Richard Mackenrodt

Mein Leben davor


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kann dir kein THC verschreiben.« Seine Stimme wurde schärfer.

      »Wieso nicht?«

      »Auf welchem Planeten lebst du? Es ist verboten. Es macht abhängig. Ich darf dir auch keine Morphine geben, solange dir nicht bei einem Unfall der Arm abgerissen wird.«

      »Herr Doktor, darf ich das kurz zusammen fassen?«

      Er verdrehte die Augen.

      »Es existiert also ein gutes, sehr wirksames Schmerzmittel. Eines, das sehr viel besser ist als der ganze Kram, den Sie mir so geben. Aber der Staat verbietet, es einem Patienten zu verabreichen, obwohl er es verdammt gut gebrauchen könnte?«

      »Das ist kein Kram, Alex. Das sind die modernsten und höchstentwickelten Präparate, die es überhaupt gibt. Die Schmerzmittelbehandlung kostet deine Krankenkasse jeden Monat über 600 Mark. Und da es eine gesetzliche Krankenkasse ist, zahlt das letztlich auch der Staat. Also tu nicht so, als würde er dich hängen lassen.« Er sah mich an, als hätte er Perlen der Weisheit vor eine dumme Sau geworfen.

      »Eine Versorgung mit Cannabis wäre billiger«, sagte ich. »Und effektiver. Es ist nachgewiesen, dass sehr viel mehr Menschen durch Alkohol krank werden und sterben. Trotzdem ist Saufen erlaubt. Jeder darf so viel in sich rein schütten, wie er will. Wieso?«

      Der Arzt stand auf. »Erspar mir bitte diese Kiffer-Logik.«

      »Warum werden Sie denn jetzt so unhöflich?«

      »Hier ist dein neues Rezept«, sagte er, drückte es mir in die Hand und deutete zur Tür. »Und dann raus hier. Ich hab zu tun.«

      Als ich die Klinke schon in der Hand hatte, fügte er noch hinzu: »Die nächsten Rezepte schicke ich mit der Post. Mir gefällt dein Ton nicht.«

      Ich bat Paula, mir Gras zu besorgen. Sie freute sich, dass ihre Maßnahme bei mir so großen Anklang gefunden hatte, und am nächsten Tag brachte sie mir ein kleines Piece mit, eingewickelt in Stanniol. Es war kaum größer als eine Haselnuss und hielt nicht lange vor. Nach ein paar Tagen und drei weiteren Pieces ließ Paula mich wissen, dass es so nicht weitergehen konnte. Auf Dauer würde sie meinen Bedarf nicht befriedigen können, sie war schließlich kein Dealer und hatte immer nur etwas für den persönlichen Gebrauch.

      »Ich zahl’s dir auch«, sagte ich.

      »Du musst dir eine andere Quelle besorgen«, erwiderte Paula. »Wenn du willst, stell ich dich jemandem vor.«

      Wir fuhren mit dem Fahrrad zu einer Eckkneipe in Giesing. Der Kellner war zuerst sauer, weil Paula mich mitgebracht hatte, aber nachdem er mir im Hinterzimmer ein wenig auf den Zahn gefühlt hatte, erkannte er meine ehrbare Harmlosigkeit. »Du kriegst was«, sagte er. »Gutes Zeug. Nicht der Scheiß, den sie dir beim Bahnhof verticken, du weißt, was ich meine.«

      Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, aber das sagte ich ihm nicht.

      »Du erzählst niemandem von mir, hörst du? Nicht so wie Paula, die ihr kleines Mundwerk nicht halten kann. Checkst du das?«

      Ich sagte ihm, ich würde es checken, und so steckte ich meine gesamten Ersparnisse in den Erwerb von Marihuana. Eigentlich hatte ich für einen Computer gespart, aber diese Investition erschien mir ungleich sinnvoller.

      Ich wusste inzwischen auch schon ziemlich gut, welche tägliche Dosis ideal war, um auf der einen Seite den Schmerz zu reduzieren und auf der anderen halbwegs klar im Kopf zu bleiben. So konnte ich die schulischen Leistungen halten, und meine Eltern merkten nichts. Jetzt war ich für einige Wochen auf der sicheren Seite! Das Leben war schön, so konnte es weiter gehen.

      Das Dumme an einem Vorrat, an dem man sich täglich bedient, ist dann auf Dauer nur, dass er eben doch immer kleiner wird und irgendwann verschwunden ist. Ohne dass mittlerweile vergleichbare Ersparnisse angelegt worden sind. Und als ich mir aus den letzten Krümeln einen Joint bastelte, wusste ich zudem: Das war nicht mein einziges Problem. Denn auch wenn ich es mir noch nicht eingestehen wollte: Die Wirkung hatte in den letzten Tagen immer mehr nachgelassen. Auch THC war offenbar kein Freifahrtschein, um meinen Schmerzen für immer zu entkommen. Diese Erkenntnis war wieder einmal niederschmetternd.

      Ich saß in Paulas Zimmer in der Ecke auf dem Boden. Meine Hände lagen auf dem kühlen Parkett. Paula wusste keinen Rat. So kontinuierlich wie ich hatte sie noch nie gekifft, sie wusste nicht, wie sehr die Wirkung bei mir wohl noch weiter nachlassen würde. Die heitere Grundstimmung, mit der ich in den vergangenen Wochen durchs Leben geschwebt war, drehte sich, wie der Wind sich dreht, bevor ein Sturm aufzieht. Ich malte die Zukunft wieder in düsteren Farben, und die Angst vor ihr kehrte zurück.

      »Es gibt etwas«, sagte Paula, »das ist noch besser als Kiffen.«

      »Eine andere Droge?« Ich sah sie neugierig an.

      »Wenn du so willst«, meinte sie und ließ sich nicht in die Karten sehen.

      »Wie heißt sie?« Ich wurde unruhig. »Sag schon. Ist sie teuer?«

      »Tatsächlich«, erwiderte Paula und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, »ist sie sogar umsonst. Also, Manche zahlen zwar auch dafür, aber das sind Deppen.«

      Ich verstand gar nichts mehr. »Wie kann etwas nichts kosten, das noch besser ist als Cannabis?«

      Paula legte mir die Hand in den Schritt und tastete mit sachtem, aber zielgerichtetem Griff nach dem, was ich in der Hose hatte. Ich stellte das Atmen ein. Sie sah mir fest in die Augen, ohne ein Lächeln, während sie da unten massierte, was sofort hart wurde und sich quer legte. Ein aus dem Schlaf gerissenes Tier.

      »Es geht hier nur um Sex«, sagte sie leise. »Raffst du das?«

      Ich stammelte hervor, ich würde es raffen. Natürlich. Klar. Nur Sex. Sonst nichts. Sie knöpfte mir die Hose auf.

      »Du solltest jetzt wieder atmen«, riet sie. »Sonst wirst du gleich ohnmächtig.«

      Einen Moment lang fragte ich mich noch, was passieren würde, wenn ihr Vater herein kam. Aber den Gedanken schlug ich in die Flucht wie ein lästiges Insekt. Mit fiebrigen Fingern ging ich ihr an die türkisfarbene Bluse.

      »Langsam«, sagte sie. »Ruhig. Das soll danach alles noch heil sein, okay?«

      »Okay. Natürlich. Klar.«

      »Und red nicht ständig immer dasselbe. Am besten sagst du gar nichts. Und erzähl bloß nicht, du liebst mich, oder so einen Quatsch. Wenn du kitschig wirst, schmeiß ich dich raus.«

      Ich nickte. Und wurde nicht kitschig. Außer in meinen Gedanken. Aber ich drehte fast durch. Als ich in sie hinein glitt, musste ich stöhnen. Es war so unglaublich.

      »Nicht zu laut«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Papa sitzt unten vor der Glotze.«

      Ich nickte. Und stöhnte nicht mehr.

      »Was ist mit deinem Kopf?«, fragte sie, während sie auf mir saß, ihr Becken rhythmisch vor und zurück bewegte und mir ihre Brüste entgegen reckte. »Tut er noch weh?«

      »Nein«, röchelte ich. »Tut er nicht.«

      »Besser als Cannabis?«

      »Viel besser.«

      »Hab ich doch gesagt.«

      Ich umfasste ihren Hintern, und es gelang mir, die Bewegungen meines Beckens mit dem ihren zu synchronisieren. Ich erhöhte das Tempo. Aber Paula versteifte sich, so dass wir aus dem Takt kamen.

      »Nicht so hastig«, schnurrte sie. »Auskosten. Ganz langsam. Stell dir vor, ich wäre der teuerste Champagner der Welt. Den schüttest du auch nicht einfach in dich rein. Du trinkst ihn Schluck für Schluck. Bis du es nicht mehr aushältst.«

      Ich hielt es eigentlich schon jetzt nicht mehr aus. Aber in diesem Moment hätte ich alles getan, was sie mir befahl, selbst ein sofort vollstreckbares Todesurteil hätte ich auf der Stelle unterschrieben.

      Ich kam trotzdem viel zu schnell, es ließ sich beim besten Willen nicht vermeiden. Danach lag ich neben ihr und starrte an die Decke, spürte