Kim Mevo

Zerbrochene Seelen


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Job schon angenommen. Ich kann nicht... ich kann das nicht abbrechen. Und ich kann nicht..." Seine Stimme brach erneut als er Carly verzweifelt ansah „Ich verspreche dir, dass es dir gut gehen wird. Besser als mit mir. Ich wäre kaum zu Hause und ich... ich kann einfach nicht für dich da sein, so wie du es brauchst. Ich bin kaum dazu im Stande... ich könnte deine Mutter niemals ersetzen..“

      Carly schluchzte wieder und begann bitterlich zu weinen „Bitte, Dad... bitte schick mich nicht weg..“

      Avery wich ihrem Blick aus, konnte den Anblick nicht ertragen. Konnte seine Tochter nicht so leiden sehen. „Es bleibt dabei. Du wirst mit Conleth mit fahren. Noch heute..“ „Nein!“ Carly schrie auf, wollte nicht wahrhaben, dass ihr Vater sie wirklich weg schicken wollte. Sie schnaubte wütend „Mom würde das nicht wollen und das weißt du!.“

      Nun sah er sie ruckartig wieder an. Er schluckte schwer, in seinen Augen spiegelte sich das Leid „Sie ist aber nicht da!.“

      Mit diesen Worten ging er an ihr vorbei und öffnete ihr die Tür. Carly stand starr und steif da, weigerte sich auch nur einen Schritt zu tun. Als sie ihren Vater so ansah, spürte sie erneut Wut in sich hoch kochen. Es ist ihm völlig egal, was mit ihr passiert. Es war ihm egal, dass sie ihren Vater nun mehr brauchte denn je.

      Carly fragte sich, wie man jemandem, den man liebte, so etwas antun konnte. Von wegen, er war nicht wütend auf sie. Wie sonst konnte man jemandem so etwas sonst antun. Besonders, wenn es um die eigene Tochter ging. Das war nahezu unvorstellbar. Und doch war es genau das, was gerade passierte. Und für Carly war es, als zerbräche ihre Welt in Trümmern zusammen, als ihr Vater sie auffordernd und wartend ansah, damit sie endlich zu Conleth in den Wagen stieg.

      5

      Dezember 1999, kurz nach Weihnachten

      Es war kurz vor der Jahrtausendwende, doch für Thomas schien es keine Hoffnung auf ein gutes, neues Jahr zu geben. Nicht mal auf ein gutes Jahrtausend.

      Während nun gerade kurz vor Weihnachten viele Kinder ein neues zu Hause gefunden hatten, saß er alleine und verwaist auf der Fensterbank in seinem kleinen Zimmer. Er hielt den Stoffhasen, ein Ankunftsgeschenk des Heimes, in das er kürzlich gekommen war, fest im Arm und hatte das Gefühl, nur er allein sei sein Freund.

      Die Pflegefamilie in der er zuvor gelebt hatte, hatte ihn weg gegeben. Sie hatten selbst ein Kind zur Welt gebracht und da war ihnen Thomas zu lästig geworden. Eine einsame Träne rollte über sein Gesicht. Er hatte doch nur mit der kleinen Kate spielen wollen. So wie sonst auch. Er hatte sie bloß etwas gekniffen und ihre Hand ganz feste gedrückt, das hatte er schon öfter gemacht. Doch diesmal hatte seine Pflegemutter ihn dabei gesehen und war furchtbar wütend geworden.

      Thomas drückte den Hasen fester an sich, während er den Schneeflocken dabei zu sah, wie sie zu Boden rieselten und den Asphalt der Straßen unter sich bedeckten.

      Er hatte Kate schon nicht leiden können, als sie im Bauch seiner Pflegemutter war. Immer hieß es das Baby. Alles drehte sich um die kleine Kate, noch lange bevor sie überhaupt geboren war. Und Thomas war ihnen von da an völlig egal gewesen. Er hasste das kleine Mädchen dafür, dass sie ihm das Einzige genommen hatte, was er lieb hatte. Wäre sie nicht gewesen, dachte Thomas wütend, säße er jetzt nicht hier, ganz alleine.

      Als es an der Tür klopfte schreckte Thomas hoch und hätte um ein Haar den Hasen fallen lassen. Eine der Mitarbeiterinnen öffnete langsam die Tür und lächelte. „Thomas?“, langsam trat sie ein, „Wie geht es dir?."

      Thomas antwortete nicht. Seine Finger strichen nervös durch das borstige Fell des Stofftiers. Er setzte es auf seine Knie, so dass er es genau betrachten konnte. Obwohl es neu war, wirkte es schon über Jahre gebraucht und zerrupft. Thomas hatte seine Knopfaugen ausgerissen und am Hals klaffte ein Riss aus dem das Innenfutter heraus quill.

      Die Frau räusperte sich und trat etwas näher heran. „Thomas, da ist jemand, der dich gerne kennen lernen würde.“

      Nun wurde Thomas aufmerksam und sah die Frau neugierig an. Wer sollte ihn schon kennen lernen wollen? Er war erst drei Monate dort und doch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor.

      Als die Frau den zerrupften Hasen sah, bemerkte Thomas wie unbehaglich sie sich nun zu fühlen schien. Sie lächelte ihn traurig an. „Du mochtest den wohl nicht so gerne, was?“ Wieder antwortete Thomas nicht. Die Frau wirkte allmählich etwas verzweifelt. Sie knabberte auf ihrer Unterlippe und sah sich verzweifelt im Raum um, so als könne sie vielleicht dort etwas finden, das ihn dazu bewegen könnte, mit ihr zu sprechen. Doch egal nach welchem Strohalm sie auch griff, Thomas blieb stumm auf der Fensterbank sitzen.

      Nach einer Weile lehnte sie sich an seinen alten, kaputten Schreibtisch und strich mit den Fingern über ein Bild, das Thomas dort liegengelassen hatte. Ein Bild seiner Pflegeeltern.

      Sie kniff die Augen zusammen und hob es vom Tisch hoch, um es genauer betrachten zu können. Thomas sah wie sich ihre Augen weiteten. Doch es war ihm egal. Die Menschen reagierten oft so auf das, was er tat. Nun rutschte er von der Fensterbank und schritt zur Tür.

      Die Frau sah ihn irritiert an und legte das zerkratzte Bild zurück, auf dem er mit einem spitzen Stift dort hin gestochen hatte, wo auf dem Bild ihre Herzen lagen. Auch ihre Gesichter hatte er zerkratzt.

      Ohne ein Wort an sie zu wenden, ging er durch die Tür zur Treppe. Besuch wartete meist unten am Büro der Leitung, das wusste Thomas mittlerweile. So nahm er dem Büro gegenüber platz und wartete.

      Die Frau war ihm nun gefolgt. Während sie noch sichtlich zerstreut wirkte, klopfte sie an die Tür. Der Leiter der Einrichtung öffnete ihr die Tür und lächelte, wendete ein paar Worte an sie und lächelte schließlich Thomas zu. Er bat ihn herein.

      Thomas entdeckte zwei weitere Personen im Raum. Scheinbar ein Ehepaar. Sie trugen die gleichen Ringe an ihren Ringfingern und saßen dicht beieinander. Die Frau hatte streng zurück gebundene, blonde Haare und trug einen schicken Hosenanzug. Der Mann wirkte in seinem feinen Zwirn wie ein Geschäftsmann. Seine graumelierten Haare hatte er ordentlich zur Seite gekämmt, seine brauen Augen wirkten irgendwie weise, aber kühl und berechnend.

      „Das ist Thomas“, erklärte der Leiter nun und legte seine Hand auf die Schulter von Thomas. Dieser spannte sich innerlich an.

      „Thomas. Das ist Familie Bruce. Sie möchten gerne ein Kind aufnehmen und haben großes Interesse daran dich kennen zu lernen.“

      Thomas sah zu dem Paar. Ob sie ihnen erzählt hatten, warum er hier war? Wussten sie, dass er seine Pflegeschwester gequält hatte? Er wusste dass es ein Psychologe mal sadistische Züge nannte. Was auch immer das bedeuten sollte.

      Thomas war noch ein Kind, trotzdem war er nicht dumm. Und er hatte es satt mit sich spielen zu lassen. Sich benutzen und verletzen zu lassen. Er wollte so etwas nicht noch mal erleben, wollte nicht an eine Familie wachsen um dann durch das echte eigene Kind ersetzt zu werden.

      Thomas sah kurz zu dem Leiter, dann musterte er erneut das Paar. Es sah ihm nicht aus wie ein übliches Ehepaar. Alle anderen Paare die er hier ein und aus gehen gesehen hatten, wirkten irgendwie... freundlicher. Die Frau, Mistress Bruce, räusperte sich, als sie sich erhob und dem Leiter der Einrichtung zu nickte. „Können wir vielleicht eben vor der Tür sprechen?.“

      Dieser willigte ein und verließ schließlich mit ihr den Raum.

      Thomas stand noch immer in der Mitte des Raumes. Er hörte die Wanduhr ticken, während er und der Mann einander ansahen. Der Mann legte den Kopf etwas schief als er nun zu Thomas sprach. „Du bist nun schon drei Monate hier, richtig?“

      Thomas antwortete nicht. Trotzdem ließ sich Mister Bruce nicht beirren und sprach weiter. „Du bist neun Jahre alt, richtig? Sicher schon ein starker Bursche.“

      Wieder antwortete wieder Thomas nicht. Der Mann, der ihm so völlig fremd war, schien doch schon einiges über ihn zu wissen. Doch etwas wusste er sicher nicht.

      „Ich habe meiner Pflegeschwester weh getan.“

      Er