meine Liebste

      Pierres Gedanken umschließen mich wie ein warmer Luftstrom, auf dem mein Herz in die höchsten Ebenen des Himmels getragen wird.

       Mein Liebster

      Viel mehr kann ich nicht formulieren, der Rest geht unter in dem Chaos der Gefühle, die dieser Moment in mir auslöst. Für eine Ewigkeit stehen wir da, unsere Blicke und Gedanken ineinander verwoben, erst Großvater bringt uns wieder zurück in die Gegenwart. Er räuspert sich laut.

      «Ich glaube, wir sollten unsere Gäste nicht länger auf euch warten lassen, meint ihr nicht auch?»

      Tante Anna sagt nichts, aber sie nickt mir lächelnd zu. Also nicke ich auch, ergreife die Hand von Großvater und lasse mich von ihm den Gang zum Altar hinunterführen. Neben mir geht Pierre, seinerseits von Tante Anna geführt, die die Rolle der Bräutigammutter einnimmt.

      Unter den Klängen des Hochzeitsmarsches, den die Orgel angefangen hat zu spielen, erheben sich unsere Gäste. Der Anklang, den unsere Hochzeit findet, ist überwältigend. Auf der einen Seite sehe ich alle wichtigen Vertreter aus der Welt der Vampire. Dort ist Vlad Dracul, der älteste und stärkste Vampir Europas, der alleine mit seiner Ausstrahlung den gesamten Raum beherrschen könnte. Dann sehe ich Louis, den Führer der französischen Vampire und Jean, seinen Stellvertreter. Neben ihm steht Germaine Lorraine, Jeans ehemalige Gefährtin, die nun wegen ihres Alters seine großmütterliche Beraterin und Freundin ist. Neben Germaine steht eine Frau, die ich nicht kenne, von der ich aber vermute, dass sie Jeans aktuelle Blutgefährtin ist. Ich habe diese Beziehung immer etwas seltsam gefunden, ich wäre niemals in der Lage, Pierre eine neue Blutgefährtin zu beschaffen, wenn ich zu alt geworden wäre, diese Rolle auszufüllen. Nun, das Problem stellt sich jetzt nicht mehr, jetzt bin ich auf Ewigkeit mit Pierre verbunden. Natürlich sind auch Onkel Daniel und mein Cousin John-John da, die beides Gestaltwandler sind. Onkel Daniel ist sogar eines der führenden Mitglieder der Gestaltwandler Gemeinschaft und John-John wird ihm irgendwann einmal als Wissensbewahrer nachfolgen.

      Auf der anderen Seite stehen unsere menschlichen Freunde und Bekannten. Ich sehe Chloé und Inès, die in der Schule meine besten Freundinnen waren, da sind Kala, Francine, Madelaine und Emile, meine Freunde aus Montpellier. Catherine, Jules und einige Angestellte aus dem Weingut sind natürlich auch da, ebenso wie Charles, unser treuer Butler. Sogar die drei Angestellten unseres Weinhandels sind da, obwohl wir erst vor wenigen Monaten angefangen haben, zusätzliches Personal dafür einzustellen.

      Nur eine ist nicht da, aber an sie will ich jetzt nicht denken.

      Die meisten der Menschen hier wissen nichts von der übernatürlichen Welt. Bei einer so geballten Anwesenheit von Vampiren wird es richtig spannend zu sehen, ob jemandem bei der Feier nachher etwas auffällt. Ich bin froh, dass Charles die Organisation des Buffets in den Händen hatte, obwohl sich Catherine mehrmals beschwert hatte, dass Charles viel zu wenig Essen vorsehen würde.

      Alle, Menschen, wie übernatürliche Wesen, lächeln uns dermaßen strahlend an, dass ich nicht anders kann, als mich über alle Maßen zu freuen. Ich bade in dem Glück, das mich von allen Seiten umgibt, der Liebe, die mir von Pierre zuströmt, dem Frieden, den ich im Herzen verspüre. Ich bin da, wo ich sein will, wo ich bleiben will, wo mein zuhause ist. Pierre und ich haben eine Ewigkeit vor uns, wir werden nicht altern, nicht krank werden, für immer zusammen sein. Was könnte es Schöneres geben?

      Mein Kopf dreht sich, als ich mich an der Seite von Pierre auf den Stuhl setze, der vor den Stufen zum Altarraum aufgestellt wurde. Großvater lässt mich los, um zu seinem Platz zu gehen und der Priester fängt an, die Gemeinde zu begrüßen. Aber seine Worte und das, was die Gemeinde tut, gehen in einem Rauschen unter. Pierres Gedanken berühren mich sanft, er überträgt keine Worte, sondern seine Gefühle. Ich spüre seine Bewunderung für mein Kleid, für mein Aussehen, seine Ehrfurcht, mich zu kennen und lieben zu dürfen, sein Versprechen, bei mir zu sein. Beinahe hätte ich angefangen zu weinen. Ich öffne mein Inneres und lasse Pierre meinerseits