K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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       Aufbruch nach Dänemark

       Amadou kommt unter Leute

       Anfang Oktober, Countdown

       Countdown auch für Amadou

       Die Weichen werden gestellt

       Planänderung

       Die Misere

       Miriam bereitet sich auf ein Leben ohne Amadou vor

       Moussa redet Amadou ins Gewissen

       Krisensitzung in Hamburg

       Das Blatt wendet sich

       Fazit

       Asyl bei Irma la Douce

       Afrika in Not

       Bei Amadous Eltern

       Notfalltelefon Hamburger Enklave

       Der große Coup

       Bei Moussa

       Stunde der Wahrheit

       Der Eklat

       Ibrahims Rückblick

       Sekous Gedankengänge

       Rückkehr in den Schoss der Familie

       Ende und Anfang

       Nachwort

       Amadous Heimat

       Impressum

       Westafrika, ein Dorf im Landesinneren in der Nähe einer Kleinstadt - Feierabend

      Die Abenddämmerung treibt die widerspenstige Sonne gelassen vor sich her. Dieses allabendliche Machtspiel geht immer gleich aus; am Ende ist sie die Gewinnerin. Ihre Kontrahentin kann die Lehmwände der Rundhütten noch so wichtigtuerisch in ein Flammenmeertauchen, die Abendbrise hat ihr Mütchen heruntergekühlt und ihr Feuer aufs Dekorative reduziert.

      Ibrahim ist auf dem Heimweg. Den ganzen Tag hat er bei der Feldarbeit unter der erbarmungslosen Sonne gelitten. Seine trockenen Augen brennen und er spürt die Müdigkeit in allen Knochen. Doch ein wenig kühles Wasser und eine anständige Mahlzeit werden ihn wieder fit für den Feierabend machen.

      Der einzige Zugang zum Hof seiner Familie, ein zweieinhalb Meter hohes, verbeultes Blechtor, quietscht in den verrosteten Angeln, als Ibrahim es aufstößt und den Hof betritt. Er nickt den Anwesenden im Hof einen Gruß zu und geht geradewegs zu seiner Hütte.

      Mit der Feldhacke noch auf der Schulter hebt er den verblichenen Vorhang und beugt müde den Kopf, um den Eingang zu betreten. Dabei streift sein Blick missmutig die Wand neben der Tür. Dort, wo die Lehmziegel verputzt sind, zeigen sich Risse wie feines Gespinst; kleine Insekten haben sich dort eingenistet und ein Gecko lauert bewegungslos auf die Chance einer Mahlzeit. Schweißperlen lösen sich von seiner Stirn und bahnen sich ihren Weg am Hals entlang. Er spitzt die Lippen und macht den typischen Schnalzlaut für Unmut, während er die Hütte betritt. ‚Ich muss die Risse noch vor der Regenzeit ausbessern.'

      Als er wieder herauskommt, hat er ein buntes Tuch locker um die Hüften geschlungen, einen Handtuchfetzen über der Schulter und ein Bröckchen Seife in einer Hand. In abgetretenen Plastiksandalen schlappt er zu dem großen Tonkrug in der Ecke des Hofes, der jeden Tag vom Wasserlieferanten mit frischem Wasser aufgefüllt wird. Eine geblümte, mit kleinen Rostflecken gesprenkelte Emailschüssel deckt das kühle Nass ab. Ibrahim nimmt die Schüssel in die Hand und schöpft mit einer im Behälter schwimmenden Kalebasse Wasser in sie hinein. Als sie halb voll ist, stellt er sie auf der Mauer ab, die die Hütten und den Hirsespeicher seiner Familie umschließt.

      Nachdem er auch das Hüfttuch auf der Mauer abgelegt hat, klatscht er sich prustend etwas Wasser ins Gesicht und seift sich dann akribisch ein. Seine wie in Zeitlupe ablaufenden Bewegungen haben dabei einen zeremoniellen, fast rituellen Charakter. Immer wieder füllt er die kleine Kalebasse mit dem Wasser aus der Schüssel und spült die Seife mit einem dünnen Strahl sorgfältig wieder von seinem Körper. Das letzte Licht des sinkenden Sonnenballs lässt seine Haut durch die in ihr gespeicherte Glut des Tages kupferrot aufleuchten, und bei jeder Bewegung versprühen die auf ihr perlenden Wassertropfen funkelnde Blinklichter in die ausgetrocknete Umgebung. Ibrahim streift sie mit der flachen Hand vom Körper und benötigt so kaum noch das Handtuch. Mit sparsamen Bewegungen schlägt er das Tuch wieder um die Hüften. Seine schmalen Hände haben auffallend lange, feingliedrige Finger, denen man die Arbeit auf dem Feld kaum zutraut, doch deren lederartige, rissige Haut verrät ihre wahre Tätigkeit. Ibrahim breitet das Handtuch zum Trocknen auf der Mauer aus und schüttet den Rest des Waschwassers mit Schwung und einem satten Platsch unter den staubigen Oleanderbusch.

      Die dort dösende buntgefleckte Hauskatze hechtet fauchend aus dem dürftigen Schatten des Busches mitten unter die Frauen im Hof. Ibrahims Mutter springt, trotz ihres stattlichen Gewichtes, in Windeseile von ihrem Hocker bei den Kochsteinen auf, wo sie das Gemüse in ihrer Hand klein geschnitten hatte.

      „Pass doch auf, was du tust“, schimpft sie und deutet mit dem Kochmesser in der Hand auf die umgefallene Blechschüssel mit dem schon geputzten Gemüse, „jetzt muss ich alles noch einmal waschen.“ Sie schnalzt ärgerlich mit der Zunge und klaubt das Gemüse aus dem Sand. „Tz, tz, da soll doch …“ Sie richtet sich schwerfällig auf und starrt auf vier Katzenbabys, die klatschnass und kläglich miauend orientierungslos zwischen den Kochutensilien herumwuseln. Ihre Mutter hat sie schmählich in Stich gelassen, als die ‚große Flut‘ über sie hereinbrach. Mit rollenden Augen und wild mit dem Messer fuchtelnd, versucht Ibrahims Mutter sie zu verscheuchen.

      „Morgen kommt ihr weg!“, blafft sie die erbärmlich aussehenden Knäuel an, und zu Ibrahim gewandt: „Sieh nur was du angerichtet hast.“ Sie muss sich einfach Luft machen, um die durch den Schreck aufgebaute Spannung loszuwerden. Ibrahim eilt herbei und scheucht die Katzenbabys mit einem seiner ausgezogenen Latschen aus der Kochzone; dabei fällt die ohnehin schon brüchige Sandale vollends auseinander. Ein Teil von ihr fliegt haarscharf