Gerd Ruttka

Nachtdienste


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erfahren."

      *

      Steezer sah sich im Konferenzsaal um. Alle Kollegen der Soko waren anwesend, selbst die die eigentlich frei hatten. Werner Heberer war sehr ungehalten: "Also, Jürgen ich frag' mich schon, warum ich meinen ersten freien Tag seit 4 Wochen hier verbringen muss. Nächstes Mal bin ich einfach nicht mehr zu erreichen wenn ich frei habe."

      Die Abteilungssekretärin kam herein, legte jedem der Anwesenden eine Kopie des Berichtes der Gerichtsmedizin vor. Ohne ein Wort zu äußern ging sie wieder hinaus.

      Heberer nahm, ebenso wie die anderen Kollegen, das Blatt in die Hand, überflog es, dann las er es genau durch.

      "OK", äußerte er sachlich, aber mit leicht belegter Stimme. Er räusperte sich, bevor er weitersprach, "ich nehm' meinen Protest zurück. Du willst vermutlich die ersten Ergebnisse hören um herauszufinden was wahrscheinlicher ist, ein Massenmörder oder ein persönlicher Racheakt."

      Steezer war kein Mann vieler Worte. Ebenso sachlich antwortete er mit einer Stimme der man die Anstrengung sachlich zu bleiben nicht anhörte.

      "Richtig. Am besten, Du legst gleich los- was habt ihr bei den Computerfreaks inzwischen erreicht."

      "Die sind noch eifrig am entknoten, aber sehr viel gibt es für uns momentan noch nicht. Wir wissen nur was über den Computer gezaubert worden ist- besser sollte man sagen: gelenkt worden ist, das ist uns bekannt, aber von wem und von wo aus, das ist uns noch immer ein Rätsel.

      Die beiden Damen scheinen aus dem Nirgendwo gekommen zu sein, irgendwo aus der Luft gekommen, vom Himmel herabgefallen, aus der Hölle heraufgestiegen, wir können es nirgendwo herausfinden. Was wir herausfinden konnten ist: Vor 17 Jahren sind sie bei uns im Kreis aufgetaucht.

      Offiziell aus Zwickau kommend haben sie sich mit echten Papieren regulär angemeldet, die Meldung ging vom Einwohnermeldeamt in Darmstadt regulär nach Zwickau, die Rückmeldung kam ordnungsgemäß zurück. Das Problem ist, dass die Meldung irgendwo Netz abbog und die Rückmeldung brachte, ohne dass jemals etwas in Sachsen ankam. Als die beiden ihre Papiere erneuerten lief es genau so, nur, dass sie jetzt erstmals nachvollziehbar irgendwo wohnten. Zuvor gibt es keinen Hinweis, dass die beiden Frauen je existierten. Die Freaks unter uns sind bei dem Versuch diese Zauberstücke zu entzaubern, aber die Wege sind sehr mühsam. Bei dem Versuch sie zu finden sind sie täglich mehrmals aufgelaufen. Aber ich möchte sagen, die Kollegen kommen in Trippelschrittchen voran."

      "Wir haben eventuell einen Anhaltspunkt."Karoline Kaiser meldete sich zu Wort. "Wir hatten 13 Anrufe mit dem gleichen Inhalt aus dem Raum Gomaringen in Baden - Württemberg. Das waren Rentner und Rentnerinnen, die erklärten, dass eine ihrer Schulkameradinnen ganz genau so ausgesehen hätte, aber die wäre mit dem Ehemann nach dem zweiten Weltkrieg nach Südamerika ausgewandert. Wir haben bei allen Botschaften angefragt, auch in Nordamerika, Canada und den Mittelamerikanischen Staaten. Aber wir haben noch keine Rückantwort."

      "Gomaringen? das erstaunt mich jetzt nicht wirklich. Gutt, weiter so, ihr informiert mich wenn es etwas Neues gibt. Offenbar", überlegte Steezer laut, "waren die beiden Frauen schon länger hier in Deutschland, wenn sie Papiere hatten. Helga, habt ihr in der Wohnung irgendetwas gefunden das auf die Vergangenheit der beiden hinweist? Habt ihr Hinweise, was und wo sie gearbeitet haben? Gibt es überhaupt etwas, das die beiden als Personen nachweist. Quittungen, Rechnungen, zuzuordnende Kleidung? Schmuck oder Wertgegenstände?"

      "Schmuck, aber alles innerhalb der letzten 20 Jahre in Deutschland gekauft. Bis auf 2 Broschen. Zuerst hatten wir die auch für billigen Import im Indiostil gehalten, aber der Sachverständige hat erklärt, dass die beiden Broschen aus schwerem echtem Silber mit einem Indianischen Motiv vor rund 40 Jahren in Chile gefertigt wurden."

      "Das hört sich vielversprechend an."Steezer schien zufrieden, "ihr setzt Euch dann mit Werner zusammen". Er wollte aufstehen.

      "Da ist noch etwas, " fügte Helga hinzu."Eines der Zimmer war völlig leergeräumt, nach den Spuren zu urteilen war es voll mit Elektronik. Wir nehmen an, dass eine der Schwestern IT-Spezialistin war und irgendwo als solche gearbeitet hat. Außerdem sind die beiden Autos der Schwestern nicht aufzufinden." Carlo Maretto mischte sich nun ein. "Mit den Autos sehe ich schwarz. Der Weg in den Osten ist gepflastert mit gefälschten Papieren jeder Art. Aber wenn man weiß, dass dort Elektronik in großem Stil war, müsste man doch einhaken können." Heberer nickte. "Da werden wir mal damit weitermachen- vielleicht finden wir das Notwendige beim Verkäufer der Geräte, um dann dort reinzugehen."

      Steezer erhob sich, er reckte sich. "So, das wär's dann Leute, jeder von Euch weiß jetzt was Sache ist. Vielleicht haben wir es mit einem schwachsinnigen Massenmörder zu tun. Ihr wisst dann müssen wir jede Minute damit rechnen, dass wir neue Opfer haben. Ich selbst habe zwar den Eindruck, dass dies eine recht einfache Sache ist, wenn wir erst mal den richtigen Faden haben. Dass die Sache nur die beiden betrifft, die es getroffen hat. Dass es nichts und niemanden sonst, einfach nur die beiden Schwestern betrifft. Aber wir werden dennoch in alle Richtungen ermitteln, bis wir den Faden haben. Also bleibt dran, damit wir keine neue Scheußlichkeit geboten bekommen."

      Die Konferenz löste sich auf. Jeder ging seiner Aufgabe nach, während Steezer sich in seinen Sessel zurücklehnte und nachdachte. Er seufzte, nahm sich schließlich die Akte mit den Anrufen nach der XY Sendung vor.

      Fast alle hatten den gleichen Inhalt: eine ehemalige Schulkameradin hatte ganz genau so ausgesehen. Sie war nach dem Krieg mit ihrem Ehemann nach Amerika, vermutlich Südamerika ausgewandert.

      Diese war damals um die 20, hatte in einer Schnelltrauung in den letzten Kriegsmonaten mit einem Schulkameraden eine Soldatenehe geschlossen. Die meisten wussten nicht mehr, nur ein Geschwisterpaar behauptete mehr zu wissen, wollte das jedoch nur dem Kommissar sagen.

      Er mailte an die Kollegen in Gomaringen, dass er morgen gegen Mittag zu Ihnen käme, sie sollten das Geschwisterpaar einbestellen, oder aber ihn dort anmelden, und bat um einen ortskundigen Begleiter.

      Steezer sah auf seine Uhr. Es war 5, seine Thermoskanne war leer, in einer halben Stunde würde die Kantine schließen, und er hatte Hunger. Er räumte die Akten in seinen Schreibtisch, schloss diesen ab, nahm seine Jacke und ging in die Kantine um noch etwas Essbares zu erhalten.

      "Seit Evi weg ist, holst Du Dir hier nur noch Belegte, matschigen Salat und lauwarmen Kaffee", überlegte er auf dem Weg in die Kantine", Das muss sich entschieden ändern."

      Evi war- noch -seine Frau. Die Scheidung lief. Sie hatte, für ihn völlig unerwartet, festgestellt, dass "Jetzt wo die Kinder fast erwachsen und raus sind" sie sich selbst finden müsse. Steezer schoss allerhand durch den Kopf, angefangen bei einer Indienreise über Wohnen in einer Kommune, hin zu Selbsterfahrungskursen. Er fand auch zunächst keine Worte, aber er war erleichtert, als Evi erklärte, sie habe sich jetzt eine Arbeitsstelle gesucht.

      Er stimmte ihr zu, dass das ein vernünftiger Schritt gegen die Langeweile zu Hause war. Die Arbeitsstelle war in Mannheim. Jeden Morgen ein Stunde Anfahrt nahm sie gerne in Kauf, um dort zu arbeiten.

      Manches Mal kam sie abends spät, sehr spät. "Viel Arbeit" erklärte sie, Steezer kannte das von seiner eigenen Arbeit.

      So fiel er aus allen Wolken, als sie ihm eines Tages erklärte, dass sie nach Mannheim zöge. "Damit da keine Unklarheiten aufkommen, ich ziehe mit einem Mann zusammen, bin also endgültig weg."

      Das Haus könne er behalten, sie wolle sich ja schließlich nicht mit der Hypothek belasten. Sie nahmen sich gemeinsam einen Anwalt, der alles in die Hand nahm. Jetzt gehörte ihm das Haus, die beiden Autos, der Anwalt war bezahlt. Der Rest des Barvermögens lag auf Evis Konto.

      Das Haus, das genau zwischen zwei Straßen an einen Berg gebaut war, die 3 Stockwerke schräg versetzt, lag praktischerweise so, dass sowohl das untere als auch das obere Stockwerk direkt an einer Straße lag.

      Das Haus war so gebaut, dass jedes Stockwerk einen großen Raum, drei kleinere Räume, eine Toilette, einen großen Raum mit Wasseranschluss hatte. Steezer und seine Familie hatten in den beiden unteren Stockwerken ihren Wohnbereich, im mittleren die Schlafräume, dahinter die Kellerräume mit der Heizung, im oberen Stockwerk lag eine Wohnung, die von