Paul Barsch

Paul Barsch erzählt


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machte von dort einen Sprung ins Elternhaus und verabredete mit ihrer jüngsten Schwester ein Zusammensein auf der Wiese. Tags darauf konnte sie ungestört im Weidengebüsch sitzen, sich nach Liedern aushorchen und immerfort schreiben. Ihr Schwesterchen sorgte, dass die Kühe nicht zu Schaden gingen. Viel zu zeitig war das Heft vollgeschrieben, und sie grämte sich, dass sie den Liedern, die ihr verspätet durch den Kopf summten, nicht gerecht werden konnte. Den erarbeiteten Schatz verbarg sie behutsam im Futter ihres Unterrocks.

      Die Zeit erfüllte sich, und wieder wanderte die Hirtin mit ihrer Herde zum Dorfe hinaus, diesmal ohne die kleine Gefährtin. Draußen auf der stillen Flur erwartete sie, frohen Banges voll, den Dichter. Lange hielt sie Umschau, und endlich erspähte sie ihn. Auf dem Waltdofer Wege kam er langsam daher. Inbrünstig flehte sie zum lieben Gott, dass er ihn schütze vor den Blicken des alten Kringel, der drüben am Rande der Wiesen ackerte. Kringel war ein Lästermaul, und sie fürchtete Spott und böses Getratsch. An einem Busche setzt sie sich nieder, und als der Gast herankam und grüßend seine Mütze schwenkte, breitete sie hurtig ihr Kopftüchlein neben sich hin und lud ihn zum Ausruhen ein. Das fiel ihr schrecklich schwer, doch es musste geschehen, weil sie ihn auf andere Art vor Späheraugen nicht verbergen konnte. Sie bildete sich ein, er werde garstig von ihr denken, und sie schämte sich bis in den Hals hinab. Ein wenig leichter ums Herz war ihr, als er bei ihr saß und so wie bei der ersten Begegnung beteuerte, dass er nie zuvor ein verständigeres Jungfräulein gesehen habe. Gern ließ sie sich’s gefallen, dass er ihr die Wangen streichelte, und gern hätte sie ihm stundenlang gelauscht, wenn nur der Kringel nicht auf dem Felde gewesen wäre. Zaghaft reicht sie ihm ihr Schreibheft und bat ihn, es einzustecken und zu Hause zu lesen. Ihr kam es darauf an, ihn so rasch als möglich loszuwerden, er jedoch merkte das nicht, und zu ihrem Schrecken fiel er gierig über das Buch her, las Gedicht auf Gedicht und achtete nicht auf ihr Bitten, nicht auf das Gestammel von der Unleserlichkeit ihrer Handschrift. Bei einem der Lieder griff er nach ihrer Hand und drückte sie so fest, dass es wehtat. Dabei sprach er, ihr in die Augen blicken, sie verdiene, dass sie einst den besten uns schönsten Jüngling zum Manne bekomme. Von ihm selber sei dieses Lied gedichtet worden, und er freue sich, dass sie es lieb habe und wohl auch fleißig singe. Die andern seien ihm ebenfalls gut bekannt, und wenn sich auch kleines von denen darunter befinde, die er suche, kein richtiges Volkslied, so hoffe er doch, dass sie ihm helfen könne, sobald sie ihn verstanden habe.

      Sie ertrug‘s nicht länger. Mit dem Ausrufe, sie müsse zu den Kühen, flog sie davon, jagte den friedlich weidenden Geschöpfen einen Schrick ein und trieb sie sinnlos auf engem Plan umher. Ihre Lieder konnten dem Dichter nichts nützen. Dumm was sie, dumm wie ein Kalb, sonst hätte sie ihn nicht falsch verstanden.

      Er kam ihr nach. Er brachte das Schreibheft, er belehrte sie mit lauter Stimme, was er unter einem Volkslied verstehe. Kringel hielt staunen beim Ackern inne, schielte herüber und horchte. Sie entriss dem Dichter das Heft.

      „Ich schreib andre auf!“ rief sie ihm zu, und das sollte heißen, dass er sich ihrer erbarmen und fortgehen möge.

      Wann er wiederkommen dürfe?

      „Montag“, anteortete sie aufs Geratewohl.

      Eine ganze Weile noch redete er, und als er endlich ging, grämte sie sich bitter, weil sie die Grüße, die er ihr mit der Hand zuwinkte, nicht erwidern konnte. Was er nur von ihr denken mochte! Sie hatte zwar in ihrer Verwirrung und in ihrer Todesangst nicht gehört, was er vor dem Scheiden zu ihr sagte, zuletzt aber gefühlt, dass es lieb und lobend und schön gewesen war. In Gedanken flüchtete sie zur Muttergottes und suchte sich wegen ihres ungezogenen Betragens vor ihr zu rechtfertigen. Der Kringel, der allein war schuld daran, dass sie dem Dichter wehgetan hatte. „Morgen schandfleckt er über mich. Heilige Himmelsmutter, steh mir bei!“

      Kringel wartete mit dem Schandflecken nicht bis zum andern Morgen. Bei sinkender Sonne schon vermeldete sein Weib auf der Dorfstraße die erstaunliche Neuigkeit, dass die Anna Hoffmann und der alte närrische Mann ein Liebespaar seien, und dass die beiden Ursache hätten, bald an den Hochzeitskuchen zu denken. Zwei Stunden später erfuhren die Mägde und die Frauen beim Spinnrocken, was sich auf der Wiese zugetragen habe, und was die Anna, die immer so scheinheilig tue, für eine sei. Brühwarm drangen die Geschichten zu den Ohren von Annas Bäuerin, und die verstand keinen Spaß. Bei ihrem Geschimpfe im Kuhstall erdröhnten Wand und Gewölbe. Sie dulde nicht, schrie sie, dass sich ihre Magd mit einem alten fremden Kerl einlasse und ihr noch Läuse ins Haus bringe. Sie werde sie beim Herrn Pfarrer anzeigen. Hinausgeworfen müsste sie werden.

      Anna blieb ihr aus zornwildgewordenem Gemüte die Antwort nicht schuldig. Ihr brauche kein Mensch zu sagen, was sich schicke, und wenn die Leute wüssten, wie fein und gut der fremde Herr sei, würden sie sich ihre Lästermäuler nicht verbrennen. Vor dem Herrgott könnte sie schwören, dass er sie nur nach Volksliedern ausfrage, die er sammle, und dass er weiter gar nichts von ihr wolle. Wären die anderen Mädel nicht dumme Gänse, so hätten sie ihn angehört, anstatt davon zu rennen und ihn zu verschreien. Kringel sei ein Quatschkopf.

      In solcher Tonart ging‘s heftig hin und her, und die Bäuerin ließ endlich locker, weil sie merkte, dass sie den gegen die Ehre des Mädchens gerichteten Vorwurf nicht aufrechterhalten könne. Als letzten Trumpf erhob sie die Beschuldigung, dass Anna ein frecher Balg sei, und mit der Drohung: „Ich sag’s deinem Vater!“ verließ sie den Stall.

      Beim Abendessen und auch später waltete Friede. Die Familie saß beisammen im Schein der Öllampe, Frau und Magd spannen. Von den Vorgängen auf der Wiese und dem Wortkrieg im Stalle war keine Rede mehr.

      Den Kopf der Magd durchschwirrten Liedklänge und Trotzgedanken. Verse des Gesanges von der Agnes, über deren Brautbett sich vom Fenster her eine bleiche Totenhand streckte, schufen ihm Arbeit. Wie mutwillige Lämmer waren sie von ihren Plätzen gehüpft und wusste nicht mehr, wohin sie gehörten. Doch es glückte, sie einzureihen. Andere Lieder drängten sich hinzu und prahlten, dass bei ihnen alles klappe. Der Trotz verlangt, dass Anna sich weder durch ihre Herrin noch durch den Klatsch im Dorfe hindern lasse, des Dichters Wünsche zu erfüllen. Bei vielem Nachdenken hatte sie erraten, welche Sorte von Liedern er suchte.

      Der Hausherr sah noch einmal im Hofe und in den Ställen zum Rechten und prüfte das Wetter. Das war das Zeichen zum Schlafengehen. Anna stellte ihr Spinnrad in den Winkel, wünschte gute Nacht und ging. Durch das Dachfenster ihres Bodenkämmerchens grüßte ein schöner Stern. Den betrachtete sie bekümmert. Dann holte sie weinend aus ihrer Truhe ein Wachstöckchen und Schwefelhölzer hervor, auch blaues Briefpapier, das ihr eine Freundin zur Kommunion geschenkt hatte.

      Das Wachsstöckchen war in Albendorf zu Ehren der Mutter Gottes geweiht und durfte nur zu heiligen Zwecken angezündet werden, auch in Fällen schwerer Leiden. War denn der Zweck, dem es nun dienen sollte, nicht auch heilig, und litt sie nicht schweren Pein? Umständlich verhüllte sie das Fenster mir Tüchern, damit der Nachtwärter nicht an ihr zum Verräter werde. Zögernd überlegte sie, ob sie wirklich die hübschen Bogen mit Bleistift bekritzeln solle, und rasch gelangte sie zu der Erkenntnis, dass für ihren Freund kein Opfer zu groß sei.

      Der Deckel der Truhe war ihr Tisch. Kniend, in ihre Aufgabe ganz versunken, schrieb sie bis Mitternacht. Dann schlüpfte sie mit durchfrorenen Gliedern ins Bett.

      Zur rechten Zeit erwachte erwacht sie, und innig dankte sie dafür ihrem Schutzengel! Beim Frühstück aber verging ihr die Lust am jungen Tage. Der Bauer verlangte, dass Minna von nun an die Kühe zur Weide treibe. Sie sie dazu groß und stark genug. Anna werde in der Wirtschaft und auf dem Rübenacker gebraucht.

      Minna, noch ein Schulkind, widersprach und greinte. Anna fühlt sich ins Herz getroffen, doch sie verbarg ihr Weh. Aus Rachsucht hatte die Frau das Gebot ersonnen und dem Manne in den Mund gelegt. Am liebsten hätte sie laut geheult. An die Weiden am Graben, an die Blumen, die Vögel, die Hasen, die Wolken und an ihr zerstörtes Wiesenglück dachte sie. Doch grausamer noch litt sie durch die Schmach, die ihr und dem Dichter angetan worden war. Wenn sie doch wüsste, wie er hieß und wo er wohnte! Ach, dass sie ihm die blauen Briefbogen nicht schicken konnte! Den besten Halt in ihrem Jammer gewährten ihr die Verse, die sie im Verlauf des Tagewerks aus entlegenen Tiefen des Erinnerns mühsam hervorkramte. Vor der Schönheit dieses Zeitvertreibs entwichen die trüben Gedanken. Trost spendete ihr dann die