K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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ist denn mit dir los? Hast du Ärger mit deiner Freundin?“, schnappt er beleidigt zurück. Ibrahim legt sein Lehrbuch zur Seite und seufzt.

      „Nicht wirklich, aber ich muss dringend mit dir über unsere Finanzen reden.“

      Betreten setzt Amadou sich in den zweiten Sessel. „Okay“, antwortet er aufs Höchste alarmiert und nestelt nervös an seinen Fingern herum.

       Konfrontation mit der Realität

      „Du erinnerst dich an unsere Abmachung?“

      „Na klar“, entgegnet Amadou mit abweisendem Gesicht und weicht Ibrahims Blick aus.

      „Also“, hebt Ibrahim sanft an, um den Freund nicht unnötig aufzuregen, „im Moment zahle ich deinen Anteil für den Lebensunterhalt hier in der Wohngemeinschaft mit; auch die durch dich verursachten Telefongebühren. Bisher war das ja auch völlig in Ordnung, aber ab dem nächsten Monat muss ich mit der Rückzahlung meines eigenen Kredites beginnen. Bei Sekou ist das ähnlich; er muss das Geld für unsere Flüge an seinen Onkel zurückzahlen.“ Er macht eine Pause und schaut Amadou erwartungsvoll an.

      „Sag doch gleich, dass ihr mich hängen lassen wollt.“

      „Wie bitte?“ Ibrahim mustert seinen Freund aus zusammengekniffenen Augen, „das ist nicht dein Ernst.“

      „Ich kann doch nichts dafür, dass ich keine Arbeit finde“, mault Amadou weiter, „ich hab’ es doch versucht.“

      Ibrahim schüttelt den Kopf. „Nicht genug. Hast du zum Beispiel unsere Landsleute angesprochen, wie du es vorhattest? Nein. Was hast du überhaupt unternommen, um einen Job zu finden?“ Keine Antwort. „Amadou, mein Freund, so geht das nicht weiter. Du hast dich mit der Hausarbeit arrangiert und ansonsten bist du bei Emily und machst dir anscheinend keine großen Gedanken.“

      „Was weißt du schon, woran ich denke?“, blafft Amadou zurück, „ich denke pausenlos daran, wie ich zu Geld kommen kann; schließlich muss ich demnächst auch die erste Rate meines Kredites zahlen.“

      „Sekou und ich können dir sicher hin und wieder mit etwas Geld aushelfen, aber mit deinem eigenen Kredit können wir uns nicht noch zusätzlich belasten. Sieh mal Amadou, wir sind doch hierhergekommen, um Geld zu verdienen, damit wir uns zuhause etwas aufbauen können. Ich arbeite zwar aber bisher konnte ich noch keinen Cent sparen.“

      „Und das ist meine Schuld“, folgert Amadou ganz richtig.

      „Nein, ja …“, ruft Ibrahim genervt aus, „das hast du gesagt. Das Leben ist so viel teurer hier, als wir dachten. Es bleibt einfach nichts übrig.“

      Amadou erhebt sich schwerfällig und tritt ans Fenster. Mit Augen, aus denen alle Lebensfreude gewichen ist, schaut er in den Himmel; dort türmen sich bedrohlich ganze Kathedralen von schwarzen Wolken auf. „Ich glaube, das Wetter ändert sich“, meint er zu Ibrahim mit abgewandtem Rücken.

      „Ja, vielleicht hast du recht“, ist die versöhnliche Antwort.

       Der bequemste Weg

      Spätnachmittags sitzt Amadou lustlos bei Emily auf der Couch und schaut fern. Keiner von beiden hat Lust zu kochen. „Ich mach mir ein Sandwich, willst du auch eins?“

       „Nein, ich nicht Hunger.“

      Drei Stunden später sind seine Augen immer noch stur geradeaus auf den Fernseher gerichtet. „Sag’ mal, schaust du überhaupt hin?“, fragt Emily gereizt, „wenn nicht, dann können wir ihn auch ausmachen.“

      „Mir egal“, ist die übellaunige Reaktion.

      „Was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht.“ Sie kuschelt sich versuchsweise an ihn an. Er wehrt sie sanft aber bestimmt ab.

       „Bitte Emily, ich Kopfschmerzen.“

      Eigentlich will sie es gar nicht wissen, nein, wirklich nicht, aber dann stellt sie doch die Frage, die ihr wieder jede Verantwortung zuspielt: „Hast du Probleme? Du kannst mir alles sagen.“ Schließlich kann sie nicht reinen Gewissens ihren Spaß mit ihm haben und gleichzeitig seine offensichtliche Traurigkeit ignorieren; das wäre ja unmenschlich. Also fragt Emily hartnäckig nach.

      Amadou ziert sich anstandshalber noch eine ganze Weile, bis er scheinbar widerstrebend ihrem Druck nachgibt. Aber dann ist sein Redefluss gar nicht mehr zu bremsen. Mit Händen und Füßen erzählt er ihr von der Wohngemeinschaft, dass es dort so eng ist, dass seine Freunde und er abwechselnd auf der Couch und dem Fußboden schlafen müssen, und dass er seinen Anteil an den Lebenshaltungskosten nicht bezahlen kann, weil er keine Arbeit hat.

      Emily hört ihm mit wachsendem Unbehagen zu. ‚Wie komme ich da bloß anständig raus?’, denkt sie verzweifelt, ‚entweder muss ich ihm Geld leihen, oder ihn bei mir einziehen lassen; eigentlich will ich aber beides nicht; jedenfalls nicht so schnell. Das kann ich mir auf Dauer auch gar nicht leisten.’ Laut sagt sie: „Na ja, dann musst du eben bei mir wohnen, bis du Arbeit gefunden hast.“ ‚Verdammte Sch …! Warum passiert mir das immer wieder? Warum kann ich mein vorlautes Mundwerk nicht halten?’

      Amadou dreht sich zu ihr um. „Echt?“, jubelt er und reißt sie überglücklich in seine Arme. Emilys Freude ist eher verhaltener Natur; ‚wenigstens hat er nicht mehr diesen Weltuntergangsblick.’

      Am nächsten Tag kommt Amadou erst mittags in die Wohngemeinschaft. Ibrahim ist in der Küche und macht sich ein paar Brote zum Mitnehmen. „Du bist spät dran heute; ich dachte, dass wir noch kochen und zusammen essen vor meiner Schicht.“ Der leise Vorwurf in seiner Stimme ist nicht zu überhören.

      „Ich ziehe zu Emily“, sagt Amadou mit fester Stimme, „dann habt ihr ein Problem weniger und ich muss mir nicht ständig anhören, was ich euch koste.“ Mit den Worten dreht er sich um und holt seine Reisetasche vom Schrank. Ibrahim starrt ihn fassungslos an.

      „Jetzt sofort? Amadou! Bitte rede mit mir! Geh nicht einfach so. Wir werden schon einen Weg finden. Und sei es, dass du erst mal in unserer Firma mitarbeitest.“ Amadou schleudert die Tasche auf den Boden und schaut Ibrahim wütend an.

      „Verstehst du denn nicht, dass ich tanzen will? Ich kann mich mit solch einer Arbeit wie ihr sie tut nicht meine Knochen ruinieren.“

      „Schon klar, du wartest auf ein tolles Angebot; hoffentlich wartet dein Kredithai auch bis dahin.“ Wütend und traurig wendet Ibrahim sich ab. „Ich muss jetzt zur Arbeit, aber ich bitte dich, überleg es dir noch einmal.“

      Davon ist Amadou weit entfernt. Er ist in Hochstimmung, geradezu euphorisch. Eins seiner Probleme ist vorerst gelöst. Emily wird ihm so lange helfen, bis er selbst Geld verdient. ‚Dafür liebe ich sie. Sie ist ein guter Mensch.’

      Er schreibt ein paar Zeilen für die Wohngemeinschaft auf, worin er seinen Mitbewohnern Emilys Adresse und Telefonnummer mitteilt und ihnen verspricht, am Wochenende mal vorbeizuschauen. Den Zettel klemmt er gut sichtbar unter den Magneten am Kühlschrank. Den Schlüssel nimmt er mit; denn er muss ja, wenn er geht, hinter sich abschließen.

      Beim Verlassen des Hauses schlägt Amadou ein schneidend kalter Wind entgegen, der den traurigen Rest des Schnees wütend in alle Winkel wirbelt und ihm die Tränen in die Augen treibt. Schon nach zwei Minuten ist die beißende Kälte bis in seine Knochen vorgedrungen. Er trägt die Kleidung, die er bei der Ankunft in Deutschland getragen hat. Die Wintersachen aus der Wohngemeinschaft betrachtet er nur als geliehen und hat sie dort gelassen; in dem Punkt, und nicht nur in dem, ist Amadou korrekt.

      Er kommt nur langsam vorwärts. Tapfer und zähneklappernd stemmt er sich gegen den eisigen Wind, während sich in seinem Kopf Angst und Unsicherheit breit machen. ‚War es ein Fehler, die sichere Enklave mit meinen besten Freunden zu verlassen?’ Bebend vor Kälte versucht er sich Emilys warmen Körper vorzustellen.

       Das Leben zu