K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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unverwandt in die Augen blickt, bewegt sie sich verführerisch tanzend direkt vor seiner Nase. Amadou erhebt sich wie ein hypnotisiertes Kaninchen und nimmt ihre aufreizenden Bewegungen auf.

      ‚Wahnsinn!’, denkt Emily; ungeahnte Glücksgefühle fluten rhythmisch durch ihren Körper. ‚Wie einfühlsam er sich bewegt.’ Sie hat die Augen geschlossen und weiß nicht mehr, wo ihr Körper aufhört und seiner anfängt. Ist es das, was ‚Einssein’ bedeutet? So müsste es immer sein. Sie könnte bis in alle Ewigkeit weiter tanzen.

      Amadou hat nur einen Gedanken: ‚Wie kriege ich sie ins Bett, bevor ich durchdrehe oder sie sich es wieder anders überlegt?’ Denn dass sie mit ihm schlafen möchte, ist für ihn klar; ihre Bewegungen gleichen mehr einem Liebesakt als einem Tanz; aber halt! Jetzt schiebt sie ihn wieder von sich, streicht eine Haarsträhne aus der erhitzten Stirn und lässt ihn einfach stehen. Sie geht in die Küche und gießt sich ein Glas Saft aus dem Kühlschrank ein. Sie lehnt an der Arbeitsplatte, als Amadou dazu kommt.

      „Willst du auch einen Saft oder ein Glas Wasser?“

      „Nein, ich wollen dich.“ Sie lacht wieder mit zurückgeworfenem Kopf.

      Amadou schüttelt resigniert den Kopf. ‚Sie ist verrückt’, denkt er, ‚oder sie will einen starken Mann, der sich durchsetzt.’ Er nimmt ihr das Glas aus der Hand, stellt es langsam und vorsichtig ab, hebt sie hoch und trägt sie zur Couch. Emily wehrt sich spielerisch, lacht aber dabei. Als er versucht, ihr das Sweatshirt über den Kopf zu ziehen, hält sie wieder seine Hände fest und blickt ihn vorwurfsvoll an.

      „Ich habe gesagt, dass ich nicht mit dir schlafen werde. Wir kennen uns doch gar nicht. Und überhaupt, hast du ein Kondom dabei? Nein? Das hab ich mir gedacht.“ Sie löst sich aus seiner Umklammerung und setzt sich auf. Amadou versteht die Welt nicht mehr. So etwas würde in Afrika nie passieren! Wenn eine Frau ihren Partner so intensiv küsst und so aufreizend mit ihm tanzt, dann muss sie konsequenterweise auch mit ihm schlafen. Emilys Signale waren doch eindeutig. Oder? Er zieht sich wortlos an und Emily schaut ihm traurig dabei zu. Ohne sich zu verabschieden, zieht Amadou leise die Tür hinter sich zu. Ein sanftes Klicken, als die Tür ins Schloss fällt, dann ist es ganz still.

      Emily versucht verzweifelt sich einzureden, dass sie es richtig gemacht hat. ‚Ich habe ihm gezeigt, dass ich ihn mag, habe ihm einen Vorgeschmack darauf gegeben, wie es sein wird, wenn wir miteinander schlafen; aber er muss doch verstehen, dass ich nicht sofort mit ihm ins Bett steigen kann; er ist ein Fremder für mich, auch wenn mein Körper auf ihn reagiert hat. Wenn ich mich beherrschen kann, wird er das ja wohl auch können. Andererseits, warum sollte ich nicht … sollte er …? Schade, eigentlich hätte ich … vielleicht hätte ich … ach, ich werde ihn schon wieder sehen.’ Sie weint ein bisschen und kuschelt sich dann mit einer Wolldecke vor den Fernseher. Nach Disco ist ihr heute nicht mehr zumute.

      Amadou trödelt auf dem Nachhauseweg. Er hält unterwegs sogar noch an einem Imbissstand an und trinkt eine Cola. ‚Hoffentlich sind die Anderen schon weg’, denkt er schlecht gelaunt, ‚ich habe Zero Lust auf ihre Fragen oder Ratschläge.’ Zu tief sitzt seine Enttäuschung über den misslungenen Abend.

       Zeit, die sich kleinlaut davonschleicht

      Von nun an ziehen die Tage an Amadou vorüber, als hätte er nichts mit ihnen zu tun. Sachte, beinahe rücksichtsvoll, schiebt die Zeit ihn vor sich her. Das Leben in der Enklave folgt ungerührt dem eintönigen Tagesrhythmus von Arbeiten, Essen, Fernsehen und Schlafen. Seinen Mitbewohnern gegenüber hatte Amadou‚ am Morgen danach nur mundfaul etwas von: ‚die Frau weiß nicht was sie will’ gemurmelt und jede weitere Auskunft verweigert. Er geht nicht mehr zum Spielplatz.

      Deprimiert reißt er jeden Tag eine für ihn bedeutungslose Zahl vom Kalender und hat dabei das Gefühl, dass sein Leben nutz- und freudlos verstreicht wie das der Kalenderblätter; sie sind Eintagsfliegen, einmal abgerissen und schon Vergangenheit, Altpapier. Aber sie nicht abzureißen ist auch keine Lösung.

      „Du musst endlich mal auf andere Gedanken kommen“, meint Malik eines Abends väterlich zu Amadou, „diesen Sonnabend kommst du mit in die Disco.“

      „Nee“, wehrt Amadou mit erhobenen Händen ab, „ich hab’ keine Lust auf noch mehr komplizierte Frauen.“

      „Aber du tanzt doch so gerne. Und wenn wir Glück haben, legt der DJ Musik aus unserer Heimat auf; da tanzen wir doch sowieso zusammen. Du musst ja keine Frau anbaggern.“ Die Anderen nicken zustimmend.

      „Mal sehen“, ist die lahme Antwort, damit sie ihn endlich in Ruhe lassen.

       Post für Amadou und die WG

      Ein paar Tage später holt Malik Brötchen vom Bäcker und kommt mit einer Tüte und der Post in der Hand zurück. Er schüttet eine ganze Ladung appetitlich duftender Brötchen auf einen Teller, lässt sich auf die Couch plumpsen und beginnt die Briefe zu sortieren. „Hier, Amadou“, ruft er in Richtung Küche, „ein Brief für dich, von deiner Liebsten; vielleicht heitert der dich ein wenig auf.“ Aus der Küche kommt nur ein undefinierbares Geräusch, ähnlich einem Seufzen, als Antwort.

      Malik wendet sich wieder seiner Post zu und öffnet einen Brief. Ein Blick auf das Schreiben und seine Augen weiten sich entsetzt; er springt wie von der Tarantel gestochen auf, den Brief ungläubig von sich weg haltend. „Eey, das kann doch nicht wahr sein!“, schreit er.

      Amadou stürzt in das Wohnzimmer und fragt besorgt: „Was ist passiert?“

      „Hier, schau selbst; die Telefonrechnung“, ist die nun klägliche Antwort, so als hätte der bloße Anblick der Rechnung seinem Körper alle Energie entzogen. Amadou nimmt mit zitternder Hand das Blatt Papier entgegen. 1.200 Euro! Er muss sich setzen, weil ihm auch die Beine zittern.

      „Ich, ich … es tut mir leid; ich dachte … ich habe einfach nicht gewusst, wie teuer es sein würde, nach Hause zu telefonieren.“

      „Aber warum hast du uns nicht gefragt?“ Maliks Stimme klingt nun doch aufgebracht; „Toucou und ich hätten dir gerne erklärt, wie man mit einer Telefonkarte günstig telefoniert.“

      Amadou senkt reuig den Kopf. „Ich habe mich so geschämt.“

      „Weswegen denn?“

      „Ich habe solche Sehnsucht nach Hause, und außerdem mache ich mir Sorgen um meine Mutter.“

      „Ach Amadou…“, seufzt Malik, „wir alle haben Heimweh. Deswegen brauchst du dich nicht zu schämen; das verstehen wir.“ Er macht eine lange Pause, während der Amadou sich nicht traut, auch nur ein Wort zu sagen. „Aber wie soll ich diese 1.200 Euro bloß bezahlen? Soviel verdiene ich gerade in einem Monat. Und du weißt inzwischen, was ich alles davon bezahlen muss.“ Nachdenklich schneidet er ein Brötchen auf und belegt es mit Käse; plötzlich erhellt sich seine Miene. „Ich hab eine Idee, wie ich das regeln kann. Ich werde nach dem Frühstück bei der Telefongesellschaft anrufen und Ratenzahlung beantragen. Ja, das ist die Lösung; und jetzt lass uns frühstücken.“

      Amadou schaut ihn mit leuchtenden Augen an und sagt eifrig: „Ich werde dir alles zurückzahlen, auch die Gespräche, die auf dieser Rechnung noch nicht drauf sind.“ Maliks Hand, welche das halbe Brötchen gerade zum Mund führt, verharrt sekundenlang auf halber Höhe, bevor er resigniert und ohne weiteren Kommentar seine Bewegung fortführt.

      Amadou beschließt, heute Maliks Lieblingsgericht zu kochen und seine Wäsche besonders sorgfältig zu bügeln. Miriams Brief will er erst lesen, wenn er alle Arbeiten erledigt hat und alleine ist, sozusagen als Belohnung.

      Als er den Brief endlich am Nachmittag öffnet, verschwimmen ihm die Buchstaben vor den Augen und er muss erst einmal energisch mit dem Handrücken für klare Sicht sorgen.

      Lieber Amadou, schreibt Miriam in ihrer kindlichen, runden Schrift, wie geht es dir? „Schlecht“, murmelt Amadou und liest weiter. Und wie geht es Sekou und Ibrahim? Ich hoffe sehr, dass ihr alle gesund seid. Hier ist alles so weit in Ordnung. Uns geht es gut. Gestern habe ich deine