Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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als sie es von Tate wusste. Es war nicht etwa so eine, wie für schwererziehbare Jugendliche, die sich nicht benehmen konnten. Sie war hoch angesehen und nur für Jugendliche bestimmt, die erstklassig qualifiziert waren. Meist welche, deren Eltern selbst für die Regierung arbeiteten. Oder sogar ausschließlich.

      Als Carly Tate das letzte Mal sah, erzählte er ihr, dass in in seinem Gemeinschaftshaus nur welche lebten, deren Eltern hohe Ränge schmückten. Diese Schule war die beste Möglichkeit für die Schüler, selbst einen guten Einstieg zu bekommen, egal in welche Richtung. Ob CIA, FBI, NSA, ihnen standen alle Türen offen. Außerdem konnten sie sich nach der Absolvierung aussuchen, ob sie zur Navy, Air Force, Marine Corps, Coast Guards oder zur Army gehen wollen. Zuvor kann man schon eine Art Schnupperkurse in die verschiedenen Richtungen machen und verschiedene Kurse für die ausgesuchten Richtungen wählen. Außerdem gibt es noch mal die Unterteilung der verschiedenen Abteilungen in den Bereichen.

      Erneut fragte sich Carly was sie dort überhaupt sollte. Christina und Carly saßen lange da, keine von ihnen sagte ein Wort. Dann seufzte Christina und rückte näher an Carly heran. „Du wirst mir echt fehlen.“

      „Du mir auch“, flüsterte Carly und spürte, wie es ihr wieder schwer ums Herz wurde. Auch wenn sie Christina und die anderen in letzter Zeit gemieden hatte, waren sie immer gute Freunde gewesen. Sie hatten tolle Zeiten miteinander erlebt. Nun kramte Christina in der Tasche ihrer Sweatjacke und holte etwas Kleines heraus. Dann reichte sie Carly einen Anhänger mit einem Löwen, der ein Herz in der Hand hielt. Darauf stand Sei stark. Carly schluckte beklommen.

      „Das passt ja jetzt sogar noch besser“, flüsterte Christina und wischte mit dem Handrücken ihre Tränen weg.

      Carly nickte wortlos und nahm ihre Freundin in den Arm. „Ich schreibe dir so oft ich kann.“

      „Versprochen?“

      Carly nickte. „Und wenn ich meine Tante besuchen komme, rufe ich dich an. Dann treffen wir uns.“

      „Gut“, Christina schluchzte.

      Auch Carly konnte sich die Tränen kaum noch verkneifen. Sie hielten einander lange im Arm, bis Conleth nach ihr rief. Er winkte auch Christina zu, die ebenfalls höflich die Hand hob. „Tag, Mister Brewster!“

      Beide standen auf und nahmen sich zum Abschied erneut in den Arm. Carly begleitete Christina noch zu ihrem Fahrrad. Einen Moment standen sie beklommen da, beiden wollten sich nicht verabschieden müssen. Doch sie wussten ebenso, das es unabänderlich war. Sie konnten an den Tatsachen nichts verändern, so sehr sie es auch wollten.

      „Grüß die anderen von mir“, murmelte Carly.

      Christina nickte. „Mach ich. Meld dich mal, wenn ihr euch etwas eingelebt habt.“

      Christina wendete ihr Fahrrad. Aus einem Impuls heraus nahm Carly ihre Freundin nochmal in den Arm. Sie hatten schon so viel miteinander erlebt, so viel Unfug gemacht, so viel gemeinsam ausgestanden. Jetzt war es einfach vorbei und Carly bereute es mit einem Mal, sich so völlig zurück gezogen zu haben und die letzten Wochen nicht mit ihren Freundinnen genossen zu haben.

      Sie hatte sich selbst nicht erklären können warum sie sich zurück gezogen hatte. Vielleicht war es auch vorgeschoben gewesen, sich nicht all die Beileidsbekundungen anhören zu wollen.

      Auch wenn dem so war, wusste Carly dass der Grund dafür viel tiefer ging. So wie die Sache mit ihrem Vater, den sie zuvor das erste Mal in ihrem Leben wirklich hatte weinen sehen. Vielleicht, dachte Carly nun, war es genau das. Er hatte ihr diese Distanziertheit immer vorgelebt.

      Traurig sah sie nun dabei zu, wie ihre Freundin über die Auffahrt weg fuhr und auf die Straße abbog. Sie wurde am Ende der Straße immer kleiner, bis Carly sie schließlich nicht mehr sah.

      Carly straffte ihre Schultern und sah zu Conleth. Dieser nickte ihr verständnisvoll zu. „Wahre Freundschaft übersteht auch einen Umzug, Carly. Glaub mir.“

      Am liebsten hätte sie ihm in den Bauch geboxt. Das sieht man ja, hätte sie am liebsten dabei geschrien. Er und seine Familie waren das beste Beispiel dafür. Sie hatte von Tate nie wieder etwas gehört. Am Anfang schrieb er ihr noch Briefe, die mit der Zeit immer weniger wurden. Er war so beschäftigt, dass er kaum dazu kam, hatte er ihr mal in einem dieser Briefe erklärt. Kurz darauf schrieb er nicht mehr. Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, entschuldigte er sich sehr dafür. Aber er erklärte ihr gleich sehr ehrlich, das er nicht wüsste, ob er daran etwas ändern könnte. Carly dachte traurig darüber nach.

      Wenn sie ehrlich war, hatte auch sie kaum wirklich Zeit gefunden. Sie hatte oft viel lernen müssen und wenn sie frei hatte traf sie sich mit ihren Freundinnen. So war es wohl auch bei Tate. Das war eben die Sache, wenn man älter wurde und sich auseinander lebte.

      Sicher würde es nicht anders sein, wenn sie nun auch die gleiche Schule besuchte. Tate würde kaum Zeit für sie haben. Aber es war ihr egal. Sie würde nicht lange dort bleiben, das hatte sie schon seit dem Abend beschlossen, an dem ihr Vater ihr die Wahrheit offenbarte.

      Carly folgte Conleth ins Haus. Ihr Vater stand im Flur, bereit sich zu verabschieden. Plötzlich spürte Carly wieder einen dicken Kloß im Hals. Es war so weit. Sie mussten sich verabschieden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trat mit der Fußspitze auf den Fließen im Flur herum. Sie standen voreinander und scheinbar wusste keiner der beiden, wie sie beginnen sollten. Conleth wich etwas zur Tür zurück. „Vielleicht warte ich lieber am Wagen.“

      Weder Avery noch Carly sagten etwas. Conleth verließ das Haus und ließ die beiden alleine zurück. Sie standen noch eine Weile wortlos da, dann trat Avery auf Carly zu. „Pass auf dich auf, ja?“

      Carly hob langsam den Kopf und sah ihren Vater an. Sie war ein Kind. Gut, viel eher eine junge Erwachsene, aber sie war sein Kind. Er musste doch auf sie aufpassen. Doch stattdessen schickte er sie einfach weg.

      Sie zuckte bloß die Schultern. Avery sah Carly traurig an „Bitte sei nicht wütend auf mich.“

      Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann es einfach nicht.“

      Carly schnaubte. „Du hast allen Grund wütend auf mich zu sein.“

      Avery weitete entsetzt die Augen und öffnete den Mund um etwas zu entgegnen, doch ihm schienen die Worte zu fehlen. Einen langen Augenblick sah er sie entrüstet an, dann schüttelte er den Kopf. „Wieso sollte ich wütend auf dich sein?“

      Carly zuckte die Schultern. „Wäre ich nicht gewesen, wäre Mom noch bei uns.“

      „So etwas...“, er stockte bestürzt. „So etwas darfst du nicht mal denken, Carly. Es ist nicht deine Schuld.“

      „Dann verstehe ich es nicht!“

      In Carlys Augen begannen Tränen zu brennen. Sie schluckte hart, kämpfte gegen den Knoten in ihrer Kehle an.

      „Dann verstehe ich nicht, wieso du das tust. Du bist wütend auf mich, oder nicht?“ „Um Gotteswillen, nein!“

      Ihr Vater trat einen Schritt auf sie zu. „Nein, bin ich nicht. Wie kommst du darauf, Carly?“

      Sie schnaubte wütend. „Du schickst mich weg und fragst mich, wie ich zu so einem Eindruck komme?“ „Aber es ist doch nicht deswegen.“

      Auch Carlys Vater schluckte nun hart und auch er rang mit den Tränen. „Ich kann es nicht. Ich...“, in seinen Augen schimmerte etwas, Angst, Verlust, Leid und noch etwas, das sie nicht deuten konnte.

      Er holte tief Luft. „Ich kann dich nicht alleine groß ziehen, Carly.“

      Seine Stimme klang erstickt und rau. Es musste schwer sein, sich das einzugestehen. Carly wusste das ihr Vater stolz war und sich nur ungern Fehler eingestand. Sie schluchzte und schüttelte den Kopf. „Dad... bitte schick mich nicht weg. Bitte!“

      Carly schluchzte abermals und ging einen Schritt auf ihren Vater zu ehe sie ihn erstickt anflehte „Wir bekommen das hin. Irgendwie. Aber bitte, schick mich nicht weg. Verkauf nicht unser Haus...“ „Ich kann nicht!“, flüsterte er mit gebrochener Stimme. Er atmete tief durch und senkte den