K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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so; denn ein Mädchen kann, wenn es einen Rock trägt, nicht jede Bewegung mitmachen“.

      „Ich kann aber.“ Sie blickt an ihren langen Beinen in weißen Jeans hinunter und dann herausfordernd in sein Gesicht. „Lass’ es uns doch wenigstens versuchen.“

      Grob ergreift er ihre Hände und versucht, fast schon aggressiv, sie zu führen. ‚Dir werde ich es zeigen; du denkst wohl, nur weil du weiß bist, kannst du alles.’ Am Anfang klappt es dann auch gar nicht, weil er sich nicht auf sie einstellen will; als er aber merkt, wie sehr sie sich bemüht, ihren Rhythmus seinem anzugleichen, tut sie ihm fast schon leid und er verzeiht ihr, dass sie ihn in der Herberge so arrogant behandelt hat. Er fällt in einen geschmeidigeren Rhythmus, und als er erstaunt feststellt, dass Sue es drauf hat, erhöht er die Geschwindigkeit. Sie strahlt ihn siegessicher an. Behutsam versucht er ihre Schultern zu umschlingen und als Sue es erlaubt, lässt Amadou schmeichelnd seine Hände über ihren ganzen Rücken gleiten. Am Ende des Tanzes hat er sie fest im Griff.

      „Du tanzt wie eine Afrikanerin. Wo hast du das gelernt?“, erkundigt sich Amadou mit leuchtenden Augen, als er Sue an die Bar zurückgeleitet.

      „In Deutschland, in einer Disco, wo karibische und afrikanische Musik gespielt wird."

      „Das bedeutet, dass es viele Afrikaner in deiner Stadt geben muss“, folgert Amadou, und Sue antwortet ihm gelassen:

      „Ja, sie gehören inzwischen schon zum Alltagsbild unserer Stadt.“ Amadous Interesse ist geweckt.

      Durch den Massenandrang an der Bar werden die beiden vorübergehend auseinandergedrängt. Sofort bemüht Amadou sich intensiv, seinen Platz an ihrer Seite wieder zurückzuerobern. Er hört und sieht nicht mehr, was um ihn herum passiert, nicht einmal die Live-Performance seines Cousins an der Djembe nimmt er wahr.

      „Erzähl’ mir mehr von deiner Stadt“, bittet Amadou Sue.

      Aber Sue hat gerade der Rhythmus der Trommeln gepackt, und wenn einer das verstehen kann, dann ist das Amadou. Also verfolgt er halbherzig die Show und klatscht eifrig, als sie endlich zu Ende ist.

      „Wow, das war echt stark.“ Begeistert schaut Sue die drei Freunde an. „Könnt ihr das auch?“

      „Klar, mehr oder weniger“, räumt Sekou ein, „aber der Tänzer unter uns ist Amadou.“

      „Ach ja?“

      „Also, wie heißt deine Stadt“, versucht Amadou hartnäckig das von der Trommel-Show unterbrochene Gespräch fortzusetzen.

      „Sie heißt Bremen und sie liegt im Norden von Deutschland. Aber warum willst du das wissen?“ Sue blickt ihn von der Seite aus forschenden Augen an.

      „Vielleicht möchte ich dich einmal besuchen?“

      „Hey, das soll wohl ein Witz sein, wir kennen uns doch gar nicht.“ Sie stößt ihm lachend den Ellenbogen in die Rippen, Amadou knickt zum Scherz halb zusammen und weiß, er hat noch eine Chance.

      „Lass uns irgendwo hingehen, wo wir in Ruhe reden können“, schlägt er vor.

      „Nein, ich möchte gerne noch tanzen; schließlich bin ich deswegen hergekommen; vielleicht später.“

      Amadou wird nicht schlau aus Sue; in der Herberge hat sie ihm die kalte Schulter gezeigt, in der Disco macht sie ihn an, obwohl er sie nicht dazu ermuntert hat, schließlich hat er eine Freundin. Und jetzt will sie nicht einmal mit ihm reden. Er dreht ihr den Rücken zu und widmet sich seinen Freunden. Als sie mit seinem Cousin auf die Tanzfläche geht, hat Amadou keine Lust mehr zu bleiben.

      „Lasst uns gehen Leute; wir wollten doch sowieso nicht lange bleiben.“

      „Was ist los, hat sie dich abgewimmelt?“

      „Nein, aber das ist mir alles zu kompliziert. Ich weiß nicht, was diese Frau will.“

      „Was willst du denn von ihr?“

      „Ich? Na ja, vielleicht ihre Adresse, man kann nie wissen, ob ich nicht eines Tages doch noch nach Europa gehe.“ Ibrahim und Sekou schauen sich mit hochgezogenen Brauen bedeutungsschwer an.

      Draußen vor der Tür glättet Nichtraucher Amadou brummig eine alte, zerknitterte Zigarette, die er noch in den Weiten seines Boubous gefunden hat. Unter den missbilligenden Blicken seiner Freunde zündet er sie vorsichtig an, als Sue hinter den Dreien hergelaufen kommt.

      „Wartet doch mal!“ Abwartend bleiben sie stehen. „Amadou kann ich kurz mit dir reden?“

      „Reden? Mit mir? Später vielleicht“, sagt Amadou betont kühl und schickt sich an, sich umzudrehen und mit seinen Freunden den Heimweg anzutreten. Sue blickt den Freunden enttäuscht nach; eine kleine Romanze hätte ihrem Afrika-Aufenthalt noch den letzten Kick gegeben. Sie ist aber zu stolz, um noch weiter in Amadou zu dringen.

      „Okay, dann bis Morgen in der Herberge“, ruft sie ihm kleinlaut hinterher und geht langsam zurück in die Disco.

      Amadou hat sein Gesicht gewahrt, aber Sekou und Ibrahim sind nicht zufrieden mit ihm.

      „Fang bloß nichts mit der an; das führt zu nichts, außer zu Ärger mit Miriam“, droht Ibrahim fast väterlich.

      „Ich habe doch nur mit ihr getanzt“, verteidigt sich Amadou vehement, und aus lauter Trotz fügt er hinzu: „Abgesehen davon kann sie mir vielleicht wirklich helfen, nach Europa zu kommen.“ Das war ihm so rausgerutscht, das wollte er gar nicht sagen. Das hatte er auch gar nicht gemeint, nicht einmal gedacht!

      Bitter blickt Ibrahim auf den kleineren Amadou herunter. „So ist das also, du willst tatsächlich deine Eltern und Miriam in Stich lassen?“

      „Ach lasst mich doch zufrieden mit eurem ewigen Gefasel von ‚es wird schon werden, eines Tages, wenn Gott will’. Ich will hier weg, damit es uns allen besser geht.“

      „Womit wir wieder beim Thema wären.“ Sekous besonnene Stimme beruhigt die Gemüter augenblicklich, und Ibrahim schlägt vor, das längst fällige Gespräch über die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen am nächsten Tag zu führen.

      „Morgen ist Sonntag und Amadou und ich arbeiten nur einen halben Tag; wir könnten uns spätnachmittags in unserer Bar treffen.“

      Da hab ich ja was angezettelt, denkt Amadou verwirrt und gähnt laut; nur die Entspannung will nicht kommen. Sues letzter Blick sitzt ihm noch als leichtes Kribbeln im Nacken.

      Am nächsten Morgen in der Herberge hängt ein Zettel mit ‚bitte nicht stören’ an Sues Tür. Amadou schleicht erleichtert daran vorbei und versucht seine Arbeit so leise und schnell wie möglich zu erledigen. Er hat heute Morgen keine Lust auf die subtilen und widersprüchlichen Verhaltensweisen der europäischen Frauen. Sie sagen ‚Ja’ und meinen ‚Nein’ und umgekehrt. Pünktlich zu Feierabend verschließt er seine negativen Gedanken sorgfältig mit dem Putzeimer und den anderen Utensilien im Verschlag unter der Treppe und beschwört positive Gedanken an seine Freundin Miriam herauf.

      Sie ist die Beste. Jeder junge Mann im Dorf würde sie sofort mit Kusshand zur Frau nehmen. Sie wurde traditionell erzogen, aber was sie so begehrenswert macht, sind die Jahre am Gymnasium, die ihr Bewusstsein soweit geschärft haben, dass sie einige Traditionen infrage stellt und offen für Neues und Modernes ist.

      Miriam ist sein sicherer Hafen, der sein Schiff vor Stürmen und Anfechtungen jeglicher Art schützt. Bei ihr möchte er mit seinem Piratenherz vor Anker gehen, seinen Kopf in ihren Schoss betten und ein wenig ‚Krabbe’ spielen. Dabei wird er eine Weile seine Abenteuerlust vergessen.

      Im Verdrängen ist Amadou Meister.

      Er zieht sich rasch um und macht sich voller Vorfreude auf den Weg zu ihr, bis ihm ein neuer Gedanke messerscharf die trügerische Vorstellung vom Paradies verdirbt: Die Bestimmung eines Schiffes ist, die Meere zu kreuzen und nicht, im Hafen fest verankert zu sein.

       Lagebesprechung unterm Mangobaum

      Als die Freunde sich