K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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Was machst du, wenn du keine Arbeit findest?“

      „Das ist ja das Tolle“, triumphiert Amadou, „dann bekomme ich trotzdem genug Geld zum Leben. Außerdem habe ich dann Zeit, um mich um meine Karriere zu kümmern.“.

      „Ach, träum' weiter. Du denkst, wenn du im Fernsehen Afrikaner auf Europas Bühnen singen und tanzen siehst, dass du das auch kannst. Aber so einfach ist das nicht.“

      „Und woher willst du das wissen? Bist du vielleicht schon einmal dort gewesen?“

      „Nein, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass in Europa auch nur mit Wasser gekocht wird. Ich verfolge regelmäßig die Nachrichten aus aller Welt; und wenn du das auch tun und gut zuhören würdest, dann müsste dir auffallen, dass es kein Land auf dieser Erde gibt, das nicht irgendwelche Probleme hat.“

      Sekou wirft mit ironisch verzogenen Mundwinkeln ein: „Nur dass die Reichen andere Probleme haben als die Armen.“

      „Wieso, was für Probleme können denn die Reichen haben?“

      Sekou und Ibrahim schauen Amadou konsterniert an. „Das zu beantworten, ist mir jetzt wirklich zu blöd“, entgegnet Ibrahim, und Sekou fügt hinzu: „Ja, es wird Zeit, dass du die Scheuklappen abnimmst. Du siehst nämlich nur, was du sehen willst und hörst nur, was du hören willst.“

      Amadou schweigt verkniffen. Alle drei sind in Gedanken versunken und lauschen auf die Geräusche der erwachenden afrikanischen Nacht.

      „Du bist also fest entschlossen?“, ergreift Ibrahim als Erster wieder das Wort.

      „Ja.“

      „Dann solltest du wenigstens mit denen reden, die schon einmal dort waren oder dort leben.“

      „Ich soll mit dem Angeber reden, der hinter Miriam her ist? Das könnt ihr nicht von mir verlangen.“

      „Wir kommen mit“, mischt sich Sekou eilig ein „und helfen dir. Schließlich sind wir Freunde. Und abgesehen davon interessiert es mich auch, aus erster Hand etwas über ein europäisches Land zu erfahren.“

      Ibrahim nickt beifällig und erhebt sich. „Okay, aber alles zu seiner Zeit. Jetzt habe ich erst mal Hunger. Lasst uns nach Hause gehen.“ Den schwachen Lichtschein des Dorfes wie eine einladende Laterne vor sich, tigern die Drei zielsicher den Wohlgerüchen der vollen Kochtöpfe entgegen. Am Ortseingang trennen sie sich. „Bis nachher in der Bar“, sagt Ibrahim und seine Freunde nicken zustimmend.

       Warnung und Chance

      Nach und nach füllt sich die kleine hölzerne Bar mit zufriedenen, satten Vätern, Brüdern, Nachbarn und Cousins, die vor dem Schlafengehen noch einen kleinen Plausch halten wollen. Die jungen Mädchen bilden Grüppchen draußen am Rande der Sandpiste, kichern und flirten scheu mit riesigen Rehaugen und schlenkern mit ihren dünnen, langen Armen und Beinen. Sie spielen ‚fangen’ oder necken die Jungs. Als Ibrahim, Sekou und Amadou ihren Weg kreuzen, machen sie den drei etwas Älteren respektvoll Platz.

      Vor der Bar angekommen, stellen die Freunde fest, dass diese hoffnungslos überfüllt ist. „Dann gehen wir eben ins ‚Paradies’“, schlägt Amadou vor, „da waren wir schon lange nicht mehr.“

      „Ja und warum wohl?“, beanstandet Ibrahim und schiebt die Antwort gleich hinterher: „Weil der Besitzer arrogant ist und die Gäste denken auch, dass sie etwas Besseres sind.“

      Sekou mischt sich beschwichtigend ein: „Wo sollen wir denn sonst hingehen? Ich möchte jedenfalls in Ruhe etwas trinken, und zwar im Sitzen.“ Ohne ein weiteres Wort machen sie sich auf den Weg. So war es schon immer: Die Drei ergänzen sich seit Jahren hervorragend; manchmal auch ohne Worte.

      Das ‚Paradies’ ist eine klimatisierte Bar mit taschentuchgroßer Tanzfläche, schummerigem Licht, Nischen mit niedrigen Tischen und rotem Velours bezogenen Sitzbänken; ein kuscheliges Plätzchen für frisch Verliebte und solche, die sich vornehm geben. Letztere Spezies unterhält sich leise und bewegt sich sehr sparsam, um nur ja nicht die teure Kleidung zu verschwitzen.

      Beim Betreten der Bar müssen die Freunde ihre Augen erst an das dort herrschende Dämmerlicht gewöhnen. „Wollen wir an die Bar?“ „Okay.“

      Als sie gerade ihre Drinks in Empfang genommen haben, kommt eine Gruppe junger Männer herein, die alle brandaktuelle amerikanische Sportmode tragen. Bewundernd und ein wenig neidisch schaut Amadou in ihre Richtung; doch dann ändert sich sein Gesichtsausdruck. „Schaut mal, der Typ, der Miriam nach Hause gefahren hat, ist auch dabei.“

      „Tatsächlich, das passt ja gut“, meint Ibrahim und fügt flüsternd hinzu: „Aber warte erst Mal ab; du musst auf eine gute Gelegenheit warten, um ihn anzusprechen.“

      „Die scheinen etwas zu feiern; da kannst du nicht stören“, warnt auch Sekou in Amadous Richtung.

      Mühsam versuchen die Freunde, ihr abgebrochenes Gespräch über Europa wieder in Gang zu bringen, aber ihre Konzentration ist hin. Das Eintreten der anderen Gruppe hat sie erheblich abgelenkt. Angespannt starren sie auf ihre Drinks; in Wirklichkeit horchen sie aber mit gespitzten Ohren auf das Gelächter und die Wortfetzen hinter ihrem Rücken.

      Es dauert nicht lange, da löst sich die lärmende Gruppe um den Jeepfahrer schon auf; die plötzlich eintretende Stille lässt alle verlegen aufhorchen. Nervös beeilt sich der Barkeeper, eine Kassette mit dem Hit der Saison in den Rekorder einzulegen. Schließlich ist der Abend noch lang.

      Der vereinsamte Jeepfahrer entschließt sich, an die Bar zu gehen. Als die drei Freunde dem leicht Schwankenden Platz machen und ihn freundlich begrüßen, breitet er die Arme aus, so als wollte er die ganze Welt umarmen. „Jungs, ich gebe einen aus. Meine Freunde haben mich einfach alleine sitzen gelassen.“

      Hocherfreut über diese günstige Gelegenheit, vielleicht etwas über Deutschland in Erfahrung zu bringen und dazu noch einen Drink spendiert zu bekommen, strahlen Ibrahim, Sekou und Amadou den Ankömmling an. Sie stellen sich manierlich vor und erfahren nun den Namen des Jeepfahrers; er heißt Malik.

      „Ich fliege morgen zurück. Mein Urlaub ist zu Ende“, nuschelt Malik missmutig in sein Glas.

      „Wohin fliegst du denn?“, beeilt sich Amadou zu fragen.

      „Nach Deutschland. Ich wohne in Hamburg.“

      „Und? Freust du dich darauf, wieder dorthin zu fahren?“, hakt Amadou mit einer Stimme nach, die vor Enthusiasmus fast platzt.

      Malik starrt ihn einen Moment verwundert mit glasigen Augen an; dann blickt er wieder konzentriert auf sein Glas. „Lass mich mal nachdenken“, murmelt er und zieht angestrengt die Stirn kraus.

      Ibrahim, Sekou und Amadou denken schon, dass Malik mit offenen Augen eingeschlafen ist, so lange lässt er sich Zeit mit der Antwort. Gerade wollen sie sich enttäuscht von ihm abwenden, als Malik aus seiner Erstarrung auftaucht und mit schwankender Stimme mitteilt: „Jein.“

      „Was???“

      „Das ist die Antwort auf deine Frage. Ja und nein, oder, ich weiß nicht.“ Er gibt sich große Mühe, deutlich zu sprechen. „Wenn ich in Deutschland bin, habe ich Heimweh nach Afrika, nach meiner Familie und meinen Freunden; wenn ich in Afrika bin, sehne ich mich nach dem aufregenden, sauberen Hamburg, wo das Leben bis ins Kleinste durchorganisiert ist und wo viele weiße Frauen ganz scharf auf schwarze Männer sind.“ Als er die weißen Frauen erwähnt, schließt er sehnsüchtig die Augen und seufzt tief.

      „Demnach müsstest du dich doch freuen, wieder in diese tolle Stadt zu fahren“, folgert Ibrahim, „aber das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein.“

      Malik bestellt sich einen Kaffee, schüttet Unmengen von Zucker hinein und beginnt mechanisch in der Tasse zu rühren. Sein Blick ruht irgendwo auf der Theke. Er rührt und rührt, ohne zu bemerken, dass der Zucker sich längst gelöst hat, bis Amadou der Geduldsfaden reißt und er Maliks meditative Tätigkeit unterbricht.

      „Komm schon, was brauchst du denn