Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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Wege sein Leben in der Isolation, denn sein Gesicht war zu bekannt, als dass er groß hätte offen auftreten können. Was ihn jedoch im Ernstfall nicht davon abhalten würde, sich ihrer und Annas anzunehmen, wie Steve ebenfalls glaubhaft erklärt hatte.

      Mindestens ein Mal in der Woche kam er in den Club, verlangte bei Madame stets von Vivien bedient zu werden, trieb das Geld ein, brachte eine neue Drogenlieferung und ließ sich tatsächlich noch von ihr “bedienen”. Anschließend hatte sie immer zusehen können, woher sie das Geld bekam, dass sie mit ihm als Kunden offiziell verdiente und bei Madame abgeben musste.

      “Hallo? Frau Meyer?”

      Mühsam richtete Vivien ihre Aufmerksamkeit auf den Polizeibeamten.

      “Frau Meyer, wie erklären Sie sich dann, dass man Sie gesehen hat, als Sie die Päckchen in Holland bei der Post aufgegeben haben?”

      Wie gerne hätte sie ihm die Wahrheit ins Gesicht gebrüllt. Wie gerne würde sie sich endlich jemandem anvertrauen, damit dieses widerliche Spiel ein Ende hatte. Doch ihre Angst vor Tom war zu groß. Lieber riskierte sie, unschuldig ins Gefängnis zu gehen, als Annas Leben zu gefährden.

      Still vor sich hin weinend zuckte sie mit den Schultern.

      Sie durfte und sie würde nichts sagen.

      Für Anna!

      “Ein paar Handschuhe zu verschicken ist ja an und für sich nichts Verbotenes”, versuchte es der Polizist noch einmal. “Aber abgehackte Hände und ausgebuddelte Leichen mitzuschicken, ist dann gar nicht mehr komisch!”

      Erschrocken sah Vivien auf. Davon hatte sie nichts gewusst!

      “Oder Kinder zu entführen”, fügte er zu ihrem Entsetzen noch hinzu.

      Doch obwohl ihr klar war, was man ihr da versuchte anzuhängen, überwog noch immer die Angst vor Lorenz.

      “Ich war das nicht!”, sagte sie leise. “Damit habe ich nichts zu tun!”

      Traurig blickte der Kommissar ihr in die verheulten Augen.

      “Wie gerne würde ich Ihnen das glauben”, wiederholte er resigniert. Dann wandte er sich an zwei uniformierte Kollegen, die auf seinen Wink den Verhörraum betraten.

      “Führt sie ab!”, sagte er erschöpft.

      Köln Niehl, am späten Abend

      Karstens fühlte sich schlapp wie ein ausgewrungener Waschlappen, als er nach diesem unsäglichen Tag endlich auf dem Weg nach Hause war. Lange würde er sich dort allerdings nicht aufhalten können, bevor er sich wieder mit den Kollegen treffen wollte. Völlig frustriert hatten sie irgendwann eingesehen, dass sie vorerst einfach nicht weiter kamen und hatten beschlossen, sich wenigstens ein paar Minuten Ruhe und nach Möglichkeit auch eine Dusche zu gönnen.

      Besonders Herwig hatte es verständlicherweise nach Hause getrieben. Er hatte sich zwar immer wieder telefonisch bei Susanne erkundigt, wie es ihr ging, doch so ganz hatte er ihr die Beteuerungen, sie käme schon klar, nicht abgenommen.

      Karstens zollte beiden großen Respekt für ihre Tapferkeit. Seine Kollegen sagten ihm zwar immer wieder mangelnde Empathiefähigkeit nach und wenn er ehrlich zu sich selber war, musste er zugeben, dass sie damit vermutlich auch ganz richtig lagen. Gefühlsduseleien, die anderen schon Tränen der Rührung oder des Mitleids in die Augen trieben, ließen ihn zumeist kalt und seine heftigen Reaktionen auf den gewaltsamen Tod von Kitty, hatten ihn selbst wahrscheinlich am allermeisten überrascht. Das Verschwinden der Kinder, zumal er Lucca und Giuliano auch persönlich kannte, berührte ihn jedoch sehr und er litt mit den verzweifelten Eltern mit.

      Als das Ermittlerteam sich schon im Aufbruch befunden hatte, war es noch zu einer sehr unschönen Szene im Büro gekommen.

      Hülser stand plötzlich in der Tür, den üblichen hochroten Kopf voran. Nervös hatte er von einem zum anderen gesehen und dann die Katze aus dem Sack gelassen. Selbstverständlich war ihm aufgefallen, das Herwig eigentlich als befangen eingestuft werden müsste, da er persönlich von dem Fall betroffen war und das in einem Ausmaß, dass er “nicht für gut heißen oder gar verantworten könne”, wie er sich schließlich ausgedrückt hatte.

      Herwig war förmlich ausgerastet, hatte gebrüllt und getobt, Hülser beleidigt und von seinem Team Unterstützung verlangt. Ihr Vorgesetzter hingegen hatte unbeeindruckt abgewartet, bis er fertig war und hatte stur, mit exakt dem gleichen Wortlaut seine Bedenken wiederholt. Verzweifelt über Hülsers Uneinsichtigkeit, flehte Herwig ihn schließlich unter Tränen an, weiter an den Ermittlungen dran bleiben zu dürfen.

      ”Ich kann unmöglich einfach zu Hause herumsitzen und euch hier machen lassen!”, hatte er verzweifelt geschluchzt. Doch Hülser ließ sich nicht erweichen und hatte Herwig kurzerhand vom Dienst suspendiert.

      „Und das ist nicht etwa eine Empfehlung, Herwig,“ beendete Hülser die Diskussion genervt. „Betrachten Sie es als Befehl!“ Knallend war die Tür hinter ihm zugeschlagen und hatte sie wie betäubt zurückgelassen.

      Ein wütendes Schnauben entfuhr Karstens, als er sich bei der Einfahrt in die heimische Tiefgarage an die Herzlosigkeit seines Vorgesetzten erinnerte.

      Er mochte sich nicht ausmalen, was Torsten, zu Hause zur Untätigkeit verdammt, seine Frau Susanne und auch das Ehepaar Özkilic, das nach wie vor seinen Sohn Mustafa vermisste, jetzt durchmachten.

      Alles was sie unternommen hatten, um irgendetwas über den Verbleib der mittlerweile drei entführten Kinder herauszufinden, war ins Leere gelaufen.

      Der verdächtige Wagen von Feinkost Duvan hatte sich erwartungsgemäß als gestohlen entpuppt, doch trotz sofort eingeleiteter Fahndung, war er bislang nicht aufgetaucht.

      „Mein Gott! Womöglich waren die Kinder sogar alle drei in dem Wagen, als ich beinahe mit ihm zusammengestoßen bin!“, hatte Werter entsetzt gestöhnt, als ihm dies klar geworden war.

      „Wärst du doch nur...“, murmelte Karstens traurig.

      Zugleich hatten sie jedoch auch noch einige andere Spuren weiter verfolgt.

      Sie hatten Frau Gerber zum Präsidium gebeten, um ein Phantombild von dem falschen Polizisten zu erstellen, von dem sie glaubten, dass es sich um Lorenz Gehilfen Steve handelte. In der berühmt berüchtigten Verbrecherkartei hatten sie die Lehrerin auch nach ihm suchen lassen, aber sie hatte niemanden gefunden, der mit dem Mann, der die Frechheit hatte, sich als Ben auszugeben, übereinstimmte.

      Entweder war er ein unbeschriebenes Blatt oder zu gewieft, als dass man ihm bislang auf die Spur gekommen wäre.

      Immerhin hatte Anna Lorenz in dem Phantombild den Mann erkannt, mit dem Tom sie am Set überfallen hatte und ihr Verdacht, dass dieser Steve weiterhin als Komplize von Lorenz agierte, galt als gesichert.

      Den Dienstausweis von Ben musste dieser Steve irgendwann bei Mascha entwendet haben. Die damalige Partnerin von Müllenbeck hatte ihn als Andenken an ihren verstorbenen Freund bekommen und bislang verwahrt. Dass er verschwunden war und an seiner Stelle der mittlerweile sattsam bekannte Handschuh lag, hatte sie erst bemerkt, als Herwig und Grzyek bei ihr aufgetaucht waren und danach gefragt hatten. Irgendwelche Spuren hatten sie nicht finden können. Selbst, wie es Steve gelungen war, in die Wohnung einzudringen, ließ sich, trotz gründlicher Arbeit der Kollegen von der Spurensicherung, vorerst nicht herausfinden.

      Haferkorns unvermeidbarer Handschuh war am Ende schon keine aufregende Neuigkeit mehr gewesen, sondern hatte sich einfach nur noch ins Bild gefügt.

      Da niemand Lösegeld oder andere Forderungen gestellt hatte, verstärkte sich der Verdacht, dass es sich um einen reinen Rachefeldzug von Tom Lorenz handelte. Welche Rolle Vivien Meyer dabei spielte, wollte sich Karstens jedoch nicht erschließen. Er konnte sich unmöglich vorstellen, dass die junge Frau ernsthaft mit Lorenz zusammen arbeitete. Jedenfalls nicht freiwillig.

      Sollte er diesen Lorenz in die Finger kriegen, Karstens würde ungeachtet aller Konsequenzen keine Sekunde zögern, dieses Ungeheuer fertig zu machen.