Gerd Ruttka

Nachtdienste


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eine dringende Ausrede um nicht mit dem Wände - Streichen oben im zweiten Stockwerkes anzufangen, jetzt wo ich ausgeschlafen habe."

      Sie verabredeten sich auf den Nachmittag des gleichen Tages

      Der Kollege erwies sich als smarter junger Mann, der eher wie ein Börsenmakler, denn wie ein Polizeibeamter gekleidet war. Die Aktentasche die er unter seinem Arm trug vervollständigte den Eindruck.

      "Muss ich jetzt Angst haben, weil sie zu zweien kommen?"fragte Hanna, als sie im Wohnzimmer saßen. "Nein wie bereits erklärt: Herr Keller ist nur dabei, weil er diesen Teil in ihrem Tagebuch entdeckt hat. Normalerweise arbeitet er nicht mehr bei uns, aber ihre vielen Tagebücher haben es notwendig gemacht, jeden der mitlesen wollte einzuspannen."

      Sie setzten sich an den Kaffeetisch, jeder nahm einen Schluck Kaffee. Dann holte der junge Beamte das Tagebuch aus seiner Aktentasche. Er schlug eine Seite auf, die mit einem Blatt Papier gekennzeichnet war, legte das Tagebuch vor Hanna hin, deutete auf eine Stelle und fragte: " Was haben Sie damit gemeint?" Hanna las: ".................sagte sie sei aus Sachsen, aber irgendwie hört sich die Aussprache gelegentlich für mich ganz anders an. Ach, was, ich bin ja keine Phonetikerin. Es geht mich nichts an, woher sie kommt........."

      "Was ich damit gemeint habe? Naja, in Sachsen und sächsisch kenne ich mich nicht aus.

      Aber als Kinder sind mein Bruder und ich häufig mit unserer Mutter, die schwäbische Dialekte untersuchte, im Schwabenland gewesen. Wobei unsere Mama uns die Unterschiede bei der Aussprache von Lauten erklärte. Das ist ja von Dorf zu Dorf verschieden."Der junge Beamte nickte, verstehend und zusagend zugleich, mit dem Kopf.

      "Mama konnte genau sagen von welchem Ort oder sogar von welchem Weiler derjenige kam, wenn sie jemand sprechen hörte. Irgendwie kam es mir immer vor, als hätte bei Rita irgendwie die schwäbische Sprache durchgeschienen."

      Keller blickte Steezer triumphierend an: "Siehst du, Steezer, ich habe richtig gelegen, dass sich das "anders anhören" sicher auf einen schwäbischen Dialekt bezieht." "Oh, sie sind auch Phonetiker?"fragte Hanna, "was ist ihr Schwerpunkt? Schwaben oder Sachsen? "

      "Nein, nein antwortete Keller, "ich mache so nebenher vergleichende Phonetik, Schwerpunkt Süddeutschland." "Und da haben sie auf schwäbisch getippt?" Hanna war interessiert, "Warum denn das?"

      "Das wäre zu viel für die kurze Zeitspanne, wenn man es eingehend schildern wollte. Außerdem wäre es zu umständlich das genau zu erklären, aber mit ein paar wenigen Worten: In Sachsen gibt es Regionen mit verschiedenen schwäbischen Einschlägen, im südl. Sachsen gibt es einen schwäbischen Einschlag."

      "Sonderbar! " überlegte Hanna laut, "jetzt weiß ich auch wieder an was mich die Aussprache erinnert hat: die Gegend um Gomaringen."

      Steezer war interessiert: "Dies Hobby; können sie auch herausfinden woher ich bin?"

      "Eindeutig Frankfurter Raum", warf Hanna hin. "Da können sie noch so wunderschön Hochdeutsch sprechen, das Frankfurter "A" bekommen sie nie aus ihrer Sprache weg. Und zu Herrn Keller, Karlsruhe- Bruchsal mit pfälzischem Einschlag, kann Rheinhafen sein oder vielleicht Richtung Schwetzingen."

      "Richtig", lachte Keller, " jetzt glaube ich Ihnen auch das Gomaringen."

      Die Männer standen auf, "Wir werden sie wieder belästigen, wenn wir noch Infos benötigen." Mit diesen Worten verabschiedeten sich die beiden Beamten.

      Wieder vergingen ein paar Tage. Im Nachtdienst war an diesem Tag der Medikamentenschrank von Anfang an nicht zu öffnen. So hatte Hanna genügend Zeit, sich dem Fernsehprogramm zu widmen.

      Noch während sie den Frühstückstisch zu Ende deckte, hörte sie mit einem halben Ohr, wie der Moderator von einer geheimnisvollen Fall mit einer unheimlich anmutenden Geschichte über ein unbekanntes Brandopfer sprach. Sie war fertig, betrat den Fernsehraum, als der Moderator fragte: Wer kennt diese Frau? Hanna sah das Bild. "Rita" entfuhr es ihr, sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Doch schon ratterte der Moderator die Daten herunter: Größe, Haarfarbe......... rufen sie uns an, unter der Nummer.

      Sie hörte nicht mehr weiter zu. Ihr fiel eine Begebenheit ein, die sich genau in diesem Frühstücksraum zugetragen hatte. Eine Begebenheit, von der sie sich sicher war, dass sie diese nicht im Tagebuch vermerkt hatte: Rita, die angeblich Krankenschwester in den neuen Bundesländern gewesen war, hatte bei dem Diabetes einer Bewohnerin erstaunliche Aktionen gestartet, die so gar nicht mit den ihr selbst bekannten Empfehlungen und Aktionen in Einklang zu bringen waren. Als sie diese in einer ruhigen Stunde darauf ansprach, lachte Rita "Ach, das liegt wohl daran, dass ich für die Karies-Prophylaxe zuständig war."Sie selbst hatte über diese Antwort nicht wirklich nachgedacht, sondern sie als gegeben hingenommen. Erst später, viel später war ihr aufgefallen, dass Kariesprophylaxe eigentlich wohl kaum eine Arbeit für eine Krankenschwester war, sondern eher in den Arbeitsbereich einer Zahnarthelferin fiel.

      Sie rief bei Steezer an. "Was mir gestern bei der XY Sendung noch eingefallen ist."Sie schilderte die Begebenheit.

      "Das trifft sich gut", Steezer war weder schlecht gelaunt noch unfreundlich. Sachlich und kurz wirkte er manches Mal bei Menschen die ihn nicht kannten unhöflich. Er wusste das selbst, deshalb fügte er hinzu: "Wir haben einen ernst zu nehmenden Hinweis, der in die Gleiche Richtung geht, aber nur ein ' Könnte sein' beinhaltet. Auf jeden Fall, 'Danke', dass sie uns informiert haben."

      Zwei Tage später stand Steezer in einem kleinen Wäldchen in Frankfurt nahe des Autobahnzubringers, der direkt über die Mainbrücke zum Bahnhof führte. Die Kollegen der Mordkommission aus Frankfurt, die ihn informiert hatten, als sie das Gesicht der Frau als das aus der XY- Sendung erkannten, zeigten ihm den Fundort, erklärten die Spuren, erörterten schließlich die Position des Wäldchens. " "Es ist immerhin sehr wahrscheinlich, dass die Frau nicht in Frankfurt war, sondern irgendwo außerhalb getötet wurde. Wäre der Täter aus Frankfurt gekommen, hätte er die Leiche wohl auf der anderen Seite des Zubringers abgelegt."

      Steezer stimmte dem Kollegen zu, wandte dann jedoch ein, dass der Täter vielleicht Verwirrung stiften wollte. Sie kamen überein, dass man die Berichte der Gerichtsmedizin und der KTU abwarten wolle, bevor man weitere Schritte plante.

      *

      Der Bericht der Gerichtsmedizin las sich wie eine Beschreibung des menschlichen Körpers, es gab fast keine Stelle an diesem Körper, die nicht mit Hämatomen übersät war. Ob Hinterkopf, ob Gesicht, ob Oberkörper oder Arme, Ob Hände oder Füße, ob Unterleib oder Gesäß überall war die gleiche Beschreibung : Hämatome, blutige, eiternde unversorgte Wunden überall. Die Knochen die man brechen konnte ohne die Lebensfunktionen zu treffen waren mit Hilfe eines Gegenstandes gebrochen worden: Beine und Arme waren an mehreren Stellen gebrochen, das Gesicht war ein einziger Brei. Keine Folgen eines Verkehrsunfalles, standen da zu lesen. Sie war völlig abgemagert, offenbar hatte sie einige Zeit noch Essen und Getränke bekommen, dann jedoch hatte man sie verhungern und verdursten lassen.

      Steezer schob den Bericht von sich, stützte sein Kinn auf die Hand- und bemerkte wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Seine Gedanken begannen sich zu formieren, kreisten jetzt um die Fragen, die dieser Fall aufwarf.

      Sein erster Gedanke sprach für einen geistig gestörten Massenmörder mit nur einer Ambition: Möglichst Frauen in seine Gewalt zu bekommen geistig so unter Druck zu haben, und Ergötzen und Befriedigung- eventuell sogar im sexuellen Bereich- darin zu finden, die Frauen langsam bis zum Tode zu quälen. In diesem Fall waren Ihnen die Hände gebunden, bis das nächste Opfer gefunden wurde.

      Hoffentlich das nicht, überlegte Steezer, hoffentlich ist es eine einfache persönliche Sache zwischen Täter und Opfern. Eine Sache weswegen die beiden Frauen sich selbst neu erfinden mussten, um nicht gefunden zu werden. Eine Sache die mindestens 20 Jahre zurücklag.

      Halblaut murmelte er vor sich hin: "Was habt ihr beiden nur angestellt, dass irgendjemand einen solchen Hass gegen Euch beide entwickelt hat."Was könnte einen Menschen soweit treiben, dass er sprichwörtlich zum Tier wird?

      Er nahm den Telefonhörer ab, gab knapp die Anweisung: "Die Soko trifft sich in zwei Stunden im kleinen Konferenzraum- Keiner darf fehlen- bitte, gib