Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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konnte. Doch da irrte sie sich offensichtlich.

      „Was wurde dort gefunden?“ „Im Keller waren Ketten an den Wänden befestigt. Überall auf dem Boden lag altes Blut. Tierkadaver und Knochen, Jagdwaffen.“ Mistress Miller schauderte heftig. „Richard weiß nichts davon. Er hat auch so schon genug zu verarbeiten.“

      Entsetzt stand Miss Tenner auf. Sie musste etwas tun. Irgendetwas. Aber was genau wusste sie nicht. War sie zu nachlässig gewesen? Hätte sie schon viel eher nach ihnen sehen sollen? Hätte es sich so verhindern lassen können? Was hatten sie jetzt mit Dennis gemacht? Sie mussten den Jungen finden, wenn es nicht schon viel zu spät war.

      Doch sie ahnte bereits, dass eine Suche nach fast fünf Monaten nahezu zwecklos war. Sie konnten mit ihm schon über alle Berge sein. Weit weg ins Ausland, wo sie ihre grausamen Erziehungsmaßnahmen fortführten.

      Am liebsten hätte sich Miss Tenner übergeben, dachte sie nun, nicht zum ersten Mal, seit sie den Besuch begonnen hatte.

      Wie hatte sie so furchtbar blind sein können.? Der augenscheinliche Lichtblick für eines von vielen verwaisten Kindern, war zu einem Horror ohne Ende geworden. Und sie hatte es unterstützt. Ahnungslos hatte sie eine zarte Seele in die Hände von grausamen Monstern gegeben und fühlte sich selbst wie eines.

      Ihre Beine gaben unter ihr nach. Das musste ein Alptraum sein. Wie war all das möglich? Sie hatte ein armes, hilfloses und junges Leben für immer ruiniert und konnte nichts mehr daran ändern.

      Sie hörte die Stimme der jungen Frau nur noch wie in Trance, weit entfernt. Eine Wahrheit, eine Wirklichkeit, die so entsetzlich und grauenhaft war, das es einem vorkam wie in einem Horrormärchen, wurde für sie zur Realität. Eine Tatsache, die sie nun tief und immer tiefer in ein schwarzes Loch fallen ließ.

      Bald darauf arbeitete Miss Tenner schon nicht mehr für die Jugendfürsorge, sie zog sich zurück und spielte mit Selbstmordgedanken. Das Wissen, dass sie ein Kind in die Hände von Monstern gegeben hatte, ohne nur den Hauch einer Ahnung, was sie da tat, ruinierte auch ihr ganzes Leben

      7

      Mai 2006

      „Conleth, wirf mir noch ein Steak mit auf den Grill“ rief Avery, der gerade auf dem Weg ins Haus war, um für Getränkenachschub zu sorgen. Conleth winkte ihm über die Schulter hinweg zu und zog die Grillschürze um seinen Nacken enger.

      „Liebling, könntest du mir noch ein Soda mitbringen?“ Carol lächelte ihrem Mann liebevoll zu. Ein Lächeln dem Avery noch nie irgendetwas ausschlagen konnte.

      Er ging am Stuhl seiner wunderschönen Ehefrau vorbei und küsste sie sanft auf die Stirn. Dann tauschten sie einen langen, intensiven Blick. Dies war das erste Wochenende, das seinen Urlaub einläutete, ebenso wie Conleth.

      Avery genoss die Zeit, die er mit seiner Familie verbringen konnte. Schon bald würde er zurück gehen müssen. Die Zeit würde wie im Flug vergehen, das wusste er. Dann musste er zurück ins Ausland. Es war eines der wenigen Wochenenden im Jahr, das er mit seiner Familie und der seines engen Freundes und Kollegen verbringen konnte.

      Er warf Tara, der Frau seines Freundes, einen Blick zu und lächelte. „Darf ich dir auch noch etwas mitbringen?“ „Noch ein Soda wäre toll.“ Sie sah ihre Freundin schmunzelnd an.

      Avery nickte und ging ins Haus. Als er zurück kam, setzte er sich kurz zu den beiden Frauen, die amüsiert dabei zu sahen, wie die Kinder ein Versteck bauten.

      „Was glaubst du, wann plündern sie eure Holzvorräte?“ wollte Tara kichernd wissen und sah Avery amüsiert an.

      Carol seufzte. „Die Frage lautet eher, wie lange leben meine schönen Blumen noch, wenn sie weiter ihre Baumaterialien durch das Beet ziehen?“ „Ich peppel sie dir wieder auf.“ Avery tätschelte die Hand seiner Frau.

      Carol lächelte. „Wann wirst du deiner Tochter mal beibringen, ein Nein zu hören?“ „Sie sind Kinder, Carol.“ Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. „Wir sollten uns glücklich schätzen, dass sie noch so schön zusammen spielen. Irgendwann werden sie anfangen nach teuren Klamotten zu fragen, auf Party´s gehen und sich mit anderen treffen.“

      Tara kicherte. „Also ich möchte mit dem Jungen, der mit Carly irgendwann mal ausgehen möchte, nicht tauschen.“

      Carol stimmte entschieden zu. „Mit dem Vater, wird er es nicht leicht haben!“

      Avery grinste und sah zu seiner Tochter, die mit ihrem besten Freund Tate im Gebüsch herum kroch. Tate und Carly spielten schon zusammen, seit sie zwei Jahre alt waren. Damals waren Conleth und seine Familie neu in die Stadt gezogen und man hatte Conleth an den gleichen Stützpunkt wie Avery versetzt. Am ersten gemeinsamen Abend hatten sich auch die Frauen gleich blendend verstanden. Seit dem waren die beiden Familien unzertrennlich gewesen. Carol und Tara trafen sich auch oft, wenn Conleth und Avery im Ausland unterwegs waren. Auch Tate und Carly waren unzertrennlich geworden.

      „Klopf, klopf“ ertönte es von der Schwelle der Terrassentür.

      Avery seufzte. „Liebling, deine Schwester muss wirklich ihren Schlüssel abgeben.“

      Carol lachte leise und stand auf um ihre Schwester zu begrüßen. „Rachel.“ „Hi!“

      Rachel gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange, dann begrüßte sie auch Tara mit einem Küsschen auf die Wange und schob ihre Sonnenbrille auf ihren Kopf. Schließlich warf sie ihrem Schwager einen abschätzigen Blick zu.

      „Ich bin kein gehässiger Mensch, aber manchmal wünschte ich, du würdest in der Dusche ausrutschen und keiner wäre da, außer mir. Dann würdest du froh sein, wenn ich den Schlüssel habe, weil du überall so Schmerzen hast, dass du nicht zur Tür kommst.“

      Avery musste lachen. Auch wenn seine Schwägerin etwas verrückt war und manchmal ein wenig aufdringlich, mochte er sie eigentlich.

      „Rachel, was darf ich dir zu trinken anbieten?“ wollte Carol nun wissen und ging zur Tür. „Habt ihr Limo? Ohne Zucker?“ „Nur für dich gekauft“ lachte Carol und ging in die Küche.

      Rachel ging an den Rasenabschnitt. „Hallo Conleth!“ „Rachel.“ er winkte ihr zu und deutete auf den Grill. „Was darf ich dir drauf werfen?“ „Habt ihr Hühnchen?“ „In Senfmarinade.“ „Perfekt!“

      Carol brachte gleich ein weiteres Gedeck aus der Küche mit und stellte ihrer Schwester alles perfekt positioniert an den Platz.

      „Tante Rachel!“ schrie Carly, als sie aus dem Gebüsch gestürmt kam. Rachel ging ihrer Nichte entgegen und hob sie auf den Arm. „Gott, bist du schon wieder gewachsen? Das ist doch unglaublich!"

      Carly lachte. „Tante Rachel! Wir haben uns doch vorgestern erst gesehen.“ „Ja, aber ich könnte schwören, dass du größer geworden bist. Strecken sie euch in der Schule etwa?“ „Nein.“ „Mhh, dann müssen sie euch Wachstumsmittel ins Essen mischen.“ „Rachel!“ sagte Carol tadelnd. Rachel rollte mit den Augen. Dann lächelte sie, als auch Tate aus dem Gebüsch hervor kam. „Hey, großer Mann!“ „Hallo Rachel!“ Tate stellte sich artig neben Carly. Nun begann Rachel in ihrer Tasche zu kramen.

      „Wie versprochen, habe ich euch etwas aus Boston mitgebracht.“

      Die beiden Kinder kicherten aufgeregt. Avery beobachtete aufmerksam, was Rachel aus ihrer Tasche holte. Sie war wegen ihres Jobs als Sportmoderatorin, ebenfalls oft im Land unterwegs und brachte den beiden immer etwas mit. Für sie war Tate praktisch wie ihr Neffe, so gerne hatte sie ihn, weswegen sie ihm ebenso etwas mit brachte, wie für Carly. „Hast du die Red Sox gesehen?“ fragte Tate sofort, der begeisterter Baseballfan war. Rachel nickte grinsend. „Und ich soll euch Grüße ausrichten.“

      Beide Kinder machten große Augen.

      „Von wem?“ wollte Carly sofort wissen.

      Rachel hielt zwei Bälle in der Hand und reichte jedem der beiden einen davon. Beide