Kim Scheider

"Brender ermittelt"


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der Empfangstheke und unterhielt sich mit einem Kunden, den die junge Frau vom Sehen her kannte.

      “Einen schönen Tag wünsche ich dir noch, mein Lieber”, sagte Madame gerade mit rauchiger Stimme und strich dem Kunden, der so aussah, als würde er am liebsten direkt noch mal mit ihr nach hinten gehen, mit ihrem langen Fingernagel verführerisch über die Wange. “Bis zum nächsten Mal.”

      Mit wehmütigem Gesichtsausdruck begab der Mann sich zum Ausgang, grüßte Vivien knapp im Vorbeigehen und verließ das Etablissement. In dem Moment bemerkte Madame ihre Mitarbeiterin.

      “Vivien, was machst du denn hier? Ich denke, du liegst mit Anna am Strand und lässt dich von knackigen jungen Kellnern bedienen?”

      Trotz ihrer Anspannung musste Vivien grinsen. Schön wär's, dachte sie.

      “Wir sind heute Mittag schon zurückgekommen. Ich konnte sie Chris ja nicht ewig vorenthalten.” Sie begrüßte ihre Chefin mit einem Kuss auf die Wange und sah ihr forschend in die Augen.

      “Sag mal”, begann sie zögernd. “Dieser neue Stammkunde, den ich da seit ein paar Monaten habe, dieses blonde Muskelpaket, du weißt schon wen ich meine, dieser Steve, wann war der das letzte mal hier?”

      “Da fährst du an deinem freien Tag hier hin, um mich das zu fragen?” Verwundert betrachtete Madame sie. “Warum hast du denn nicht einfach angerufen?”

      Fieberhaft bastelte Vivien sich eine halbwegs plausible Begründung zusammen.

      “Ach, ich wollte einfach ein bisschen raus, Anna und Chris eine Chance geben, du verstehst? Und da ich dich das eh noch gefragt haben wollte, dachte ich, ich könnte auch gleich vorbeikommen und sehen, ob die Bude noch steht, nach so einem ganzen Wochenende ohne mich.”

      Mit skeptisch hochgezogenen Augenbrauen, sah Madame, die mit bürgerlichem Namen Helga Frank hieß, ihr ins Gesicht.

      “Vivien, verarsch mich nicht! Was ist los? Und was hat dieser Steve damit zu tun?”

      Obwohl die junge Frau sich betont locker gab, konnte sie vor ihrer Chefin nicht verbergen, wie aufgewühlt sie war, also versuchte sie es gar nicht erst weiter.

      “Ich glaube, dass er uns beklaut hat”, platzte sie stattdessen heraus. “Die neuen Handschuhe, die du neulich bestellt hast, diese schwarzen Spitzendinger, wo hast du die?”

      Madames Gesichtsausdruck wurde immer verständnisloser.

      “Vivi, wovon sprichst du?”

      “Die Handschuhe, dieser Restposten – wo sind die?”

      “Im Lager, wo sonst! Würdest du mir jetzt bitte mal verraten, was los ist?”

       Im Lager, natürlich!

      Ohne zu antworten hastete Vivien in den hinteren Teil des Clubs, lief an der Bar vorbei über die Tanzfläche und durch den spärlich beleuchteten Gang an den Darkrooms vorbei. Aus dem einen oder anderen dieser abgetrennten Bereiche drangen Geräusche, die an einen mittelalterlichen Folterkeller erinnerten. In einem anderen schien der CIA sich eingenistet zu haben. Vivien beachtete die Geräuschkulisse jedoch nicht. Sie hörte ohnehin nur noch das Rauschen ihres Blutes in den Ohren.

      Ihr Ziel lag ganz am Ende des Ganges. Eine steinerne Treppe führte von dort aus in die Kellerräume, aus denen ebenfalls verdächtige Geräusche drangen, aber so weit wollte sie gar nicht. Direkt neben der Treppe war eine schmale Metalltür, auf die sie in vollem Tempo zu hielt.

      “Da ist abgeschlossen!”, hörte sie von weiter hinten Madames Stimme, doch da war es schon zu spät. Ungebremst krachte sie gegen die geschlossene Tür und prallte mit einem Schmerzensschrei von ihr ab. Ihre Chefin fing sie gerade noch rechtzeitig ab, so dass sie wenigstens nicht auch noch auf den Boden knallte.

      “Bitte, schließ die Tür auf”, bat Vivien. “Bitte! Es ist wirklich wichtig!”

      “Erst wenn du mir sagst, worum es geht!”

      “Das kann ich nicht.”

      “Dann schließe ich auch nicht auf.”

      Hatte Vivien gerade fast schon flehentlich geklungen, so hatte sie sich inzwischen wieder gefangen. Leise, aber mit fester Stimme sprach sie eindringlich auf ihre uneinsichtige Chefin ein.

      “Meinst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist, darauf zu bestehen? Hier, vor der Kundschaft? Also bitte, lass uns das da drinnen besprechen!”

      Einen Moment lang schien die erfahrene Geschäftsfrau abzuwägen, was für sie ungünstiger wäre; sich von Vivien hier überrumpeln zu lassen oder das Risiko einzugehen, dass die Kunden Dinge zu Ohren bekamen, die sie womöglich nichts angingen.

      Als Madame endlich den Schlüssel zückte, wusste Vivien, dass sie gewonnen hatte. Die Tür war kaum einen spaltbreit geöffnet, da stürmte sie auch schon an ihrer Chefin vorbei, suchte mit fliegenden Fingern den Lichtschalter und sah sich in dem engen Raum um.

      Lange brauchte sie nicht zu suchen.

      Genau in der Mitte der kleinen freien Fläche, die zwischen all den Kartons und Regalen verblieben war, lag ein einzelner schwarzer Handschuh. Die Verpackung, in der die restlichen gewesen waren, lag achtlos in der Ecke.

      Der Handschuh selber war jedoch sorgsam zurechtgelegt worden, so dass es wirkte, als stecke eine Hand in ihm, die eine kleine weiße Karte zwischen den Fingern hielt.

      “Unartige kleine Vivien”, stand darauf zu lesen. “Hatte ich nicht JEDERZEIT gesagt...?

      Köln Altstadt, gegen 15 Uhr

      Christoffer Frey stand gedankenverloren in seiner Küche und rauchte mittlerweile schon die dritte Zigarette. In den vergangenen Monaten hatte er ein paar Mal versucht mit der Raucherei aufzuhören, aber es war wohl nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Andererseits, wann war schon der richtige Zeitpunkt für so etwas? Zumindest war es ihm bislang nicht gelungen und im Moment inhalierte er den Rauch, als wollte er damit all die düsteren Gedanken und die schrecklichen Bilder in seinem Kopf benebeln, um sie nicht mehr ertragen zu müssen.

      Sie hatten den Hausflur noch nicht ganz betreten, da waren sie auch schon von der Vermieterin abgefangen worden.

      “Jemand hat ein Paket für Sie bei mir abgegeben”, hatte sie Frey mitgeteilt und war eilfertig in ihrer Wohnung verschwunden, um es zu holen. Etwas irritiert hatte sie es den Polizeibeamten überreicht, die anscheinend verhindern wollten, dass er das Ding überhaupt in die Finger bekam. Es war ein ganzes Stück größer, als Annas Päckchen.

      “Aber, das ist doch für Herrn Frey”, hatte sie schwach versucht, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Doch nachdem einer der Beamten ihr erklärt hatte, dass es sich dabei um ein Beweisstück handelte, betrachtete sie ihre Hände mit neuem Interesse. Dabei schwankte sie scheinbar zwischen zwei widerstreitenden Empfindungen. Einerseits schien sie es spannend zu finden, dass ihre Hände ein Beweisstück in einem Kriminalfall gehalten hatten, andererseits war sie aber offenbar auch nicht ganz sicher, ob ihre Hände jetzt nicht womöglich sogar beschmutzt waren. Kontaminiert mit Kriminalität! Es hatte eigentlich nur noch gefehlt, dass sie fragte, ob das ansteckend sei.

      Bestimmt hatte sie noch weiter über dieses Problem nachgedacht, als Frey in Begleitung von Anna und den beiden Polizeibeamten schon längst gegangen war. Doch als sie gerade den dritten Stock erreicht hatten, war ihr noch ein weiteres aufgegangen.

      “Aber da sind dann jetzt ja meine Fingerabdrücke drauf!”, hatte sie verängstigt nach oben gerufen. “Da kann ich aber doch gar nichts für!”

      Erst nachdem die Beamten ihr versichert hatten, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nichts zu befürchten hatte, waren sie endlich in Freys Wohnung angekommen.

      In der Küche hatte er das Paket unter der fachkundigen Aufsicht der Beamten geöffnet. Es war zwar größer als Annas Paket, jedoch nicht unbedingt schwerer.

      Als Frey schließlich mit unsicheren Bewegungen