K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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      „Die haben‘s gut“, mault Amadou, „da drinnen gibt es weder Staub noch Hitze.“ Dann springt er auf und kreischt: „Das glaub ich nicht. Seht mal, wer da neben ‚Mr. Right’ sitzt.“ Er will auf die Straße laufen und das Auto anhalten, doch Ibrahim und Sekou halten ihn fest. Die Insassen des Jeeps haben ihre Blicke stur nach vorne gerichtet, während das Fahrzeug langsam an ihnen vorbeizieht und sich an der Ecke den Blicken der drei Freunde entzieht.

      Völlig fertig von seinem Ausbruch, lehnt Amadou sich an die Bretterwand der Bar. „Kein Wunder, dass Miriam auf den Affen reinfällt; ich kann ihr ja nicht mal ne Fanta spendieren“, fügt er, etwas ruhiger geworden, hinzu. „Das bisschen, dass ich verdiene, reicht kaum für Lebensmittel und die Medikamente meiner Mutter.“

      „Ach beklag dich nicht immer“, wirft Sekou mürrisch ein, „du hast wenigstens noch Arbeit. Sieh mich an, ich renn den ganzen Tag durch die Stadt auf der Suche nach irgendwelchen Gelegenheitsarbeiten; und wenn ich dann todmüde nach Hause komme, fragt mein Alter mich, wovon ich denn müde sei, ich hätte ja den ganzen Tag nichts getan. Dann bin ich erst richtig frustriert. Wenn mein Onkel mir nicht hin und wieder etwas zustecken würde, dann könnte ich mich gar nicht mehr zu Hause sehen lassen.“

      „Hey, hört auf damit“, wirft Ibrahim beschwichtigend ein, „lasst uns nicht Trübsal blasen; das führt doch zu nichts.“ Er blickt seine Freunde mit ruhigen, dunklen Augen an. Nur die immer präsente senkrechte Falte zwischen seinen Brauen und die nahezu chronisch nach unten gezogenen Mundwinkel zeugen von seinem eigenen, schon lange währenden Frust.

      „Ich verstehe nicht, wie du das aushältst“, poltert Amadou und projiziert seinen Ärger über die fahnenflüchtige Freundin auf den immer geduldigen, besonnenen Ibrahim. „Du schuftest tagein tagaus auf dem Feld, tanzt wie ein Sklave nach der Pfeife deines Vaters und darfst obendrein auch noch die Verantwortung für alles tragen. Ich an deiner Stelle wäre schon längst abgehauen.“

      „Eines Tages …“, beginnt Ibrahim, aber Amadou schneidet seinem Freund ungeduldig das Wort ab, „eines Tages, eines Tages, wie lange willst du noch warten? Du bist der Älteste von uns. Glaubst du wirklich, dass sich etwas ändert, wenn dein Vater dir auch offiziell die Verfügungsgewalt über Hof und Feld gibt?“

      „Nein, das wohl nicht, aber eines Tages, so Gott will, werde ich das Dorf verlassen und einen eigenen Laden in der Stadt haben.“

      „Klar, und ich bin dein bester Kunde“, witzelt Amadou übertrieben optimistisch, „und als dein langjähriger Freund habe ich selbstverständlich lebenslangen Kredit, oder?“ Alle drei lachen.

      Seit der Schulzeit sind sie unzertrennlich, und, obwohl sie sich nicht nur äußerlich sehr voneinander unterscheiden, haben sie doch eines gemeinsam: Sie sorgen für ihre Familie und leben am Existenzminimum.

      „Ach Leute, was ist nur aus unseren Träumen geworden?“, seufzt Amadou.

      „Was für Träume?“, stichelt Ibrahim, „Träume sind Schäume und wir haben es mit der harten Realität zu tun.“ Als Antwort breitet Amadou die Arme aus und erhebt sich halb von der wackeligen Bank, als wolle er abheben. Sekou kann gerade noch seine halb volle schwankende Flasche festhalten.

      „Die Welt dreht sich und wir sitzen hier wie der Pickel am Arsch fest“, tönt Amadou theatralisch und richtet den Blick dann wütend in die Runde.

      „Was kannst du denn nicht ab, das Drehen oder das Festsitzen?“, fragt Sekou ironisch grinsend und zieht seinen Freund zurück auf die Bank.

      Amadou lässt aber nicht locker. „Ich komme mir vor wie eine blöde Ameise in ihrer Mini Welt von Arbeit und Familie. Es gibt doch auch noch Anderes im Leben.“

      Sekou und Ibrahim klopfen dem Freund beruhigend auf die Schulter. „Ich bin aber ein Mensch“, insistiert Amadou bockig, die Hände der Freunde von seinen Schultern abschüttelnd.

      „Klar, wissen wir doch …“, feixen Sekou und Ibrahim.

      „Ich will Spaß haben und etwas von der Welt sehen, und tolle Klamotten kaufen.“ Jetzt reißt Ibrahim der Geduldsfaden.

      „Aber sonst geht’s dir gut?“ Sie schweigen wieder.

      Später versucht der Barkeeper, ihnen die leeren Flaschen abzunehmen, doch sie finden noch ein paar Tropfen auf dem Boden des Glases. „Für heute ist Feierabend, Jungs; geht nach Hause“, sagt er väterlich und fängt ohne zu drängen an, die Holzklappen herunterzulassen.

      „Ich muss in ein paar Stunden schon wieder aufstehen“, sagt Ibrahim und erhebt sich.

      Vor der Bar trennen sich die Freunde. Jeder geht in eine andere Richtung. Schon nach ein paar Metern hat die afrikanische Nacht ihre Gestalten verschluckt; die kleinen Feuer der Garküchen verglühen langsam, während sich der Rand des Mondes in die Nacht schiebt. Es sind nur noch wenige Menschen unterwegs.

      Auf dem Heimweg denkt Ibrahim mit gesenktem Kopf darüber nach, wie schlecht seine Chancen stehen, in absehbarer Zeit seinen Traum vom Import- und Exportladen zu verwirklichen.

      ‚Sekou und Amadou haben recht; ich werde das Startkapital nie zusammenbekommen’, denkt er verzweifelt, ‚trotz der harten Arbeit. Wenn Papa mir wenigstens erlauben würde, etwas anzubauen, das mehr Geld einbringen könnte. Aber nein. Das wäre ja ein Risiko.’ Wütend kickt er einen Stein aus dem Weg und knickt im nächsten Schlagloch mit dem Fuß um.

      „Au! Verdammter Mist!“ Noch etwas humpelnd erreicht er das heimatliche Tor. Seine Wut verraucht, als er seine Mutter sieht, die die letzte Wäsche von der Leine nimmt und ihm über die Schulter mit erhobenen Armen zulächelt. „Mama können wir reden?“

      „Wann, jetzt?“, fragt sie mit einem forschenden Blick in sein Gesicht.

      „Ja, wenn du fertig bist.“

      Sie sitzen nebeneinander auf der schmalen Holzbank, lauschen in die Nacht hinein; alle Hühner sind nun still, nur die Grillen zirpen und der Wind spielt mit dem dürren Laub des Oleanderbusches. „Du brauchst nichts zu sagen, mein Sohn; ich verstehe dich.“

      „Ja, aber …“

      „Warte noch ein wenig, wir müssen erst noch das Dach vor der Regenzeit reparieren und die Wände ausbessern“, flüstert sie, „danach werde ich mit deinem Vater reden.“

      „Ach Mama, es wird immer etwas dazwischen kommen“, stellt Ibrahim mit harter Stimme klar, so als wäre er dabei, die Geduld zu verlieren, „und Papa erwartet von mir, dass ich die Landwirtschaft auch in Zukunft in den Mittelpunkt meines Lebens stelle. Du weißt doch, was er immer sagt, wenn ich mal wieder einen Vorstoß in Richtung Selbstständigkeit wage, ‚von deinen Flausen im Kopf werden wir nicht satt.’ Und damit ist für ihn das Thema erledigt, ich halte wie immer den Mund und gehe lustlos wieder an die Arbeit.“

      Seine Mutter seufzt und schaut in den schwarzen Nachthimmel. Dort ist nicht viel zu sehen; Hilfe ist von dort auch nicht zu erwarten, also wendet sie sich wieder ihrem Sohn zu. Mitleid und sehr viel Liebe schwingen in ihrer Stimme, als sie vorsichtig sagt:

      „Vielleicht kannst du das alles viel besser ertragen, wenn du endlich heiratest.“

      „Ach Mama, fang doch nicht wieder damit an. Warum habe ich wohl nicht einmal eine feste Freundin? Weil ich mich erst gar nicht auf ein Leben im Dorf einstellen will.“

      Enttäuscht über den Ausgang des Gesprächs und etwas ärgerlich erhebt Ibrahim sich; seine Mutter hält ihn besorgt am Ärmel fest.

      „So Gott will, wird schon alles gut werden, mein Sohn“, versucht sie ihn wieder versöhnlich zu stimmen.

      Ibrahim hält seine Mutter liebevoll bei den Schultern, schaut ihr fest in die Augen und sagt: „Keine Angst Mama, ich werde immer für dich sorgen; aber ich muss meinen Weg gehen.“

      Er verschwindet, von den sorgenvollen Blicken seiner Mutter begleitet, in seiner Hütte. ‚Morgen ist auch noch ein Tag’, denkt Ibrahims Mutter und wischt verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

      Amadou überlegt,