Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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restlichen Lehrkräften hatten nur wenige etwas mitbekommen und am Ende blieben nur Frau Gerber, sowie die Rektorin und zwei Lehrer übrig, die in der Pause Hofaufsicht hatten. Sie konnten zumindest die Beschreibung des vermeintlichen Polizisten bestätigen, die Frau Gerber ihnen gab.

      “Er war unglaublich groß und kräftig”, berichtete sie. “Also, muskulös meine ich, nicht dick oder so.”

      “Was genau hat er denn zu Ihnen gesagt?”, fragte Grzyek die eingeschüchterte Frau, während Herwig wie ein eingesperrter Tiger durch das Lehrerzimmer streifte und sich nervös die Hände knetete.

      Frau Gerber warf einen verängstigten Blick auf den Kommissar und holte tief Luft, bevor sie zusammenfasste, was geschehen war.

      “Er kam zu mir und hielt mir seine Dienstmarke unter die Nase”, begann sie langsam. “Er stellte sich als Kommissar Müllenbeck vor...”

      “Wie bitte?”, unterbrachen Herwig und Grzyek sie zugleich. “Wie hat er sich genannt?”

      Unsicher blickte die Frau zwischen ihnen hin und her.

      “Kommissar Müllenbeck. Und so stand es auch in dem Dienstausweis. Ich hab ja extra genau hingeguckt, schließlich wollte er zwei Kinder mitnehmen.”

      “Und als Sie da so genau hingesehen haben”, fuhr Herwig sie unbeherrscht an, “da ist Ihnen nicht zufällig aufgefallen, dass das Bild auf dem Dokument nicht mit dem Aussehen des Mannes übereinstimmte?”

      Grzyek legte ihm beruhigend die Hand auf Schulter und drückte sie sanft.

      “Bitte, lass mich das machen”, raunte sie ihm zu.

      “Er sah aber so aus, wie auf dem Bild”, verteidigte sich die junge Lehrerin. “Ok, ich hab noch gedacht, da wäre auch mal langsam ein aktuelleres Foto fällig. Aber das war auch ziemlich unscharf. Beide waren blond und...”

      Sie stockte, als Herwigs harter Blick sie traf.

      “Ich dachte halt, er hätte sich durch die Jahre bei der Polizei vielleicht einfach nur verändert. Wäre kräftiger geworden und so. Was weiß denn ich, was die Polizeiarbeit so aus einem macht!”

      Herwig schnaubte verächtlich und pirschte weiter durch den Raum.

      “Was hat er denn für einen Grund genannt, ihm die Kinder mitzugeben?”, wollte Grzyek wissen.

      “Er sagte, sein Chef - Hauptkommissar Herwig - wäre an einem schwierigen Fall dran und dass die Gefahr bestünde, dass man versuchen könnte, die Kinder zu entführen. Deshalb habe er den Auftrag, sie in Sicherheit zu bringen.”

      “Und das haben Sie ihm einfach so geglaubt?”

      “Du meine Güte, was hätten Sie denn an meiner Stelle gemacht?”, fragte sie aufgebracht. “Da steht ein Uniformierter mit Polizeimarke, noch dazu einer, bei dessen Anblick man schon bereit ist, alles zu gestehen und erzählt, die Kinder wären in Gefahr. Ich musste doch davon ausgehen, dass das alles seine Richtigkeit hat, schließlich ist ja hier allgemein bekannt, welchen Beruf Herr Herwig hat.”

      “Und auf die Idee, mich anzurufen und sich abzusichern, sind Sie nicht gekommen?” Unbemerkt hatte der Tiger sich von hinten angeschlichen und fauchte der armen Frau über die Schulter. Erschrocken zuckte sie zusammen.

      “Doch, natürlich!”, rief sie verzweifelt aus. “Das wollte ich gleich als erstes. Aber er wies mich zurecht, ob ich ihm denn nicht zugehört hätte? Er hätte doch gerade gesagt, dass Sie in schwierigen Ermittlungen stecken würden. Und ob ich nicht glaube, dass Sie oder Ihre Frau persönlich gekommen wären, wenn Ihnen das möglich gewesen wäre.”

      “Gut, Frau Gerber”, lenkte Grzyek die Aufmerksamkeit der Zeugin wieder auf sich. “Wie ging es dann weiter?”

      “Nun, es war Pause, also bin ich raus auf den Hof und habe die Aufsicht gebeten, nach Lucca und Giuliano zu suchen. In der Zeit habe ich die Klassenlehrer informiert und wollte Frau Soest-Klettenberg Bescheid geben, aber die war nicht im Haus.”

      “Schulleiterkonferenz”, erklärte diese achselzuckend. “Mit den Kindern hat man in der Position nicht mehr viel zu tun. Leider!”

      Grzyek nickte unverbindlich und wandte sich wieder der Zeugin zu.

      “Kommen wir noch einmal auf die Beschreibung des Mannes zurück. Sie sagten, er sei sehr groß und kräftig gewesen. Wie groß ungefähr?”

      Die Frau überlegte einen Moment.

      “Sehr groß, zwei Meter bestimmt, würde ich sagen. In jedem Fall noch mal ein ganzes Stück größer als Herr Herwig.”

      “Wie alt würden Sie ihn schätzen?”

      “Mitte Dreißig, vielleicht Ende Dreißig.”

      Grzyek notierte die Daten und sah ihren Kollegen fragend an.

      “Nach Tom Lorenz klingt das aber nicht”, sagte sie schließlich nachdenklich.

      “Hatte er eine auffällige Narbe im Gesicht oder wirkte irgendwie entstellt?”, hakte Herwig nach.

      “Nein! Er sah zwar nicht sehr sympathisch aus - mehr so der Typ Rausschmeißer, aber eine Narbe? Nein!”

      Grzyek notierte sich noch Telefonnummer und Adresse der Zeugin, dann verabschiedeten sie sich und verließen die Schule wieder.

      Unterwegs zum Auto überlegten sie, wer dieser neue Gehilfe von Tom Lorenz sein mochte. Mit der Beschreibung konnten sie nicht sehr viel anfangen. Allerdings würden die Angaben mit dem wenigen übereinstimmen, das Anna Lorenz im Februar zu Protokoll gegeben hatte, als sie diesen Steve beschrieb, der sie festgehalten hatte, während Tom sein perfides Spielchen mit ihr trieb. Groß und kräftig, Typ Rausschmeißer, das würde passen.

      In ihre Überlegungen hinein rief Werter erneut an. Er hatte endlich herausgefunden, wo Özkilics steckten und wollte sich dort mit ihnen treffen.

      “Hülser schleicht die ganze Zeit hier herum. Ich glaube, es wäre keine gute Idee, ihn und Torsten aufeinander treffen zu lassen”, begründete er seinen Vorschlag.

      “Was ist mit Jojo?”

      “Der vernimmt noch diese Vivien Meyer. Irgendwas an ihrer Geschichte scheint merkwürdig zu sein.”

      “Was denn für eine Geschichte?”

      “Ach so, habe ich ganz vergessen!” Grzyek konnte hören, wie ihr Kollege sich mit der Hand vor die Stirn schlug. “Ganz schön was los hier heute. Die Holländer haben angerufen. Mit der Beschreibung von Tom Lorenz sind sie nicht weitergekommen. Aber der Postbeamte konnte sich noch sehr genau an die Person erinnern, von der die Pakete aufgegeben wurden. Und jetzt haltet euch fest – die Beschreibung passt haargenau auf Vivien Meyer!”

      Köln Nippes, später am Nachmittag

      Dass Werter an der richtigen Adresse angekommen war, erkannte er nicht nur an dem festlich mit Blumen geschmückten Wagen, der direkt vor ihm in die gleiche Straße abbog, sondern auch an der Tatsache, dass die Straße nicht nur in zweiter, sondern zum Teil sogar in dritter Reihe zugeparkt war. Ein Durchkommen war kaum noch möglich und einen Parkplatz zu finden, dürfte Stunden dauern.

      Also entschied er sich, seine Vorteile als Polizist endlich auch einmal zu nutzen und hiefte das Blaulicht während der Fahrt umständlich auf das Dach seines Fahrzeugs.

      Beinahe wäre er noch mit einem entgegen kommenden Fahrzeug zusammengestoßen. Der Lieferwagen mit der Aufschrift “Feinkost Duvan” hatte die gleichen Schwierigkeiten, sich durch die enge Straße zu kämpfen und touschierte um ein Haar seinen linken Kotflügel. Wütend erhob der grobschlächtige Fahrer seine Faust und ließ sich auch nicht von der schönen blauen Lampe auf Werters Wagen beeindrucken.

      Kopfschüttelnd parkte der Kommissar direkt vor dem Gebäude, in dem die lautstarke Feier bereits in vollem Gang war.

      Es würde sicher noch etwas dauern, bis seine Kollegen eintreffen würden