K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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      Am Sonntag wird in der Wohngemeinschaft beim späten Frühstück noch viel über den vergangenen Abend geredet und gelacht. Allen hat es sehr gefallen, einmal eine Auszeit von allem Deutschen zu haben, außer Amadou, der hat sich gerade darauf eingelassen.

      „Hast du eigentlich mitbekommen, dass Ibrahim sich auch verliebt hat?“, fragt Sekou Amadou. Verständnislos blickt der seinen Freund an. „Hast du an dem Abend überhaupt irgendetwas in deiner Umgebung wahrgenommen?“, setzt er noch hinzu.

      „Äh, nicht wirklich“, ist die vorsichtige Antwort und zu Ibrahim strahlend: „Stimmt das? Erzähl’.“

      „Da gibt’s nichts zu erzählen.“

      „Es ist die große Rothaarige, die Sekou bei unserem ersten Besuch im Klub so toll fand“, klärt Toucou beflissen und ein wenig verschnupft den Unwissenden auf. Schließlich versucht er es schon seit Jahren, bei dieser Frau zu landen. Aber insgeheim denkt er: Verlieren ist gut, so besteht eine Chance, dass das Glück noch kommt’.

      „Jedenfalls“, hebt Ibrahim bedächtig an, „ist es noch zu früh, um etwas zu sagen.“

      Toucou reicht diese Antwort nicht aus. „Und? Werdet ihr euch treffen?“

      „Ja, aber jetzt lasst mich mit euren Fragen zufrieden.“

      Malik schaut auf die Uhr und springt auf. „Verdammt! Es ist schon nach zwei Uhr. Meine Ex hasst es, wenn ich unseren Sohn nicht pünktlich abhole. Ich mach mich besser gleich auf den Weg.“ Er schnappt seine Jacke vom Haken und ruft über die Schulter zurück: „Ich bringe ihn mit; wir essen dann zusammen, okay?“ Selbst am Wochenende verfolgt ihn die Tyrannei der deutschen Pünktlichkeit.

      Als er bei seiner ‚Ex’ klingelt, stürmt ihm ein freudestrahlender Sohn entgegen, gefolgt von seiner vorwurfsvoll dreinblickenden Mutter. „Ich weiß, du brauchst nichts zu sagen, nächstes Mal …“, versucht Malik ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber da hat er sich verrechnet.

      „Nächstes Mal, nächstes Mal. Es ist immer dasselbe mit dir. Wann lernst du endlich, dich an Verabredungen zu halten?“ Sie ist nicht mehr zu bremsen. „Denkst du, ich habe nichts anderes zu tun, als auf dich zu warten? Dein Sohn liegt mir die ganze Zeit in den Ohren: ‚Wann kommt Papa, wann kommt Papa?’ Denkst du vielleicht auch einmal daran, was es für ihn bedeutet? Diese Unsicherheit? Kommt er überhaupt?“

      Malik streichelt seinem Sohn, der sich an sein Bein geklammert hat und mit großen Augen zu ihm aufschaut, geistesabwesend den Kopf. „Wir reden hier von 20 Minuten Verspätung; krieg’ dich wieder ein.“ Und er geht seelenruhig vor seinem Sohn in die Hocke und fragt ihn liebevoll: „Hast du alles? Können wir gehen?“ Driss deutet mit strahlenden Augen auf seinen Minirucksack und nickt heftig.

      Ohne sich noch einmal umzudrehen, gehen Vater und Sohn einträchtig zum Auto, gefolgt von einer letzten Anweisung seiner ‚Ex’. „Sei wenigstens pünktlich, wenn du ihn zurückbringst.“

      Malik seufzt und knurrt, ohne sich umzudrehen, zurück: „Ja, ja.“

      Aber die Antwort passt Tina nun auch wieder nicht. Daher ruft sie mit erhobener Stimme hinter den beiden her: „Du hast aber schnell gelernt, was ‚ja, ja’ bedeutet.“ Zu mehr kommt sie nicht, weil die Autotüren zuklappen.

      Malik grinst seinen Sohn von der Seite an und sagt: „Gib mir fünf“, und Driss schlägt begeistert ein, dann lässt er den Motor an, verharrt aber noch sekundenlang regungslos. „Was ist Papa? Warum fährst du nicht los?“

      „Sofort, Chef“, lacht Malik.

      Er ärgert sich über Tina. ‚Was ist so schlimm daran’, grübelt er kopfschüttelnd, ‚wenn sie 20 Minuten auf mich warten muss? Sie ist doch zu Hause und kann alles Mögliche tun, um sich die Zeit zu vertreiben. Wichtig ist doch, dass ich komme. Und überhaupt, diese ewigen Zurechtweisungen vor dem Kind. Macht sie das mit Absicht, oder merkt sie nicht, dass sie damit den mir gebührenden Respekt als Vater untergräbt? Es verunsichert Driss und macht ihn ängstlich und unglücklich, wenn wir Zoff haben.’ Er ermahnt sich, positive Gedanken zu haben und lenkt das Auto in Richtung Wohngemeinschaft, wo er und sein Sohn sich wohlfühlen.

       Tinas freier Nachmittag

      Tina schließt missmutig die Haustür, und wie immer, wenn Malik Driss abgeholt hat, macht sich eine große Leere in ihr breit. Es wurmt sie, wenn er so gut gelaunt bei ihr auftaucht, so als würde er ohne sie viel besser klar kommen, ja, sogar zufriedener sein. Sie geht in Driss’ Zimmer und räumt halbherzig ein paar Spielsachen in die Regale; die Wohnung ist wie ausgestorben. ‚Und das Kind vergöttert ihn’; denkt sie entrüstet, ‚dabei macht Malik nichts Kindgerechtes, pädagogisch Sinnvolles mit ihm, Fußball kucken und gemeinsam mit den Anderen essen; das ist alles. Nie geht er mit ihm in den Zirkus, in die Badeanstalt, ins Kino oder in den Zoo; nie macht er mit ihm eine Radtour oder ein Picknick’. Tina sinkt auf die Couch und bedeckt das Gesicht mit den Händen. ‚Oh verdammter Mist, ich liebe ihn immer noch.’

      Sie schnäuzt sich kräftig und greift dann nach ihrem Handy. „Hi Rose.“

      „Hey Tina; da hast du aber Glück, ich wollte gerade aus dem Haus gehen.“

      Enttäuscht sagt Tina: „Schade, ich dachte, du hättest vielleicht Lust, mit mir an die frische Luft zu gehen.“

      „Ja, gerne, aber ich muss vorher noch eben zu meiner Nachbarin etwas abgeben. Ist was passiert? Du klingst so komisch, du hast doch was.“

      „Ach, immer dasselbe.“

      Rose seufzt. „Ist Driss bei Malik?“

      „Ja, bis neun Uhr“.

      „Dann können wir ja etwas zusammen unternehmen, ich bin so gegen drei Uhr bei dir. Okay?“ Tina geht es sofort besser.

      Es ist schon halb vier, als Rose klingelt und Tina ihr aufgekratzt die Tür öffnet. „Wollen wir erst noch einen kleinen Gang durch den Park machen?“, fragt Rose, „ich muss mich bewegen, ich habe mittags zu viel gegessen.“

      „Gerne, ich hole meinen Mantel“.

      Unterwegs atmet Tina tief ein. „Willst du drüber reden?“

      „Nein, ist schon gut. Erzähl du mir lieber etwas, das mich aufbaut.“

      „Okaaay, lass mich mal überlegen. Wollen wir uns was Tolles für Weihnachten überlegen? Wir könnten uns zum Beispiel ein kleines Strandhaus in Dänemark mieten.“ Sie ist so begeistert von ihrer Idee, dass sie gar nicht merkt, wie Tinas Gesicht immer länger wird. Aber als ihr Enthusiasmus keinerlei Reaktion hervorruft, sieht sie ihre Freundin besorgt an. „Ach du Schande, was habe ich denn gesagt?“

      „Nichts“, wehrt Tina schniefend ab, „es war nur immer schon mein größter Wunsch, mit Malik, Drissi und ein paar Freunden solch ein Weihnachtsfest zu feiern. Es hat nie geklappt.“

      „Und warum nicht?“

      „Ach du weißt doch, wie die Afrikaner sind.“ Rose blickt Tina abwartend an.

      „Als ich ihm damals vorschwärmte, wie romantisch es sein könnte, bei Punsch und selbst gebackenen Keksen vor dem flackernden Kaminfeuer zu sitzen, Spiele zu spielen und sich mit den Anderen zu unterhalten, gemeinsam zu kochen, oder bei Wind und Wetter einen Spaziergang zu machen, sagte er nur trocken: ‚Was soll ich da in der Kälte? Noch dazu auf dem platten Land, wo nichts los ist, mit Leuten, die nicht meine Freunde sind.’

      Wütend fragte ich ihn, was wir denn als Familie überhaupt zusammen machen würden. Weißt du, was er da geantwortet hat?“

      „Nein, aber du wirst es mir schon sagen“, meint Rose spitz.

      „Also, er schnauzte in etwa: ‚Alles. Wir sind jeden Tag zusammen, essen und schlafen zusammen, was willst du denn noch? Ich gehe nun einmal nicht spazieren, nicht in Afrika und hier auch nicht, und schon gar nicht im Winter. Das weißt du doch; ich trinke auch keinen Punsch und unsere Zentralheizung ziehe ich allemal