Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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      Die beiden fielen Rachel um den Hals und überhäuften sie dankbar mit Küssen. Rachel lachte und schaffte es nur mühsam sich zu lösen. Dann liefen die beiden kreischend durch den Garten und hielten dabei triumphierend ihren Baseball in die Höhe.

      Rachel kam zum Tisch zurück und setzte sich auf ihren Platz. „Danke!“ Carol nahm dankbar die Hand ihrer Schwester. Diese nickte und sah erneut zu den Kindern rüber. Sie lächelte traurig. Etwas schien sie eindeutig zu bedrücken. Das merkte auch Carol sofort. „Was ist los? Ist in Boston etwas passiert?“ „Ach“ Rachel winkte ab.

      Sie presste ihre Lippen zusammen. Nun brachte Conleth einen Teller mit frisch gegrilltem an den Tisch. Rachel tippte nervös mit den Fingern auf ihrer Tasche herum. „Darf ich euch was fragen?“ Sie sah speziell ihren Schwager und dessen besten Freund an. „In Boston macht gerade eine Eilmeldung die Runde.“

      Conleth warf Avery einen alarmierten Blick zu. Dennoch nickte Avery. Er konnte sich schon denken, worum es sich handelte. Die erschütternde Nachricht war in den oberen Reihen bereits umher gegangen, was sich in Massachusetts ereignet hatte.

      Rachel schluckte. „Habt ihr das von dem Jungen bereits gehört? Der verschwunden ist?“ Carol und Tara wurden ebenfalls aufmerksam.

      Avery nickte. „Es ist schrecklich, dass so etwas möglich war.“

      „Aber hat denn das Jugendamt seine Pflichten nicht erfüllt? Ich meine, wie kann so etwas möglich sein? Wie kann das passieren, Avery?“ Rachel sah ihren Schwager fragend an.

      Die Nachrichten hatten es bisher noch nicht landesweit berichtet, doch bald würde es die Runde machen wie ein Laubfeuer, da war er sich sicher. Und die Gesellschaft würde einen Schuldigen suchen. Er wollte sich gar nicht ausmalen, welchem Druck das in dem Fall zuständige Jugendamt nun ausgesetzt war. Wenn auch begründet. Auch, wenn sie nicht die einzigen waren, denen das passiert war. Doch darüber durften er und Conleth kein Wort verlieren. Rachel sah ihren Schwager noch immer auf eine Erklärung wartend an.

      „In Massachusetts ist ein Kind in eine Pflegefamilie gegeben worden, die objektiv völlig in Ordnung war. Jetzt sind sie wie vom Erdboden verschluckt und es kam heraus, das sie dem Jungen fragwürdige Erziehungsmaßnahmen angedeihen ließen“ „Fragwürdige Erziehungsmaßnahmen?“ Carol runzelte die Stirn.

      „Sie haben ihn im Jagen und Töten ausgebildet.“ kam ihm Conleth nun zur Hilfe bei der Erklärung. „Außerdem hielten sie ihn aus der Schule und unterstützten seine aggressiven Verhaltensmuster durch das Quälen und Ausschlachten von Tieren.“ „Das... das verstehe ich nicht“ keuchte Tara entsetzt. „Und sie sind einfach verschwunden? Was ist mit dem Kind?“

      „Von dem Jungen fehlt ebenso jede Spur. Das Jugendamt hat sich wohl mit den Besuchen zu viel Zeit gelassen. Sonst wäre es sicher viel eher aufgefallen. Auch die Vorfälle wären eher aufgefallen. Er zeigte sich auch in der Schule sehr auffällig und aggressiv.“

      Carol faltete ihre Hände auf dem Schoß und sah zu Tate und Carly, die ausgelassen im Garten spielten. Sorge spiegelte sich in ihren Gesichtszügen. Avery nahm sanft die Hand seiner Frau in seine. Er konnte sich vorstellen, was ihr durch den Kopf ging. Die Behörden arbeiten auf Hochtouren, um die Familie und die entführten Kinder zu finden. Auch Avery sah nun zu Tate und Carly rüber und begann ernsthaft sich darüber Sorgen zu machen, was gerade passierte. Die Behörden wussten, dass es in zwei der anderen Fälle das gleiche Paar war, wie in dem Fall in Massachusetts. Sie hatten sich Urkunden gefälscht und in die Systeme eingehakt, damit ihre Daten problemlos überprüft werden konnten. Und auch in anderen Ländern waren ähnliche Fälle aufgetreten. Doch niemand wusste, was das zu bedeuten hatte, oder wer dahinter steckte.

      Erste Fälle waren aus Osteuropa bekannt geworden. Aus jeglichen Heimen waren Kinder verschwunden. Waisen, die niemanden hatten, der sich nach ihnen erkunden konnte. Niemand der sie vermissen würde. Zuerst vermutete man einen Ring von Kinderhändlern für Kinderarbeit. Dann einen Ring, der Kinder an Kinderlose Familien für mehr Geld weiter verkaufte. Es war schwer, Kinder aus anderen Ländern zu adoptieren. Diese Ringe vereinfachten das ganze durch gefälschte Papiere. Die Behörden tappten noch immer im Dunklen. Als wäre das Ganze nicht furchtbar genug.

      Am Tisch breitete sich betretenes Schweigen aus. Niemand wollte so recht darüber nachdenken, was mit den entführten Kindern wohl passiert sein mochte. Vermutungen die noch viel furchtbarer waren, hatten ebenfalls im Raum gestanden. Welche die niemals an die Öffentlichkeit dringen durften. Organmafia oder sogar Kinderprostitution. Seine Frau drückte sanft seine Hand. Sie warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Einen der versprach, dass sie alles gemeinsam überstehen würden.

      Conleth hatte schon mal darüber nachgedacht, Tate in eine interne Akademie Schule zu schicken, die dem Militär angehörte. Das sei einerseits sicherer, wenn man von den möglichen Einsätzen absah, sagte Conleth. Und vorallem würde Tate viele berufliche Möglichkeiten eröffnen, was für ihn von noch größerer Bedeutung war. Auch Carly hätte die besten Chancen dazu, nicht zuletzt, weil er selbst diente. Sie hatte ausgezeichnete Noten, war sportlich und im Kopf bereits sehr fit für ihr Alter. Doch Carol liebte sie so sehr, dass sie Carly nur ungern weg schicken würde. Sie war ihr ein und alles. Ihre kleine Räuberprinzessin, wie Avery sie schon als Kleinkind nannte, weil Carly schon immer wild und quirlig war. Und weil sie ihrer Mutter in so vielem Ähnlich war. Nicht nur wegen ihrer rotblonden locken und den braunen Augen. Sondern auch ihre Entschlossenheit und Wildheit, die er schon an Carol immer so faszinierend fand. Der Grund, warum er sich damals Hals über Kopf in Carol verliebt hatte. Damit hätte er damals nicht gerechnet. Zu Beginn, als sie einander kennen lernten, standen sie sich ganz anders gegenüber. Bis Carly kam und sie einander näher zusammen brachte. Sie würden Carly beschützen, so gut es ihnen möglich war.

      8

      Heute

      Carly sah müde aus dem Fenster. Sie und Conleth waren schon einige Stunden unterwegs gewesen. Ebenso schweigsam wie die Fahrt war, verbrachten sie auch die nächste Rast an einem Diner, kurz nach der Staatsgrenze zwischen Oklahoma und Missouri.

      Carly hatte während der Fahrt immer wieder etwas geschlafen. Conleth hatte sich nur eine kurze Pause gegönnt, als sie in Tulsa angehalten hatten. Er hatte drei Stunden geschlafen, ehe er weiter gefahren war. Zu fliegen wäre einfacher gewesen, dachte Carly. Doch sie hatte nicht gefragt, warum das scheinbar nicht in Frage gekommen war. Eigentlich hatte sie ohnehin damit gerechnet, Richtung Texas zu reisen. War dort nicht die Hauptausbildungszentrale? So genau kannte sie sich nicht damit aus. Die verschiedenen Schulen waren im ganzen Land verteilt. Allerdings hatte sie Tate´s Briefe immer nach Amarillo geschickt. Deswegen war sie davon ausgegangen, das die Reise auch dort hin gehen würde.

      Nach drei weiteren Stunden Fahrt erblickte sie das Schild St Louis. Die Fahrt zog sich noch eine Ewigkeit hin, ehe sie vor St Louis abbogen und über den Mississippi nach Illinois fuhren. Sie kamen an Columbia vorbei, Richtung Waterloo und fuhren schließlich in ziemlich unbesiedeltes und vereinsamtes Gebiet, nahe dem Mississippi River. Sie fuhren eine Weile an vereinzelten Häusern vorbei, die an leeren Landstraßen gebaut waren. Dann sah Carly einen hohen Zaun mit Stacheldraht in der Ferne, der sich zu beiden Seiten endlos erstreckte.

      Erst zehn Minuten später kamen sie an eine Art Wachhaus, bei dem es Carly etwas gruselte. Nicht nur der Wachmann in dem kleinen Haus, war gut bewaffnet. Auch die zwei Männer, die zu beiden Seiten des Tores standen, hielten ihre Waffen im Anschlag. Dazu der verflucht hohe Zaun, in dem Maschendraht verflochten ist und vor dem ein gelbes Schild steht, auf dem Achtung Strom geschrieben war. Carly fühlte sich ein wenig unbehaglich.

      Conleth holte zwei seiner Ausweise hervor, seinen Personal und seinen Dienstausweis, und dann Carlys Ausweis, den ihr Vater Conleth mitgegeben hatte. Der Beamte tippte etwas in seinem Computer ein, dann nickte er Conleth zu, salutierte und öffnete die Schranke. „Willkommen Leutnant General Brewster!“

      Conleth legte den Gang ein und fuhr weiter über das erstaunlich große Gebiet. Carly hätte nicht damit gerechnet, dass das Gelände so groß sein würde. Schließlich fuhren sie an einer Art Landeplatz vorbei, an dessen Rand