Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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hatte, dass ihre Mutter sie abholen kam. Doch sie kam nie an. Erst zwei Stunden später kam ihr Vater und schon da hatte Carly gewusst, das etwas nicht stimmte. Als sie eingestiegen war, hatte er kein Wort mit ihr geredet und war einfach stumm los gefahren.

      „Wo ist Mom?“, wollte Carly wissen.

      Doch er antwortete nicht. Also hatte sie ebenfalls nichts mehr gesagt, bis sie das Krankenhaus erreichten und Carly eine böse Gewissheit erlangte, die sie schon quälte, seit sie wusste, dass ihre Mutter nicht pünktlich kam.

      Im Krankenhaus kämpfte man um ihr Überleben, als Carly und ihr Vater ankamen. Sie hatten schweigend im Warteraum gesessen.

      Erst als ihre Tante Rachel kam und Carly in den Arm nahm, begann Carly laut zu weinen. Doch vor ihrem Vater hatte sie zuvor nicht geweint. Sie hatte keine Schwäche gezeigt, denn sie wusste, das er so etwas nicht mochte. Im Militär weinte man auch nicht. Man zeigte keine Schwäche, sagte er Carly immer. Und auch als ihre Tante da war, weinte Major Gereral Avery Havering nicht. Auch als Rachel Avery in den Arm nahm, weinte er nicht. Er saß stumm da und sah auf den Tisch im Warteraum, auf dem sich Zeitschriften stapelten. Fast so als studiere er der Reihe nach ihre Namen.

      Selbst als sie Carlys Mutter beerdigten, weinte er nicht. Doch während der Trauerfeier sperrte er sich viele Stunden in seinem Büro ein, fast so lange, bis alle Gäste weg waren.

      Tante Rachel nahm alle Beileidsbekundungen an und bedankte sich für das Erscheinen der Gäste. Das machte Carly wütend. Auch sie trauerte um ihre Mutter und auch Tante Rachel, die jüngere Schwester ihrer Mutter. Doch ihr Vater ließ sie damit alleine, so als würde es nur ihm schwer fallen, Abschied zu nehmen. Die vielen Gäste aushalten zu müssen und gezwungen zu sein, diese unabänderliche Tatsache akzeptieren zu müssen, dass sie für immer weg war.

      Ihr Magen fühlte sich schwer, als Carly den Kopf hob. Ihr Vater hatte das Telefonat beendet. Es ging um einen Auftrag im Ausland. Nur wenige Wochen nach dem Tod ihrer Mutter ging er wieder arbeiten. Weit weg.

      Und auch sie war bald weg. Als wäre das nicht schlimm genug, wusste Carly, dass sie nie wieder in dieses Haus zurück kommen würde. Ihr Vater hatte sich ein anderes Haus gekauft, in einem anderen Bundesstaat. Schon morgen würde die Firma kommen, die hier alles ausräumte und die meisten Sachen in das neue Haus brachte. Vielleicht würde Carly das Haus ja noch mal von außen sehen, wenn sie Tante Rachel im Nebenort besuchte. Der Gedanke tröstete Carly allerdings nicht sonderlich.

      Er nahm ihr alles weg. Ob er sie damit bestrafen wollte? Er schickte sie auf eine Militärschule weit weg von ihm, er verkaufte das Haus. Und Carly blieb nichts mehr. Es war praktisch so, als hätte sie mit ihren sechzehn Jahren beide Elternteile verloren.

      Gleich würde sie Conleth abholen, ein guter Freund ihres Vaters, der lange mit ihm gemeinsam in einer Einheit gedient hatte.

      Conleth und seine Familie waren früher oft zu Besuch gewesen, oder sie hatten ihn und seine Familie besucht. Sie wohnten gut vierzig Autominuten entfernt, trotzdem waren sie jedes Wochenende zusammen. Auch von ihnen gab es viele Bilder in der Galerie. Bilder beim Grillen, beim Schwimmen. Bilder wie Carly mit Conleth Sohn Tate im Garten spielte und Fallen bauten. Oder wie sie versuchten Tate´s Hund zu dressieren und ihm Kunststücke beizubringen. Doch seit Conleth und seine Familie vor sieben Jahren weg gezogen waren und Tate auf die Militärschule gegangen war, hatte sie ihn nur noch ein mal gesehen.

      Damals war er ihr bester Freund. Sie hatten alles miteinander geteilt und sich alles erzählt. Das einzige Wiedersehen lag ebenfalls schon fünf Jahre zurück, damals war ihr Vater fünfunddreißig geworden.

      Sicher hatte sich Tate sehr verändert, besonders durch die strenge Schule, zu der er ging. Die, die auch Carly bald besuchen würde.

      Ihre Mom würde das nicht wollen. Das hatte Carly in einem Streit vor Kurzem auch zu ihrem Vater gesagt, als sie erfuhr was er vorhatte. Hasste er sie so sehr, das er nun strategisch ihren Untergang plante? So fühlte es sich jedenfalls für Carly an.

      Der einzige Trost, den das Ganz hatte, war dass sie Tate wieder sehen würde. Aber sicher würde es ganz anders sein ihn wieder zu sehen, davon war Carly überzeugt. Zu viel Zeit lag zwischen ihren Kindertagen und heute. Wenn sie jetzt zu dieser Schule gehen würde, hatte sie nichts mehr.

      Nicht das sie hier in ihrem Heimatort derzeit viel mehr hatte. Ihre eigentlichen Freundinnen hatte sie in den letzten Wochen, seit dem Tod ihrer Mutter, gemieden. Carly wollte keine Mitleidsbekundungen, keine Beileidsprüche, kein Es tut mir so leid, das mit deiner Mom. Und sie wollte auch nicht darüber reden müssen, wie es ihr geht. Das wollte sie auch nicht, als ihre Tante Rachel sie zu einem Psychologen schickte, mit dem Carly über den Tod ihrer Mutter reden sollte. Vielleicht hatte sie, was das anbelangte, doch mehr von ihrem Dad, als sie zugeben wollte. Von dem Vater, der sie nun mehr zu hassen schien, als alles andere.

      3

      Februar 1999

      Das Paar saß dem blonden Mädchen gegenüber. Es lächelte sie nett an. Mister und Mistress Pearl, rief sie sich in Erinnerung. Zoe wurde es etwas mulmig zumute. Irgendwie waren ihr diese Leute unheimlich. Der Mann beugte sich etwas vor, der Teddybär, den er mit gebracht hatte, saß zwischen ihnen auf dem Tisch.

      Mister Pearl wirkte, als würde er ein Kostüm tragen. Seine dunkelblonden, gut geschnittenen Haare, seine schwarze Strickjacke über seinem Polohemd. Es sah aus, als gehöre es nicht zu ihm. Das Bild passte nicht, auch wenn sich Zoe das nicht so recht erklären konnte. Er wirkte viel zu steif.

      „Zoe, sicher möchtest du ein schönes zu Hause, so wie es viele andere Kinder auch haben, richtig? Wir können dir alles geben, wovon du träumst. Ein großes Zimmer mit Prinzessin Bett, jeden Tag deine Lieblingsgerichte“, er sah zu seiner Frau. „Mey liebt es zu kochen, richtig?“

      Die Frau nickte. Ihre blonden, streng zurück gebundenen Haare, ließen sie weniger liebevoll wirken, als sie sich gab. Zoe war sich nicht sicher, ob sie das wollte. Eigentlich fühlte sie sich in dem Waisenhaus ganz wohl. Sie war schon viele Jahre dort, denn kein Paar wollte ein aggressives Mädchen wie sie haben.

      Zoe hatte hier viele Freunde gewonnen, trotz ihrer häufigen Wutausbrüche. Und obwohl viele von denen, an die sie sich immer gerade gewöhnte, gingen, wollte sie hier bleiben. Das hier war das einzige, was sie richtig kannte. Sie war drei Jahre alt, als man sie vor drei Jahren aus ihren zu Hause raus holte.

      Sie erinnerte sich kaum an ihre Mutter, die nun schon seit langem, so wie Zoe es bei Gesprächen der Erwachsenen gehört hatte, in einem Bundesgefängnis saß. Wenn Zoe nach ihrer Mutter fragte, so antwortete man ihr nur, das ihre Mom irgendwo ist, wo sie wichtige Dinge für ihr Leben lernt. Wo sie lernt, sich zu bessern.

      Ihren Vater kennt Zoe gar nicht. Auch das Jugendamt wusste nicht, wer ihr Vater war.

      Mistress Pearl schob den Teddybär bei Seite. Obwohl sie versuchte locker zu wirken, sah sie aus, als hätte man ihren Rücken an ein Brett gefesselt, so steif saß sie da.

      „Zoe, wir werden dir das geben, was du brauchst. Du möchtest doch, das es dir gut geht, richtig?“

      Zoe nickte automatisch.

      „Also möchtest du natürlich mit uns kommen, stimmt´s?“ fragte sie weiter.

      Wieder spürte Zoe, wie sie nahezu mechanisch nickte, obwohl sie ihrem Körper nicht befohlen hatte, sich zu bewegen. Mister und Mistress Pearl schenkten einander ein kühles Lächeln.

      Dann ging alles ganz schnell. Sie sprachen mit dem Leiter der Einrichtung und der Dame vom Jugendamt. Dann wurden ihre kleine Tasche und ihr Rucksack schon in das luxuriöse Auto des Paares verstaut.

      Als Zoe auf dem Rücksitz saß, entdeckte sie ein kleines, rotes Spielzeugauto, mit schwarzen Rallaystreifen, das auf dem Boden lag. Den Teddybären setzte Mistress Pearl neben sie auf den Sitz, schnallte Zoe an und warf die Tür zu. Sie unterhielten sich ein letztes Mal mit den anderen Erwachsenen, ehe die Reise los ging.

      Zoe war zum Weinen zumute. Sie wollte nicht gehen. Das Paar