Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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ihn immer mit einem Lächeln, aber Dennis hatte sie zuvor immer tuscheln hören.

      Furchtbar, Julia hat ihren Bluterguss noch immer. Aber ich habe ihr versprochen, dass er bald weggeht. Gott sei Dank!- Und genau das hatte Julia, ein Mädchen aus der vorigen Einrichtung, ihm auch Tage zuvor auf die Nase gebunden. Bald bist du endlich weg!, sagte sie gehässig Dann kannst du hier keinem mehr wehtun. Aber so war es eben, Erwachsene logen. Damit hatte sich Dennis schon lange abgefunden.

      Mistress Parker, die Leitung des Arch Orphin, fühlte sich etwas beklommen, als sie den kleinen Jungen mit den wuscheligen, braunen Haaren und dem schmuddeligen Aussehen musterte. Sie hatte dem Paar nicht die ganze Wahrheit gesagt, als es mit der Bitte zu ihr kam, ihnen ein Kind zu vermitteln. Sie hatte Dennis als auffällig und mit einer Bindungsschwäche beschrieben, obwohl Dennis mehr als auffällig, eher aggressiv und geradezu bindungsgestört war, sogar bindungsunfähig. Etwas, das sich wohl nie beheben lassen würde. Dafür war er mit seinen sieben Jahren schon zu alt.

      Der Weg über die Ämter ist ein langer. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass das Paar froh sein soll, endlich ein Kind haben zu dürfen. Das war heute nicht mehr so einfach, obwohl es unzählige Kinder gab, die ein neues Zuhause

      brauchten. Doch die Zahlen misslungener Vermittlungen, waren dafür einfach zu groß.

      Dennis wich ihrem Blick immer aus. Mistress Parker schob ihre Brille in eine bequemere Position und faltete ihre Hände auf den Papieren zusammen. „Dennis, das sind Mistress und Mister Reacher. Sie sind heute hier, weil sie gerne ein Kind adoptieren möchten.“

      Dennis sah aus dem Augenwinkel zu dem Paar rüber. Seit er den Raum betreten hatte, hatte er sie nicht ein Mal direkt angesehen. Doch das Paar schien geduldig zu sein und lächelte weiterhin freundlich.

      Mistress Reachers Hände lagen auf ihrem Schoß, während sie beinahe kerzengerade auf dem Stuhl saß. Ihre rotblonden Haare waren zu einem strengen Zopf gebunden. Sie wirkte, ebenso wie ihr Mann, ein wenig bieder und spießig. Mister Reacher trug über seinem hellblauen Hemd einen grauen Pullunder, der ihn in Kombination mit seiner Brille wie einen Lehrer wirken ließ.

      „Dennis." Auch Mistress Parker lächelte nun freundlich.

      Dennis erinnerte sich an das falsche Lächeln, das ihm bisher immer geschenkt worden war. Es war genau das gleiche. „Möchtest du ein schönes Heim haben?“, fragte Mistress Parker nun. Dennis zuckte die Schultern. Wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Was war schon ein schönes Heim?

      -Das hier war es nicht und die Heime zuvor auch nicht. War das, wo die Leute her kamen auch ein Heim? Wurde er in das nächste Waisenhaus vermittelt?

      „Wir haben Hunde“, bemerkte Mistress Reacher nun. „Magst du Tiere, Dennis?“

      Bei dem Klang seines Namens aus ihrem Mund, schauderte es ihn. Es war, als würde er im Dunkeln eines Kellers stehen und wüsste, dass gleich das Monster aus der Ecke kriecht. Es würde seine Klauen in ihn jagen und ihn fressen. Er wollte nicht hier sein. Warum konnte er nicht einfach nach Hause gehen? Zurück zu seiner Mutter. Sie schlug ihn doch nur, weil er nicht gehört hatte.

      Wenn er die Chance dazu hätte, würde er ihr jetzt sofort versprechen, dass er ihr das Bier das nächste Mal schneller aus dem Kühlschrank holt, dass er den Müll nicht mehr umstößt, der neben der Toilette gestapelt lag und dass er den Fernseher nie wieder so laut macht, wenn sie sich am Tag zum Schlafen hinlegt, wenn er nur mit diesen Leuten nicht mit gehen musste. Er würde alles tun, um zurück nach Hause zu dürfen.

      Er fühlte sich wohl in der kleinen Wohnung, in der überall der Müll lag, weil der Mülleimer überquoll und seine Mom keine Lust hatte, bis in die Küche zu gehen, geschweige denn draußen an die Mülltonnen. In der die Zeitungen auf dem Boden auslagen, weil seine Mom manchmal nicht zur Toilette kam. Das passierte ihr öfter, wenn sie ihre Medizin spritzte. Aber das war gar nicht schlimm für ihn.

      Seine Mom sagte immer, als er noch klein war, hat sie seine Scheiße auch immer weg machen müssen. Und damit hatte sie ja auch recht. Dennis antwortete nicht. Mistress Parker lächelte etwas verunsichert. „Hör mal, Dennis, wenn du mit Familie Reacher mitgehst, dann hast du ein tolles eigenes Zimmer mit einem großen Bett.“

      Dennis mochte sein altes Bett. Es war eine Matratze, die neben der Couch auf dem Boden lag und nach Urin stank, aber sie war gemütlich. Und er war bei seiner Mom.

      Es klopfte an der Tür. Mistress Parker sah auf, fast machte es den Eindruck, als sei sie darüber erleichtert, dass es klopfte. Die Stimmung im Raum war reichlich angespannt. „Herein!“, rief sie höflich und lächelte, als nun die Dame vom Jugendamt den Raum betrat. Die sah sich um und zupfte etwas nervös an ihrem Blazer. „Die Verspätung tut mir wirklich leid. Der Verkehr um diese Zeit ist eine Zumutung.“

      Sie begrüßte zuerst Familie Reacher, dann Mistress Parker und Dennis. Sie nahm gleich neben ihm Platz. „Dennis, schön dich zu sehen. Ist es nicht toll, dass wir eine nette Familie für dich gefunden haben?“

      Dennis sah auch sie nicht an. Er blickte starr vor sich auf den Boden. Miss Tenner, die Mitarbeiterin des Jugendamtes, warf Mistress Parker einen verunsicherten Blick zu. „Also, wie weit sind wir?“

      „Vorstellung“, sagte Mistress Parker knapp und nickte Mister Reacher zu. „Sie sind sicher...“

      „Ohne jeden Zweifel“, sagte dieser nun mit tiefer Stimme und sah Dennis zufrieden an. „Es wird seine Zeit dauern, aber ich bin mir sicher, dass wir uns toll ergänzen und eine wunderbare Familie werden.“

      Mistress Reacher nickte zustimmend. Alle Beteiligten schienen einverstanden. Alle außer Dennis. Doch er war machtlos dagegen, dass nun alle ein Formular ausfüllten, das über sein Leben bestimmte. Er war gezwungen sich seinem Schicksal zu fügen.

      2

      Heute

      Sie saß auf der untersten Stufe der Treppe, neben der sich gleich das Büro ihres Vaters befand. Er telefonierte, seine Stimme so leise, dass Carly es kaum verstehen konnte.

      Ihr Rücken lehnte an dem hölzernen Treppengerüst und sie starrte zu den vielen Bildern auf, die wie eine Art Galerie den Flur zierten. Bilder zu Zeiten, zu denen noch alles in Ordnung war. Bilder ihrer Eltern, Bilder von Freunden der Familie, Bilder ihrer Tante mütterlicher Seite und Bilder von ihr. Ein paar Bilder ihrer Großeltern und ihres Onkels aus Anchorage.

      Ihr Blick blieb an dem Bild hängen, auf dem sie ein Ballkleid trug. Ihre Eltern stolz links und rechts neben ihr positioniert, beide eine Hand auf ihren Schultern. Tränen brannten in ihren Augen. Die Aufnahme lag erst wenige Wochen zurück. Es war der Spring-Ball, der Erste, zu dem sie von einem Jungen ausgeführt werden durfte.

      Ihr rotblondes Haar trug sie zu einem lockeren Zopf zur Seite geflochten. Das schöne Kleid aus cremefarbenem Satin hatte nur einen breiten Träger, der elegant über ihrer Schulter lag und ihren schlanken Hals betonte. Sie hatte ihren Vater nie wieder so lächeln sehen. Nicht seit dem Unfall.

      Carly gab sich selbst die Schuld daran. Wäre sie selbst gefahren, wäre das alles nie passiert. Und sie war sich sicher, dass auch ihr Vater ihr dafür wohl die Schuld gab. Hätte sie nicht mitten in der Nacht angerufen und darum gebeten abgeholt zu werden, wäre ihre Mutter kein Auto mehr gefahren. Sie wäre nicht von einem anderen Wagen gerammt worden, der bei Rot über die Ampel gefahren war.

      Sie erinnerte sich daran, wie ihr ihre Mom zum Abschied einen Kuss auf die Stirn gab, ehe Carly zu dem Ball aufbrach, ihr sagte wie lieb sie Carly hatte und dass sie wunderschön war. Es war Carly damals etwas peinlich vor dem Jungen gewesen, heute ärgerte sie sich über diese Art von Gefühlen. Hätte sie doch nur eher gewusst, dass dies der letzte liebevolle Kuss ihrer Mutter war. Stumme Tränen rannen über ihr Gesicht und tropften auf ihren dünnen Pullover.

      Würde ihr Vater Carly nicht die Schuld geben, würde er sie jetzt nicht weg schicken. Doch er hatte sie seit jener Nacht nicht mehr ansehen können. Er war zu wütend, dachte Carly. Er hasste sie dafür, dass sie ihm das wertvollste in seinem Leben genommen hatte.

      Sie