K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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ob.“ „Erzähl schon.“ „Wie war’s?“

      Bereitwillig gibt er über seine Bettgeschichte von vergangener Nacht Auskunft. Als die Neugierde der ‚Neuen‘ gestillt ist, verschwindet er mit den Worten „ich habe einen Mordshunger“ in der Küche. Sekou ruft ihm feixend hinterher: „Hat sie dir nichts zur Stärkung gegeben?“ Toucou schiebt eine Schulter durch die Tür und verzieht angeekelt das Gesicht; „ihr glaubt doch nicht, dass ich den deutschen Fraß esse!“

      Alles in allem haben die Vier dann doch noch einen schönen Nachmittag und nach dem Essen erzählt Sekou sogar noch die Geschichte von der nervigen Carla.

       Novemberblues

      Die Tage fließen unerbittlich und zäh wie erkaltende Lava dahin. Amadous hoffnungsvoller Blick aus dem Fenster demonstriert ihm jeden Tag aufs Neue die grausame Realität aller denkbaren Wettertiefs, die bei ihm zwangsläufig zu einem satten Stimmungstief führen. Er nimmt vom Regen triefende Dächer wahr, watteähnlichen, schmutzig weißen Nebel, der alles einhüllt und die Dächer verschwinden lässt; er beobachtet, wie der Wind schneeschwangere, schiefergraue Wolken vor sich hertreibt, oder er sieht pechschwarze Wolkengebirge an einem schwefelgelben Himmel brodeln. Kein Kind ist bei solch einem Wetter auf dem Spielplatz anzutreffen.

      In der kleinen afrikanischen Enklave hat sich inzwischen unter den Neuankömmlingen eine gewisse Routine breitgemacht. Ibrahim geht mit Malik und Toucou arbeiten, Sekou hat einen Aushilfsjob in einem italienischen Restaurant gleich um die Ecke angetreten und Amadou ist wieder gesund, und da er nicht arbeitet, kümmert er sich um alle Arbeiten in der Wohnung, auch wenn einer von ihnen zuhause ist wegen des unterschiedlichen Schichtdienstes. Er räumt auf, geht einkaufen, kocht und wäscht, hört Musik oder übt Deutsch mit Hilfe von Maliks Kassetten. Wenn es nichts mehr zu tun gibt, schaut er mit Augen, in denen sich die Wolken spiegeln, aus dem Fenster.

      Wieder gibt er, wie schon so oft, seiner Sehnsucht nach, nimmt das schnurlose Telefon aus der Ladestation und beginnt zu wählen. Kleine Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, dann unterbricht er abrupt den Wählvorgang und macht vor dem Fenster mit leeren Augen halt. ‚Ich muss damit aufhören’, ermahnt er sich verzweifelt, ‚zu Hause ist alles in Ordnung; ich muss nicht jeden Tag anrufen.’

       November-Highlight

      Ein einzelner Sonnenstrahl kämpft sich mühselig durch die Wolken, berührt tröstend mit dürftiger Wärme Amadous Gesicht und wird gleich wieder von einer düsteren Wolke verscheucht. ‚Emily’, denkt er, ‚vielleicht ist sie heute mit den Kindern draußen, schließlich scheint die Sonne ja ab und zu.’ Er verlässt mit offener Jacke und lose wehendem Schal fluchtartig die Wohnung.

      Auf seinem Weg zum Spielplatz hastet er blind an Passanten vorbei, platscht achtlos durch Pfützen und hat nur einen Gedanken: Hoffentlich ist sie da.

      Als er um die Ecke biegt, sieht er ihren goldblonden Lockenkopf. Sie ist gerade dabei, einem ihrer Schützlinge einen losen Schnürsenkel wieder festzuziehen und dreht ihm den Rücken zu. Als sie sich aus der Hocke erhebt, steht Amadou, über das ganze Gesicht strahlend, direkt vor ihr.

      „Emily.“ Er nimmt ihre kleinen Hände, die in bunt geringelten Fäustlingen stecken, äußerst sanft in seine bloßen Hände.

      „Hey, Amadou“, erwidert sie erfreut. In ihren Augen ist keine Überraschung zu entdecken, denn es war ihr klar, dass sie sich wieder sehen würden.

      Eine kleine Ewigkeit halten sie sich so bei den Händen und strahlen sich wortlos an, bis die Kinder an ihnen zerren. Erst dann löst sich Emily sanft aus seinem Griff. Lächelnd zieht sie mit den Zähnen einen Handschuh aus, um mit der bloßen Hand etwas in ihrer Manteltasche zu suchen. Nach mehreren Anläufen - Schlüssel, Kleingeld, Kassenbon und Kastanien - wird sie endlich fündig. Erleichtert pustet sie eine Haarsträhne, die sich vorwitzig unter der Mütze hervor gestohlen hat, zur Seite und reicht ihm einen arg ramponierten Zettel mit ihrer Adresse. Amadou streicht ihn vorsichtig glatt und denkt: ‚Den hat sie schon die ganze Zeit mit sich herumgetragen.’ Während er die Adresse sorgfältig in seinem leeren Portemonnaie verstaut, fragt er erwartungsvoll: „Heute? Du besuchen?“

      „Nein, nein, heute nicht“, sagt sie lachend, aber als sie seinen enttäuschten Blick sieht, zieht sie mit einer schmeichelnden Geste ihrer bloßen Hände seinen offenen Jackenkragen zusammen und fragt: „Ist dir nicht kalt?“ Amadou schaut sie nur weiterhin abwartend an. „Okay, du kannst mich Sonnabend um 17 Uhr besuchen. Wirst du kommen?“ Er nickt eifrig und lässt sich die Uhrzeit sicherheitshalber auf ihrer Armbanduhr zeigen. Die Wochentage kennt er schon.

      Von nun an beherrscht ihn nur noch der Gedanke an das kommende Treffen. Voller Energie erledigt er alle Arbeiten und erfüllt sämtliche Wünsche seiner Mitbewohner; er kocht, was sie gerne essen, er erledigt ihre Botengänge und hält die Wohnung vorbildlich in Ordnung. Der Versuch seiner Gastgeber, ihn ein wenig in seiner Euphorie zu bremsen, schlägt so was von fehl, dass sie schnell aufgeben; schließlich profitieren sie alle von seiner guten Laune. Abgesehen davon ist mit Amadou aber auch gar nichts anzufangen.

       Das leidige Geld

      Heute sind zufällig alle Bewohner zur selben Zeit anwesend und nach dem Essen wird über die finanzielle Situation der Wohngemeinschaft diskutiert.

      „Hallo! Jemand zu Hause?“ Sekou wedelt mit der Hand vor Amadous Augen herum, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten. „Bist du noch in unserer Welt?“

      Amadou schaut irritiert von Maliks Deutschheft auf. „Was wollt ihr? Ich habe doch alles gemacht. Lasst mich jetzt in Ruhe Deutsch üben“, und wendet sich wieder seinem Heft zu.

      „Was wir wollen?“, antwortet Ibrahim nun leicht verärgert, „wir haben ein Problem und wollen es mit dir besprechen. Hast du eben nicht zugehört?“ Beschämt legt Amadou seine Unterrichtsutensilien zur Seite.

      „Also, noch einmal für dich: Du hast beim Einkaufen ja gemerkt, wie teuer das Leben hier in Deutschland ist; deswegen können wir auf Dauer nicht von unseren Gastgebern erwarten, dass sie alles alleine bezahlen.“

      „Wieso, wir kaufen doch sehr oft ein und …“;

      „aber wir haben anscheinend keinen blassen Schimmer …“

      „Und ich mache den ganzen Haushalt.“

      „Ja, aber ich rede von den Kosten, die sonst noch anfallen.“

      „Welche anderen Kosten?“ Erschrocken blickt Amadou in die Runde. Gerade lief alles so gut.

      „Keine Panik“, mischt sich Sekou mitfühlend ein, „Ibrahim und ich hatten bis jetzt auch keine Ahnung von den hohen Kosten.“

      „Also sagt mir jetzt mal jemand, über was für Kosten ihr redet?“

      Malik ergreift seufzend das Wort; er spricht nur ungern über Geld. „Toucou und ich teilen uns alle anfallenden Ausgaben und werden es auch weiterhin tun. Aber es wäre ganz schön, wenn ihr euch ein wenig daran beteiligen könntet; denn seitdem ihr bei uns wohnt, ist unser Verbrauch an Wasser, Strom und Heizung drastisch gestiegen. Das war zu erwarten, wenn fünf statt zwei Personen täglich duschen, die Heizung immer auf Hochtouren läuft und die Waschmaschine auch viel häufiger in Betrieb ist.“ Er macht eine kleine Pause. „Dabei habe ich noch gar nicht an die nächste Telefonrechnung gedacht.“ Amadou zuckt unmerklich zusammen. „Das soll kein Vorwurf sein; ihr wohnt selbstverständlich mietfrei; Toucou und ich wollen nur wissen, ob ihr etwas Geld zu den erhöhten Rechnungen beisteuern könnt, jetzt, wo zwei von euch einen Job haben.“

      Ibrahim nickt nachdenklich. „Klar, das ist nur fair. Wir haben davon ja nichts gewusst. Sekou und ich werden selbstverständlich für die monatlichen Mehrkosten aufkommen.“

      Amadou ist auf Höchste über die Andeutung der Telefonrechnung beunruhigt. ‚Aber man kann ja nicht sehen, wer telefoniert hat und mit wem’, beruhigt er sich selbst. ‚Jedenfalls