K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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der Alte an den Tisch.

      „Ich weiß, du bist ein guter Junge, du kommst ganz nach mir“, und beschwörend setzt er hinzu: „Du wirst mich nicht in Stich lassen.“

      Sekou nickt und denkt dabei an seine Mutter, die er 15 Jahre nicht gesehen hat. Sie hat auch ihm all die Jahre gefehlt.

      „Was ist nun, bekomme ich heute noch etwas zu essen?“, unterbricht sein Vater, plötzlich munter geworden, seine Gedankengänge.

      „Sofort. Setz dich doch schon mal“; und er serviert ihm ein richtig gutes Frühstück, mit allem was dazugehört.

      Derweil schleudert Amadou in der Herberge lustlos den Wischlappen in den Eimer mit Schmutzwasser. Er hat die Duschen und Toiletten gewischt, Papierrollen nachgefüllt - was machen die Touristen bloß mit dem ganzen Toilettenpapier? - alle Zimmer bis auf eins in Ordnung gebracht, und jetzt sind die Flure dran. Alle Türen stehen offen, damit der nasse Fußboden trocknen und Frischluft in die stickigen dunklen Flure strömen kann. Tagsüber gibt es manchmal keinen Strom, so auch jetzt. Nur ein schmaler Streifen diffusen Tageslichts schwächelt durch die vergitterten kleinen Lüftungsfenster in den Duschen und erhellt notdürftig den Flur. Für Amadou ist das kein Problem, er kennt jeden Winkel dieser Herberge; er könnte selbst mit verbundenen Augen noch seine Arbeit erledigen. Dabei nimmt er es auch nicht so genau, weil der allgegenwärtige Staub, kaum dass er den Rücken kehrt, sowieso alles wieder bedeckt. Er arbeitet mit eindrucksvoller Langsamkeit, schließlich muss er seine Kräfte für den ganzen Tag einteilen.

      Als die Tür von Zimmer fünf aufgeht, fallen staubschwere Sonnenstrahlen schräg in den Flur. Amadou und der Gast, eine nachts eingetroffene deutsche Touristin, blinzeln sich an. Beide können im ersten Moment kaum etwas sehen.

      „Guten Morgen Mademoiselle, haben Sie gut geschlafen?“, fragt er höflich auf Französisch. Lächelnd betrachtet er die junge Frau im Badelaken mit dem Kulturbeutel in der Armbeuge. Sie hat Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe.

      „Oh, ja, es war nur so heiß im Zimmer.“ Sie hat auf Französisch geantwortet. Verlegen blickt sie ihn aus hellgrauen Augen an. Amadou reckt den Hals, um einen Blick ins Zimmer zu erhaschen.

      „Ist der Ventilator kaputt?“

      „Nein, nein, ich habe ihn abgestellt, er war so laut und außerdem vertrage ich die Zugluft nicht.“

      „Ja, aber dann ist es ja kein Wunder, dass es heiß in Ihrem Zimmer ist.“ Er schnalzt missbilligend mit der Zunge. „Sie haben die Vorhänge nicht zugezogen und die Glaslamellen sind auch geöffnet. So kann die Hitze natürlich eindringen.“

      Sie fühlt sich wie ein Kind, dass man bei einer Dummheit ertappt hat, und darüber ärgert sie sich. „Ich bin nicht zum ersten Mal in Afrika“, ist daher auch die etwas patzige Antwort, „ich weiß, was die Afrikaner machen, um die Hitze ertragen zu können.“

      Sie will an ihm vorbei, aber er steht wie festgewachsen im Weg. ‚Was bildet der sich ein’, denkt sie, und laut sagt sie zickig: „Ich hatte die Wahl, an Hitzschlag oder an Sauerstoffmangel einzugehen. Sie wissen ja, wofür ich mich entschieden habe. Würden Sie mich nun bitte vorbei lassen, damit ich endlich duschen kann?“

      Amadou macht betreten ein paar Schritte zur Seite. Sie rauscht, so zivilisiert es eben geht mit dem alten Duschtuch, den strähnigen, verschwitzten Haaren und den ungeputzten Zähnen, an ihm vorbei. Fast wäre sie auf dem noch feuchten Steinfußboden ausgerutscht, aber Gott sei Dank hat sie sich noch rechtzeitig gefangen. Amadou ist das nicht entgangen. Er grinst und denkt: ‚So ergeht es einem, wenn man hochmütig ist’, und laut ruft er ihr hinterher:

      „Wann kann ich Ihr Zimmer machen, Mademoiselle?“

      Sie dreht den Kopf zur Seite und antwortet kühl: „Um zwölf bin ich weg.“

      Amadou lässt prompt alles stehen und liegen, um bis zwölf Uhr andere Arbeiten zu erledigen. Als er die Tür zum Hof öffnet, schlägt ihm die Gluthitze des Vormittags entgegen. Missmutig macht er sich auf den Weg zur Küche.

      „Was ist?“, empfängt ihn sein Kollege frotzelnd, „ist dir ein weißer Geist erschienen oder warum machst du so ein Gesicht?“

      Amadou blickt auf den Berg schmutzigen Geschirrs, der auf ihn wartet, und, den kleinen Spaß ignorierend, blafft er seinen Kollegen an: „Wie soll ich denn meine Arbeit schaffen, wenn die Weiße von Zimmer fünf erst mittags aufsteht, und ich dann noch mal anfangen muss zu putzen?“ Sie beide wissen, dass das nicht der einzige Grund für Amadous Frust ist.

      Um zwölf Uhr mittags bringt Aissatou Ibrahim das Mittagessen und eine Flasche Wasser zum Feld. Sie trägt alles auf dem Kopf in einer mit einem Tuch und einem Teller abgedeckten Emailschüssel. Ibrahim erwartet sie bereits erschöpft unter dem Baobab, der um diese Jahreszeit zwar kaum Schatten spendet, dafür aber eine bequeme Anlehnmöglichkeit bietet. Aissatou breitet ein Tuch auf dem Boden aus und stellt das Mitgebrachte vor Ibrahim. Als er bedächtig zu essen beginnt, setzt sie sich in ein paar Metern Entfernung ins Gras, um auf die leere Schüssel zu warten. Ibrahim genießt das fruchtige, scharf gewürzte Essen. Es belebt seine müden Lebensgeister.

      Als sich Aissatou langsam wieder auf den Heimweg macht, folgen Ibrahims Augen ihr mit abwesendem Blick so lange, bis die kleine, hoch aufgerichtete Gestalt am Horizont verschwunden ist. Er gähnt und streckt sich für einen Moment aus. Bevor er die Augen schließt, nimmt er sich vor, sobald wie möglich mit seinen Freunden ein ernsthaftes Gespräch über ihre missliche Lage zu führen. Wenn nicht heute, dann eben morgen, oder übermorgen.

      Sekou ist nachmittags wieder zum Haus seines Onkels gegangen, hat das Abendessen gekocht und einen Teil davon in einem kleinen Emailtopf für seinen Vater beiseite gestellt. Er wird es ihm nachher bringen und hat sich vorgenommen, einmal wieder zu Hause zu schlafen.

      Müde wischt er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Ihm ist gar nicht wohl bei dem Gedanken an das Gespräch, dass er mit seinem Onkel zu führen gedenkt. Das frisch angezogene T-Shirt klebt schon nach fünf Minuten wie eine zweite Haut an seinem Körper. Hunger hat er auch keinen. Wen wundert’s, wenn die Sonne noch nicht aufgibt und wie die Öffnung eines Backofens am Horizont glüht.

      Geduldig starrt er auf das Hoftor; vor ihm das Abendessen unter sauberen Tüchern. Als es endlich aufgeht, liegt die frühe Nacht schon grau-lila über den Bodensenken.

      Sie essen schweigend. Es gibt für alles eine Zeit und jetzt ist die Zeit des Essens.

      Nach einer angemessenen Erholungspause eröffnet der Ältere das Gespräch. „Also, worüber möchtest du mit mir reden?“

      „Onkel Louis, du weißt, dass ich dir sehr dankbar bin für die fortwährende finanzielle und moralische Unterstützung. Aber du weißt auch, dass es nichts Schlimmeres für einen Sohn gibt, als dass er nicht für seine Eltern sorgen kann. Vater lässt mich das jeden Tag aufs Neue spüren.“ Sein Onkel lehnt sich vorsichtig auf dem klapperigen Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und schaut ihn nachdenklich an.

      „Worauf willst du hinaus, Junge?“

      „Na ja, ich möchte einfach endlich wieder mit meiner Arbeit anfangen.“

      „Und wie stellst du dir das vor? Du bist zwar der beste Instrumentenbauer in der Gegend, aber …“

      „Ich weiß, ich habe kein Atelier, kein Material und keine Leute mehr.“

      Onkel Louis schlägt eine Hand auf den Oberschenkel „Siehst du, also was soll’s?“

      Er erhebt sich, um seine Zigaretten aus der Küche zu holen. Sekou schaut ihm ruhig nach und wartet, bis sein Onkel wieder am Tisch sitzt und sich eine angezündet hat.

      „Aber genau darum geht’s; ich brauche nicht alles auf einmal zu haben. Für den Anfang würde das Geld für Material reichen.“

      So, jetzt war’s raus, und bevor Onkel Louis nur den Mund aufmachen kann, fügt Sekou hastig hinzu: „Arbeiten könnte ich fürs Erste hier oder zu Hause, und verkaufen könnte ich in der Stadt. Es gibt da einen kleinen Laden; ich kenne den Besitzer von früher, als ich noch mein eigenes Atelier im