K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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wieder ins Land und ich habe früher mit meiner Arbeit genug verdient, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten; warum sollte das jetzt nicht wieder möglich sein?“ Sekou lehnt sich zurück, atmet tief ein und langsam wieder aus.

      Eine kleine Ewigkeit herrscht tiefes Schweigen. Nebenan wird eine Öllampe angezündet. Trotz der zwei Meter hohen Mauer strahlt ein wenig von ihrem sanften Licht herüber; denn direkt an der Mauer auf der anderen Seite steht ein kleiner Baum, dessen staubig grünes Blätterdach das Licht einfängt und wieder zerstreut. Im Osten geht der Abendstern wie ein kleiner Edelstein auf.

      Als Onkel Idrissa seine Haltung verändert, huscht eine Maus erschrocken im Zickzack über den Hof. „Wir sollten jetzt auch die Lampe anzünden“, sagt er lachend.

      Sekou erhebt sich schleppend, um die vertraute Blechlampe zu holen. Er kehrt mit dem flackernden Licht zurück, hängt es an den rostigen Haken für die Wäscheleine und versucht dann, wieder eine günstige Sitzposition in dem unbequemen Plastikstuhl zu finden.

      „Du willst also, dass ich dir dieses Startkapital leihe. Und an wie viel hattest du dabei gedacht?“

      Mutig antwortet Sekou mit fester Stimme: „Nachdem ich alles durchgerechnet habe, denke ich, sollten 500 Euro reichen.“

      Sein Onkel schluckt und streicht sich nachdenklich über das Kinn. „Dafür müsste ich einen Kredit aufnehmen, soviel habe ich nicht auf der Bank.“

      Hoffnungsvoll beugt Sekou sich vor und sagt beschwörend: „Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich habe es genau ausgerechnet: Nach drei Monaten kann ich mit der Rückzahlung beginnen.“ Beherrscht und bis zum Äußersten angespannt lehnt er sich wieder zurück und schaut seinen Onkel erwartungsvoll an.

      „Ich glaube dir, aber ich möchte trotzdem wissen, wie deine Rechnung aussieht.“

      Während Onkel und Neffe sich ausführlich über das Für und Wider eines Kredits beraten, spannt sich kühl und unbeteiligt das Sternenzelt über den weiten Himmel und Sekous Vater geht hungrig zu Bett.

       Dörfliches Wochenendvergnügen

      Mannshohe Lautsprecher vor der kleinen Diskothek ködern mit dröhnenden Bässen die Dorfjugend. „Kommt doch mit“, fleht Amadou seine Freunde Sekou und Ibrahim an, „ein bisschen Bewegung tut euch doch auch gut.“

      „Ach ich weiß nicht, über Bewegungsmangel können wir nicht gerade klagen.“

      „Wir brauchen ja nicht so lange zu bleiben“, lenkt Amadou schmeichelnd ein. Er trägt heute Abend als einziger von den Freunden traditionelle Kleidung. Sein Hosenanzug aus afrikanischem Stoff glüht in allen Braunrot-Tönen der afrikanischen Erde.

      An der Kasse winkt Amadous bulliger, gutmütiger Cousin die Freunde durch. Amadou tänzelt gut gelaunt vorneweg; Hände strecken sich den Ankommenden entgegen, Schultern werden geklopft, Handflächen ehrerbietig auf die Brust gelegt. Die Luft steht; feucht und heiß lässt sie die Gesichter der Tanzenden glänzen. Die immer wieder benutzten Taschentücher und kleinen Waschlappen hängen schlapp und zipfelig aus den rückseitigen Hosentaschen.

      Der DJ wechselt von Hip-Hop zu traditioneller afrikanischer Musik. Amadou wirft seinen Freunden einen fürsorglichen Blick zu, sie sind in guter Gesellschaft an der Bar, und bahnt sich einen Weg durch das Gedränge bis zur handtellergroßen Tanzfläche, die nur wegen der sich wild Bewegenden als solche erkennbar ist. Bereitwillig machen die Tanzenden etwas Platz für Amadou. Sie alle kennen und mögen ihn; denn er ist der Beste, der Champion! Ein Garant für mitreißendes Tanzen und ausgelassene Stimmung, erst recht ohne weibliche Begleitung.

      Amadou badet für einen kurzen Moment in den Strömen der Sympathie, die ihm von allen Seiten entgegen fließen; dann schießt der heiße Rhythmus der Musik seinen biegsamen Körper. ‚Ja, der Tanz ist mein Leben’, wird Amadou wieder einmal klar und er schließt sekundenlang emphatisch die Augen wie zum Gebet. Seine Muskeln agieren wie ferngesteuert, als stünde er unter gleichmäßig abgegebenen Strom. Die aufputschenden Zurufe aus dem Publikum verführen ihn zu immer abenteuerlicheren Verrenkungen. Die Schweißtropfen lösen sich von seiner Stirn und werden von der Fliehkraft der extrem schnellen Bewegungen waagerecht unter die Gäste geschleudert. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt; die Bässe dröhnen aufreizend in den Körpern. Ausgelassen schwingen die jungen Männer ihre Taschentücher, ihre Freundinnen treten verständnisvoll lächelnd zurück und tanzen alleine weiter.

      Amadou brennt der Schweiß bereits in den Augen und er nimmt alles nur noch wie durch einen Schleier wahr. Als sein Blick die Umgebung scannt, registriert er am Rande der Tanzfläche eine Weiße, die ihn, wie er meint, anzüglich anlächelt. Er wischt mit dem Handrücken über seine Augen und starrt sie an.

      Die Menge tobt. Nutzlos und flügellahm schaukelt der schrottreife Ventilator über der Tanzfläche.

      Das traditionelle Musikstück wird von einem Pop-Song abgelöst. Nicht, dass Amadou danach nicht tanzen könnte, er hat nur im Moment keine Lust dazu. Stattdessen kämpft er sich zu seinen Freunden an die Bar durch.

      „Habt ihr das gesehen?“, fragt er Sekou und Ibrahim aufgeregt, während sein Blick schon wieder zurückwandert und suchend die Tanzfläche abtastet.

      „Was denn? Was sollen wir denn gesehen haben? Beruhig dich erst mal.“

      Amadou dreht den Kopf wieder in Richtung Freunde. „Die Weiße. Habt ihr die Frau mit den langen Haaren nicht gesehen?“ Er rollt die Augäpfel verklärt nach oben und seufzt, als jemand ihm von hinten auf die Schulter tippt und freundlich sagt:

      „Darf ich mal? Ich möchte gerne etwas bestellen.“

      Er dreht sich um und möchte auf der Stelle vor Scham im Erdboden versinken. ‚Sie hat alles gehört.’ Wie ein Kugelblitz rast dieser Gedanke kreuz und quer durch sein Bewusstsein, verzweifelt nach einem Ausweg suchend.

      Die Weiße lacht amüsiert über sein verdutztes Gesicht, sie hat natürlich nichts verstanden, und seine Freunde, diese Idioten, stimmen auch noch mit ein. Doch dann registriert Amadou, dass sie ihn nicht auslacht, sondern freundlich anlacht, Grund genug, sich wieder geerdet zu fühlen, sich cool mit dem Rücken an die Bar zu lehnen und erst mal abzuwarten, was passiert.

      Sie langt, seitlich stehend, mit ausgestrecktem Arm an ihm vorbei, um nach ihrem georderten Drink zu greifen. Es ist so eng vor der Bar, dass sie ihn dabei zwangsläufig berührt. Amadou weicht nicht einen Zentimeter zur Seite.

      „Du warst gut auf der Tanzfläche“, sagt sie im Plauderton zu ihm und nimmt einen kleinen Schluck von ihrer Cola. Sie steht zu den drei Freunden gewandt und signalisiert damit Gesprächsbereitschaft. „Ich hätte dich fast nicht erkannt, … wahrscheinlich wegen der afrikanischen Kleidung. Die steht dir sehr gut“, fügt sie, nun etwas unsicherer geworden, hinzu.

      Amadou erinnert sich an das verschlafene, verschwitzte Gesicht von Zimmer fünf und denkt: ‚Diese Frau ist ein Chamäleon. Wie kann sie sich sonst so verändern?’ Und noch ehe er seinen philosophischen Fragen auf den Grund gehen kann, fragt sie ihn, ob er mit ihr tanzen würde.

      Ibrahim und Sekou schauen dem zur Tanzfläche strebenden ungleichen Pärchen mit sorgenvoller Miene nach. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“

       Kontaktaufnahme für alle Fälle

      „Ich will nicht unter dem Ventilator tanzen. Der sieht aus, als ob er gleich abstürzen würde“, sagt sie und zieht ihn am Ärmel aus der Mitte.

      „Da passiert nichts, der ist schon seit Urzeiten in diesem Zustand“, lacht Amadou sie aus, lässt sich aber bereitwillig fortziehen. Zögernd macht er ein paar gängige Tanzschritte ohne sie anzufassen.

      „Wie heißt du eigentlich?“, fragt sie ihn aufmunternd. „Amadou, und du?“

      „Sue“. Sie prustet lachend los und Amadou feixt verlegen in die Runde. Was die Anderen wohl denken. Als sie wieder zu Atem kommt, neigt sie ihr Gesicht zu seinem Ohr und flüstert schmeichelnd: „Kannst du nicht so mit mir tanzen,