K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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draußen - verabschiedet Amadou sich von allen und verspricht ihnen, sie so oft es geht zu besuchen. Ibrahim und Sekou begleiten ihren Freund in den Flur. Während Amadou sich die von Toucou geschenkten Stiefel anzieht, flüstert er Ibrahim zu: „Wann bist du morgen zuhause?“

      „Ich habe Nachtschicht; du kannst ab mittags kommen.“

      „Gut, dann bis morgen.“

      Froh darüber, dass keiner aus der Wohngemeinschaft böse ist wegen seines Auszugs, stapft er zufrieden und gelöst durch den verharschten Schnee. Er trägt eine riesige Plastiktüte voll mit allerlei nützlicher Kleidung in der Hand und freut sich darauf, Emily alles zu zeigen.

       Emilys deutsche Vorstellung von einer Beziehung

      Als er zu Hause ankommt, stellt er fest, dass im ganzen Haus kein Licht brennt. Dunkel, geradezu unheimlich starren ihn die Fenster an. ‚Schläft sie vielleicht schon? Wenn ja, dann schlüpfe ich gleich zu ihr ins Bett, zum Ausklang eines schönen Tages.’ Er schleicht sich leise in die Wohnung. ‚Ich werde sie überraschen’; aber er findet sie weder im Schlafzimmer noch sonst irgendwo. Amadou ist verblüfft. ‚Sie hat doch ausdrücklich gesagt, ich soll nicht so lange bleiben; wie spät ist es denn?’, denkt er und schaut auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr. ‚Oh, Mist, es ist schon fast halb zehn.’ Er macht Licht in der Küche und hebt neugierig den Deckel des großen Kochtopfes an. „Mhm, riecht gut“, murmelt er anerkennend und probiert mit dem danebenliegenden Löffel. ‚Schmeckt auch gut’. Eigentlich ist er ja satt, aber er kann sich nicht beherrschen und taucht den Löffel immer wieder in den längst erkalteten Fleischeintopf.

      Er ist so versunken in seine Tätigkeit, dass er Emily nicht nach Hause kommen hört. Erst als sie im Badezimmer verschwindet und die Tür geräuschvoll hinter sich zuwirft, fährt er erschrocken herum. Irgendwie hat er das Gefühl, dass sie schlechte Laune hat und eigentlich kann Amadou sich auch denken warum; schließlich musste er sich ja schon einmal einen Vortrag über deutsche Pünktlichkeit anhören.

      Er geht zur Badezimmertür und drückt vorsichtig die Klinke herunter, abgeschlossen. „Emily, was los?“ Vielleicht kann er die Situation retten, indem er ganz unschuldig tut und die Schuld für sein langes Ausbleiben auf ein Missverständnis schiebt. Sie kann ihm doch nicht böse sein, wenn er sie falsch verstanden hat. Schließlich kennt er die Feinheiten ihrer Sprache noch nicht. „Emily, Liebling, du okay?“, fragt er scheinheilig mit besorgter Stimme, und horcht mit gesenktem Kopf und aufgestützten Arm an der Tür. Wutverzerrt reißt Emily so plötzlich die Tür auf, dass Amadou ihr entgegen fällt. Mit der Zahnbürste in der Hand und den Mund voller Zahnpasta, versucht sie ihn aufzufangen und gleichzeitig anzuschreien.

      Amadou macht große, entsetzte Kulleraugen, weil sie sich wegen nichts wie eine Furie aufführt. Emily findet seinen theatralischen Gesichtsausdruck zum Schießen und fängt an zu lachen. Amadou lacht zaghaft mit, aber nur, weil Emily beim Schimpfen den Zahnpastaschaum im Umkreis von zwei Metern verteilt hat; ansonsten kann er diesen Stimmungswechsel nicht nachvollziehen.

      Wenig später gurrt sie im Bett: „Ich möchte so gerne, dass du verstehst, warum ich vorhin sauer war.“ Zufrieden nach der körperlichen Wiedervereinigung, fehlt ihr nun noch die seelische zu ihrem Glück. Ihr Kopf ruht auf Amadous muskulöser, haarloser Brust. In Erwartung einer Antwort hebt sie ihr Gesicht, aber er drückt ihren Kopf behutsam wieder auf seine Brust zurück und seufzt tief. Eigentlich hätte er gerne ein paar Minuten die Augen zu gemacht. Emily interpretiert diese Bewegung falsch.

      „Ach, Amadou, du hast aber auch nur Sex im Kopf.“ Sie dreht sich beleidigt von ihm weg; mit Sex kann man ihrer Meinung nach keine Probleme lösen.

      ‚Ich fass es nicht’, regt Amadou sich innerlich auf, ‚hört diese Frau denn niemals auf? Was habe ich denn jetzt wieder verbrochen?’ Er schnalzt verärgert mit der Zunge und erhebt sich, um ins Bad zu gehen. Emily hält ihn am Arm zurück. „Lass uns darüber reden, sonst lösen wir das Problem nie.“ Amadou schüttelt unwillig ihren Arm ab, „welche Problem?“

      „Deine Freunde sind dir wichtiger als ich“, platzt es aus ihr heraus.

       „Nein, das nicht richtig.“

      „Warum vergisst du mich dann, wenn du bei ihnen bist?“

      „Wieso vergessen? Ich doch hier!

      „Ja, aber der Sonntag ist vorbei.“

       „Du keine Zeit sagen, also es egal, wann ich kommen.“

      „Aber ich wollte auch etwas mit dir unternehmen an meinem freien Tag.“

      „Zum Beispiel?“

      „Das ist doch jetzt egal; es ist sowieso zu spät.“ Sie zieht das Laken bis ans Kinn, umfasst ihre angezogenen Knie, und blickt mit verschlossener Miene auf einen imaginären Punkt am Ende des Bettes.

      Amadou versucht wirklich, sie zu verstehen, aber für ihn ergibt ihr Verhalten keinen Sinn. ‚Wir hatten uns doch vertragen, oder warum sonst haben wir miteinander geschlafen? Und dann fängt sie wieder an zu lamentieren.’ Emilys Handlungen erscheinen ihm wirr und unausgeglichen. Sind wohlmöglich alle deutschen Frauen so kompliziert, oder hat nur er das Pech, an eine solche geraten zu sein? Wie auch immer, er mag Emily und lebt mit ihr zusammen. Da muss er sich schon was einfallen lassen, um sie bei Laune zu halten. Vorsichtig, um bei Feindseligkeit schnell den Rückzug antreten zu können, nähert er seine Hand ihrer Wange. Keine Reaktion, weder positiv noch negativ, also streichelt er sie sanft. „Emily, mein Liebling, nicht traurig, bitte. Nächste Mal ich nicht so lange bleiben, oder du kommen mit.“

      Langsam dreht sie ihm das Gesicht zu und lächelt zaghaft. Die so mühsam zurückgehaltenen Tränen fließen nun doch noch. Bestürzt nimmt Amadou sie in die Arme.

      „Ich weiß ja noch nicht einmal, ob du mich liebst“, ist Emilys nächster Angriff auf Amadous Nerven, „jedenfalls hast du es mir nur einmal gesagt und das zählte nicht.“

       „Aber Emily, ich sonst hier?“

      „Ja, warum nicht?“ ist die prompte Gegenfrage.

      „Du wie kleine Kind“, kontert er und fügt grüblerisch hinzu: „Worte kein Garantie für Liebe; ich kann sagen: Ich dich lieben und das Lüge.“

      „Und wie soll ich dann wissen, ob du mich liebst?“, quengelt Emily weiter.

       „Ich bei dir, was du wollen noch?“

      „Ich will eine richtige Beziehung.“

       „Was das ist ‚Beziehung? Das neue Wort.“

      „Das glaub ich gern.“ Mit ironisch verzogenen Mundwinkeln steht sie auf, um in der Küche etwas zu trinken, korrekter gesagt, um Zeit zu schinden; denn eine gute Erklärung des Begriffes erfordert sogar ihre höchste Konzentration.

      „Unter einer richtigen Beziehung stelle ich mir vor, dass wir nicht nur zusammen wohnen, usw., sondern dass wir auch in unserer Freizeit etwas gemeinsam unternehmen.“

       „Aber das wir machen doch! Wir schlafen zusammen, wenn du freie Zeit…“

      „Das nennt man eine sexuelle Beziehung.“

       „Wir zusammen fernsehen, essen, gehen in Park.“

      „Und das nennt man eine Interessengemeinschaft.“

       „Ich verstehen gar nicht mehr! Was du wollen? Sag so, dass ich kann verstehen.“

      „Ich möchte eine richtige romantische Liebesbeziehung haben.“ Jetzt war es heraus und Emily könnte sich auf die Zunge beißen, dass sie so etwas Antiquiertes gesagt hat.

       „Aha, und was das sein?“

      Sie seufzt. „Na ja, zum Beispiel, dass wir nachts die Sterne anschauen oder im Mondschein einen Spaziergang machen. Wichtig finde ich auch, dass wir mehr miteinander