K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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außer Haus anfing, zum Beispiel meine Eltern zu besuchen, kam die Antwort: ‚Ich treffe meine Leute und du kannst deine Leute besuchen. Was soll daran nicht gut sein?’“

      Rose nimmt ihre Freundin mitfühlend in den Arm. „Mir wird langsam kalt“; sagt sie fröstelnd, „wollen wir nicht irgendwo in der Nähe Kaffee trinken, oder“, sie stupst Tina lachend mit dem Ellenbogen an, „oder sollten wir vielleicht besser einen Punsch …?“ Tina grinst. „Oder auch zwei?“ Zielstrebig steuern sie ein kleines Café an der Flussseite an.

      Sie nehmen am Fenster Platz und schauen entspannt auf die zinnfarbene Elbe, von der gemächlich herbstliche Nebelschleier aufsteigen. Die Gartenstühle und Tische draußen auf der Terrasse glänzen vor Nässe im wässrigen Abendlicht. „Diese Aussicht ist bei jedem Wetter schön, irgendwie beruhigend“, sagt Rose nachdenklich.

      „Stimmt“, ist die einsilbige Antwort. Nach einem Kaffee sind die beiden mittlerweile bei ihrem dritten Punsch angelangt.

      „Weißt du Tina, dein Problem ist, dass du ihn immer noch liebst“.

      „Nein, nein, das tue ich nicht“, weist Tina empört zurück. Rose überhört den Protest geflissentlich und fährt unbeirrt fort:

      „Aber wie erklärst du dir sonst, dass deine Gedanken ständig um Malik kreisen; mich stört ja auch nicht, dass es liebevolle Gedanken sind, aber du scheinst im wahrsten Sinne des Wortes noch von ihm ‚besetzt’ zu sein. Wenn er dir egal wäre, würdest du keinen müden Gedanken an ihn verschwenden und endlich einen deiner Bewunderer erhören und wieder am Leben teilnehmen.“

      Tina nimmt einen großen Schluck von ihrem Punsch und betrachtet dann eingehend die Finger ihrer linken Hand. Rose wartet. Endlich entschließt Tina sich zu einer Erklärung. „Es ist nur wegen des Kindes“, „ach quatsch“ fällt Rose ihr ins Wort, „lass dir etwas Besseres einfallen.“

      „Also gut, wahrscheinlich hast du recht.“ Tinas Augen beginnen verdächtig zu glitzern.

      „Na klar habe ich recht, und nun? Warum klammerst du noch?“

      „Ich, ich suche nach Antworten. Ich frage mich die ganze Zeit, wie es soweit kommen konnte, dass wir uns scheiden lassen haben.“

      „Ihr habt euch doch in beiderseitigem Einverständnis getrennt. Ihr werdet beide eure Gründe gehabt haben. Willst du ihn etwa wieder zurück?“

      „Er fehlt mir so.“

      „Das ist keine Antwort auf meine Frage, Tina.“

      „Ja, also, ich wäre schon gerne wieder mit ihm zusammen, aber er hat sich kein bisschen geändert und dann hätten wir wieder dasselbe Theater wie vorher.“

      „Hast du dich denn geändert?“

      „Nein, was sollte ich denn ändern?“

      Rose klatscht sich die gespreizte Handfläche an die Stirn und stöhnt: „Das kann doch nicht wahr sein. Du mit deinen Erwartungen, festen Vorstellungen und unrealistischen Träumen meinst, du musst nichts ändern? Ich gebe dir den guten Rat: lass ihn in Ruhe.“ Sie lehnt sich laut ausatmend zurück.

      „Was erwartest du von mir?“, fragt Tina mit hochrotem Kopf, „dass ich die Schuld für das Scheitern unserer Ehe ganz alleine auf mich nehme?“

      „Nein, nur die Hälfte.“

      „Aber was soll ich denn falsch gemacht haben? Ich habe alles für ihn getan.“

      „Oh Tina, das ist es ja gerade! Du hast ihm jegliche Verantwortung für die Familie aus der Hand genommen, weil du alles besser kannst. Warum habt ihr überhaupt geheiratet, wenn du kein Vertrauen zu ihm hattest?“

      „Aber er war doch fremd hier, ich musste ihm doch helfen.“

      „Ja, am Anfang vielleicht, aber du hast damit nicht aufgehört. Du wolltest immer alles selber machen, weil er nicht sauber genug, nicht schnell genug, nicht billig genug, einfach nicht gut genug für dich war.“

      „Jetzt bist du aber ungerecht. Ich habe ihn sogar manchmal kochen lassen“, und ärgerlich fügt sie hinzu: „auch wenn die ganze Küche hinterher vom verspritzten Palmöl glänzte und ich sofort wischen musste, um zu verhindern, dass einer von uns noch auf dem Fettfilm ausrutscht.“

      „So wie ich dich kenne, hast du ihm das bestimmt auch unter die Nase gerieben.“

      „Das brauchte ich gar nicht. Er hatte wohl selber eingesehen, dass mein fettarmes Essen gesünder ist und nicht die ganze Küche verschmiert. Außerdem isst er oft in der Betriebskantine.“

      „Wenn du meinst“, Rose zieht skeptisch den rechten Mundwinkel ein und lächelt leicht maliziös.

      „Was willst du damit sagen?“

      „Oh, nur, dass ich deinen ‚Ex’ mittags oft auf dem Weg zu Freunden getroffen habe.“

      „Soll das heißen, er hat gar nicht … er hat nur nicht mein Essen … er hat mich die ganze Zeit belogen und du hast es gewusst?“

      „Typisch, du schreist gleich wieder Betrug, anstatt die Bedrängnis zu sehen, in der dein Mann sich befunden hat, nur, um dich nicht zu verletzen. Mensch Tina, wach auf! Als du Malik kennengelernt hattest, war er kein neugeborenes Baby, das du nach deinem Willen formen konntest.“

      Das saß. Kreidebleich erhebt Tina sich, schnappt ihre Jacke und blafft Rose an: „Vielen Dank für die Aufmunterung“, und Rose, auch nicht auf den Mund gefallen, kontert: „Wenn’s denn wenigstens was gebracht hat“, und zündet sich seelenruhig eine Zigarette an.

      Bei einem vierten Punsch versucht sie, leicht berauscht vom Alkohol, der Frage, ob man Freundinnen um jeden Preis die Wahrheit sagen sollte, analytisch auf den Grund zu gehen. ‚Vielleicht sollte ich bei allen Freundinnen eine Meinungsumfrage veranstalten. Danach wüsste ich wenigstens von Fall zu Fall, wie ich mich zu verhalten hätte.’

      Das ist die einzige verwertbare Schlussfolgerung, zu der sie nach all dem Punsch noch in der Lage ist, und, dass sie wieder die Dumme ist.

      Der Nachmittag in der afrikanischen Enklave ist im Gegensatz zu Tinas recht harmonisch und befriedigend verlaufen. Nachdem alle anfallenden Arbeiten verteilt waren, kümmerten sich Amadou und Sekou gut gelaunt um das Essen, Toucou bügelte für alle, Ibrahim kümmerte sich um die Wäsche und Malik räumte mit seinem Sohn das Wohnzimmer auf. Ein Sonntag wie jeder andere auch, nur mit dem Unterschied, dass dieses Mal Driss dabei war.

      Später, beim gemeinsamen Essen aus der großen Emailschüssel, legten sie dem Jungen fürsorglich die knochenlosen Stücke Fleisch auf seine Seite und Driss genoss es, von seinem Vater beachtet zu werden. Es hat ihn noch nie gestört, dass er sich wie alle anderen der Gemeinschaft unterzuordnen hat, obwohl Tina, seine Mutter, das alles ganz anders sieht.

      „Und? Was habt ihr Schönes unternommen?“, ist denn auch zuckersüß die rein rhetorische Frage, als Malik den Jungen abends pünktlich abliefert.

      „Mama, wann darf ich wieder zu Papa?“, quengelt Drissi müde. Er bleibt unbeachtet.

      Malik schaut Tina ärgerlich an. „Dem Jungen geht es gut, reicht das nicht? Muss er ständig im Mittelpunkt stehen? Schlimm genug, dass sich bei dir alles um ihn dreht. Merkst du gar nicht, dass du ihn damit zu einem egoistischen Einzelgänger erziehst?“ Er hebt Idrissa hoch und drückt ihn fest an sich. „Bis bald, Chef“. Als er ihn wieder herunterlässt, sagt er mit ernstem Gesichtsausdruck zu seiner ‚Ex’: „Du verwöhnst das Kind. In eurer Kultur ist das ja üblich, aber irgendwie gibt es mir zu denken, dass ihr mit euren Kindern überhaupt nicht klarkommt.“

      Tina ist kurz davor, in Tränen auszubrechen. Da ist sie wieder, die ‚deine und meine Kulturmauer’, die sie trennt und eine Kommunikation fast unmöglich macht.

      „Kommst du noch mit rein?“

      „Nein, ich habe morgen Frühdienst, ein andermal.“ Weg ist er. ‚Sie sieht schlecht aus’, denkt Malik auf dem Weg zum Auto besorgt, ‚was hat sie nur?’ Er nimmt sich vor, nächstes Mal zu