K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


Скачать книгу

impulsiv.“

      Während Sekou und Ibrahim sofort anfangen darüber zu diskutieren, wie sie Sekous Onkel überreden können, den Kredit, den er seinem Neffen schon fast zugesagt hat, so aufzustocken, dass sie beide ihren Flug davon bezahlen können, macht Amadou vor Freude ein paar ausgeflippte Tanzschritte. In seinen Augen lodern, bizarr sich spiegelnd, die glühenden Flammen der Kochfeuer vom Straßenrand.

      Das Ziel ist gesteckt, der Weg dorthin ist nur noch eine Frage der Planung.

      Aufgewühlt, wie sie sind, bekommen Ibrahim, Sekou und Amadou in dieser Nacht kein Auge zu; sie starren mit brennenden Augen in die Dunkelheit, als ob sie mit nur etwas gutem Willen einen Blick in die Zukunft erhaschen könnten.

       Euphorie und Überzeugungskraft

      Am nächsten Tag verrichtet Amadou seine Arbeit mit ungewohntem Elan. Seine gute Laune ist offensichtlich; er singt und tänzelt durch den Gang.

      Sue, die junge Frau aus Zimmer fünf hat ihm aufgelauert und öffnet blitzschnell ihre Tür. „Guten Morgen Amadou“, säuselt sie und lehnt sich gegen den Türrahmen wie Brigitte Bardot in, ‚Ewig lockt das Weib’.

      „Ebenso“, gibt Amadou selbstbewusst zurück und lässt mit einem Platsch den Feudel genau vor ihren Füßen niedergehen. Sue macht erschrocken einen Satz zurück.

      „Bist du immer noch böse auf mich?“, fragt sie dennoch unbeirrt.

      „Wieso? Habe ich einen Grund?“ Und machohaft fügt er hinzu: „Ich habe Wichtigeres im Kopf, als dir böse zu sein.“

      „Ah ja? Wenn ich dich so betrachte, muss es etwas Positives sein; ich meine, das, was du Wichtiges im Kopf hast.“ Mit hochgezogenen Brauen blickt Sue ihn lauernd an.

      Amadou lehnt den Schrubber an die Wand und tritt so dicht vor Sue, dass diese nur noch ihren Kopf steif nach hinten ziehen kann. Er genießt ihre Verunsicherung. „Was willst du?“

      „Ich, ich dachte, wir könnten abends, wenn du Feierabend hast, mal ein Bier zusammen trinken“, stottert Sue, verschnupft darüber, dass sie es ist, die ihn anmacht.

      Amadou fährt mit dem Wischen fort. Nach einer, für Sue, nicht enden wollenden Pause antwortet er gleichgültig, ohne sie dabei anzusehen: „Warum nicht? Ich werde dir irgendwann einen Zettel mit Tag, Ort und Zeit auf dein Bett legen, okay?“

      „Wenn ich dann noch da bin!“, schnauzt Sue zurück und lässt die Tür etwas zu laut ins Schloss fallen. Amadou grinst.

      Abends holt er Miriam mit gemischten Gefühlen zu einem Spaziergang ab. Als er seine Schritte in Richtung Ortsende lenkt, stoppt Miriam Amadou.

      „Was ist eigentlich los mit dir? Du bist so komisch in letzter Zeit.“

      „Nichts, es ist alles okay“, sagt Amadou halbherzig. „Und wohin gehen wir?“

      „Ach, nirgendwohin; im Grunde suche ich nur ein Plätzchen, wo wir ungestört sind.“ Miriams anfängliche Besorgnis weicht einem verstehenden Lächeln.

      In einem kleinen Seitenweg taucht die zerfallene Mauer eines verlassenen Hofes im Mondlicht auf. Sie steuern darauf zu. Amadou wedelt mit seinem Taschentuch den Sand von der Mauer und breitet es anschließend als Unterlage für Miriam aus. Sie drängen sich eng aneinander, doch die richtige Stimmung zum Liebkosen und Küssen will nicht aufkommen. „Geht’s deiner Mutter schlechter?“, erkundigt sich Miriam mitfühlend und löst sich aus Amadous Umarmung.

      „Nein, ihr Zustand ist unverändert.“

      „Ja, aber du hast doch was. Kannst du es mir nicht sagen? Ich dachte, wir hätten Vertrauen zueinander.“ Miriam schaut ihn traurig an.

      „Ich liebe dich“, stöhnt Amadou verzweifelt, und, weil er nicht weiß, wie er ihr seinen Fortgang erklären soll, verpackt sein Unterbewusstsein die für Miriam traurige Nachricht in eine erfreuliche: „Wenn ich aus Deutschland zurückkomme heiraten wir.“

      Diese Mogelpackung geht leider nach hinten los. Miriam ist mit einem Satz auf den Beinen und baut sich mit funkelnden Augen vor Amadou auf. „Du willst weg? Etwa mit dieser Blonden aus der Disco?“

      „Wieso? Woher weißt du … nein! Ich … warte, ich werde es dir erklären.“

      „Da gibt es nichts zu erklären. Du hast deine Entscheidung ja schon ohne mich getroffen.“ Ganze Bäche von Tränen laufen ihr über das unbewegte Gesicht. Sie dreht sich auf dem Absatz um und macht sich wie ferngesteuert auf den Nachhauseweg. Amadou schaut ihr mit hängenden Schultern nach und beobachtet, wie sie während des Gehens ab und zu mechanisch den Arm hebt, um die Tränen mit dem Handrücken fortzuwischen.

      Decouragiert setzt er sich wieder auf die Mauer. Seine Hände stützt er lahm auf der Mauer ab, lässt den Kopf tief zwischen die Schultern sinken und die Beine lustlos baumeln. In seinem Kopf kreisen die Gedanken, aber er lässt nur die in sein Bewusstsein fließen, die seine Handlung rechtfertigen.

      Ärgerlich denkt er: ‚Warum weint sie wie ein krankes Kind, was habe ich ihr denn getan? Ein Heiratsantrag und die Aussicht auf ein besseres Leben sind doch ein Grund sich zu freuen. Wenn ich erst Erfolg habe und Geld verdiene, werde ich ihr jeden Wunsch erfüllen. Ihre Eltern sind bestimmt mit meinem Plan einverstanden; und Miriam wird sich schon wieder beruhigen. Wenn sie immer noch widerspenstig ist, werde ich sie hinter dem Haus zwischen Papayastaude und Bougainville mit meinen Spezialküssen überschütten. Denen konnte sie noch nie widerstehen.’

      Von diesem Gedanken getröstet, macht Amadou sich auch auf den Heimweg.

      Am nächsten Abend lässt Miriam sich tatsächlich erweichen, ihrem Liebsten zu verzeihen, dass er sie vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Sie kann gar nicht anders. Ausschlaggebend dafür sind aber nicht seine unwiderstehlichen Küsse - die hatte sie noch gar nicht bekommen - sondern, dass Ibrahim und Sekou Amadou begleiten wollen. Selbst ihre Eltern stehen dem Plan der drei Freunde nicht so ablehnend gegenüber, wie sie zunächst dachte. Und erst ihre jüngeren Geschwister! Sie flüstern bereits schamlos mit leuchtenden Augen darüber, was für sie bei dieser Europareise abfallen könnte. Hauptsächlich aber ist Miriam beruhigt, dass keine gewisse Blondine etwas mit Amadous Entschluss zu tun hat.

      Amadous Eltern waren mit den Plänen ihres Sohnes einverstanden, als sie hörten, dass ihr Sohn mit einem Teil seines Kredites ihren Lebensunterhalt, Arztkosten, Medikamente und eine Nachbarin als Hilfe für drei Monate absichern würde. Sie hatten nur Gutes über Deutschland gehört. Die Söhne ihres Dorfes erzählen viel, sie infizieren alle Jugendlichen mit ihren Geschichten, und ihr Erfolg im fernen Land manifestiert sich an neuen Häusern und an Geschäften, die sie für ihre Verwandten zur Existenzgründung einrichten. Diese Familien tragen die Nase hoch. Ihretwegen hat der kleine Supermarkt jetzt sogar Wasser in Flaschen und Joghurt im Sortiment!

      Amadous Mutter denkt voller Zärtlichkeit an ihr einziges Kind. Sie freut sich für ihn. Ihr Amadou ist ein herzensguter Mensch; er ist fleißig und hat viele Talente. Er wird sein Glück dort in der Kälte machen und seine Eltern dabei nie vergessen.

      Bei Ibrahims Eltern gibt es richtig Krach. Sein Vater sieht seine Felle, sprich - die kostenlose Arbeitskraft - davonschwimmen, und das kann er, bei Gott, nicht zulassen. Seine sonst so herrische Art weicht einem greisenhaften weinerlichen Quengeln. „Nein, dass ich das noch erleben muss.“ Theatralisch ringt er die dürren Arme gen Himmel, „mein eigen Fleisch und Blut fällt mir so in den Rücken.“ Er schluchzt trocken, „wovon sollen wir denn leben, wenn du uns in Stich lässt?“ Er sinkt gebrochen zusammen. Er ist schamlos in der Art, wie er sämtliche Register zieht, um seinen Willen durchzusetzen. Nur heute stößt er auf Granit.

      „Du widersetzt dich allem, was fortschrittlich ist, Papa“, stöhnt Ibrahim gereizt, „aber dieses Mal kannst du mich nicht aufhalten. Überhaupt kann niemand den Fortschritt aufhalten, er ist ein Naturgesetz.“

      „Das Gesetz macht aber deine Familie nicht satt!“, schreit sein Vater.

      Mit einer verächtlichen Handbewegung fegt Ibrahims Mutter das Gezeter ihres