K. Uiberall-James

ZUGVOGEL


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gesagt, überhaupt kein warmes Essen gibt. Ein wenig enttäuscht geht sie von der Küche wieder ins Wohnzimmer und überlegt, wo Amadou sein könnte. Das Licht brennt, der Fernseher läuft und ein Haufen Decken liegt auf der Couch. ‚Das fängt ja gut an, jetzt kann ich auch noch hinter ihm herräumen’, denkt sie und greift nach einer der Decken, um sie zusammenzufalten.

      „Heilige Scheiße, hast du mich erschreckt!“, schreit Emily, als sie ihn unter all den Decken auffindet. Amadou dreht nur müde den Kopf in ihre Richtung und schaut sie aus glasigen Augen an.

      „Ich viel kalt“, flüstert er und zieht sich die Decke wieder über den Kopf. Emily schaut eine Weile ratlos auf den traurigen Haufen Decken herab und schaltet dann auf Katastrophenbegrenzung.

      Hektisch wühlt sie das Heizkissen mit der Verlängerungsschnur aus dem Schlafzimmerschrank und stöpselt es in Amadous Nähe ein. Sie behält es in der Hand, bis es warm wird, und schlägt erst dann die Decken auf, um es Amadou vor den Bauch zu legen. Besorgt betrachtet sie eine Weile seine embryonale Haltung; alle Energie scheint aus seinem Körper gewichen zu sein, er wirkt zerbrechlich und es kommt ihr vor, als hätte er von gestern auf heute abgenommen. Emily fühlt eine Welle von Liebe und Sympathien in sich aufsteigen. Stumm setzt sie sich zu ihm und wickelt fürsorglich die Decken fest um seinen Körper. Dann haucht sie ihm einen Kuss auf die Wange und steht auf.

      „Ich gehe jetzt in die Küche und mache dir einen schönen heißen Tee und dann mache ich uns irgendwas Warmes zu essen, okay?“

      Ein wenig später bringt sie eine große Pfanne mit Tomatenrührei und aufgewärmtem Fladenbrot ins Wohnzimmer und stellt es mit einem Untersatz auf den kleinen Couchtisch. „Tee kommt gleich.“

      Amadou lüpft die Decke ein wenig und schaut auf die Pfanne. „Das riechen gut“, sagt er zu Emily, die gerade wieder mit einem vollen Tablett hereinkommt. Erleichtert stellt sie fest, dass Amadous Lebensgeister wieder zurückkehren. Er hat sich aufgesetzt und versucht, sich eine von den Decken um die Schultern zu legen. Emily hilft ihm dabei.

      Als sie die letzten Krümel vom Teller picken und Amadou schon fast wieder der Alte ist, fragt Emily ihn vorsichtig mit Blick auf sein dünnes T-Shirt: „Wo ist denn dein Pullover? Du kannst doch bei der Kälte nicht im Hemd herumlaufen; und deine Winterjacke habe ich auch nicht an der Garderobe gesehen.“ Amadou erklärt es ihr.

      „Was?“, ruft sie erschrocken aus, „willst du damit sagen, dass …?“

       „Ja, ich tragen mein Jacke aus Afrika.“

      „Du spinnst. Das hätte dein Tod sein können! In den Nachrichten wurde heute gesagt, dass arktische Kaltluft für die nächsten Tage unser Wetter beeinflussen wird. Mach’ nicht den Fehler, dass du diese Eiseskälte unterschätzt.“

      „Was ich muss machen? Ich nicht haben warme Anzug“, antwortet Amadou patzig.

      „Dann musst du eben deine Freunde fragen, ob sie vielleicht ein paar Sachen entbehren können und ich werde mich in meinem Bekanntenkreis umhören. In Deutschland haben die Leute oft viel mehr Kleidung, als sie benötigen.“ Amadou schweigt.

      Die nächsten drei Tage schont Amadou sich und geht vorsichtshalber nicht aus dem Haus. Stattdessen verwöhnt er Emily, wo er nur kann. Er steht zusammen mit ihr auf und bereitet liebevoll das Frühstück zu, während sie duscht; wenn sie das Haus verlässt, macht er sich in der Wohnung nützlich; er gießt ihre zahlreichen, in der ganzen Wohnung verteilten Pflanzen, er wischt den Staub von den Regalen und putzt das Klo; er macht einfach alles. Zwischendurch schaut er aus dem Fenster, und versucht das Wetter einzuschätzen.

      So auch jetzt. ‚Wow’“, denkt er begeistert, ‚das sieht ja fantastisch aus; das ist ja noch schöner als der Puderschnee.’

      Es schneit wieder, aber diesmal schweben die Schneeflocken nicht wie zarte Federn auf die Erde. Die Kälte und der scharfe Wind schleudern spitze Nadeln und Kristalle herab, die wie kleine Pfeile im Schnee stecken bleiben. Wenn ein Sonnenstrahl zwischen den Wolken hervorlugt, glitzern sie wie Diamantenstaub um die Wette und geben Emilys Baum vor dem Fenster und der ganzen Straße ein wahrhaft märchenhaftes Aussehen.

      Plötzlich schleicht sich die Sehnsucht nach Ibrahim und Sekou in seine Gedanken. Es ist das erste Mal seit der ersten Schulklasse, dass er seine Freunde drei Tage nicht gesehen hat. Wie schön wäre es, wenn er sich in seiner Muttersprache mit ihnen über all diese Schönheiten austauschen könnte. Außerdem fehlen ihm die Ratschläge Maliks und überhaupt. Keiner aus der Wohngemeinschaft hat es für nötig gehalten, ihn hier bei Emily einmal anzurufen. ‚Ich wäre beim Umzug fast erfroren und sie hätten es nicht einmal bemerkt.’

      Am frühen Abend kommt Emily endlich schwer beladen mit mehreren Tüten nach Hause. Sie sieht lustig aus, so vermummt, mit roter Nase und Schneekristallen auf den Haarsträhnen, die unter der Mütze hervorlugen. Amadou eilt ihr zu Hilfe, nimmt ihr die Tüten ab und schließt sie in die Arme.

      „Iiii, du nass!“, schreit er, als die Eisklümpchen auf seinen nackten Armen schmelzen. Emily lacht und schiebt ihn sanft von sich weg.

      „Tu doch nicht so, als würdest du gerade aus Afrika kommen“, und beiläufig sagt sie: „Ich habe ein paar Kleidungsstücke von Kollegen für dich geschenkt bekommen. Wenn wir gegessen haben, kannst du ja mal schauen, ob dir was dir davon gefällt und passt.“ Amadou nickt. Er ist nicht so begeistert über die Aussicht, getragene Klamotten von Fremden anzuziehen, aber andererseits will er auch endlich wieder nach draußen gehen können.

      Später, nach dem Abendessen wühlt Amadou eifrig in den gespendeten Sachen. „Hey, die nicht schlecht. Das alle schenken deine Kollegen?“ Er probiert einige Pullover und eine dicke Jacke mit Kapuze an. „Das passen“, sagt er zufrieden. Emily ist sichtlich erleichtert.

      „Jetzt fehlen dir nur noch warme Schuhe“, und nachdenklich fügt sie hinzu: „Vielleicht kannst du am Wochenende doch mal in der Wohngemeinschaft …“

       „Nein, ich nicht Bettler.“

      „Das ist doch kein Betteln, sondern nur eine Frage unter Freunden“.

      „Mal sehen, vielleicht.“

      Danach gehen sie ins Bett. Amadou, erfüllt von Dankbarkeit über das, was Emily in so kurzer Zeit bereits für ihn getan hat, fällt leidenschaftlich über sie her. Er ist rundherum zufrieden mit dieser Frau. Sie macht ihn glücklich.

      Am folgenden Sonntag macht er sich auf den Weg zu seinen Freunden. „Aber bleib nicht so lange“, ruft Emily ihm in der Tür nach.

      Der kalte Nordwind nervt ihn zwar unverändert, kann ihm aber dank seines geschenkten Winteroutfits nichts mehr viel anhaben. ‚Seltsam’, sinniert Amadou als er am Park vorübergeht, ‚irgendwie sieht durch die andauernde Kälte alles wie erstarrt aus. Das muss toll sein, wenn es wärmer wird und wieder Leben in die Umwelt kommt.’

      Seine schlechten Erfahrungen mit Eis und Schnee lassen ihn genau darauf achten, wo er hintritt; denn an manchen Stellen ist das Pflaster glatt und an anderen wieder nicht; in windgeschützten Bereichen ist der Schnee verharscht und knirscht geräuschvoll unter seinen leichten Freizeitschuhen.

      Als er wohlbehalten die Wohnungstür seiner Freunde mit seinem Schlüssel öffnet, begrüßt ihn ein freudiges Willkommensgeschrei. Amadou fühlt ein immenses Glücksgefühl in seiner Kehle hochsteigen. Schnell entledigt er sich seiner dicken Jacke und geht ins Wohnzimmer hinüber, wo alle Bewohner beim sonntäglichen Frühstück zusammensitzen. Sie springen auf und greifen übermütig nach seinen Armen, um ihn auf die Couch zu ziehen.

      „Du legst ja ein rasantes Tempo vor“, äußert Toucou ein ganz klein wenig neidisch, tätschelt dabei aber freundschaftlich seinen Arm. „Wann ist denn die Hochzeit?“

      „Machst du Witze?“, antwortet Amadou und schaut ihn mit gespielter Entrüstung an, „ich wohne nur bei ihr, bis ich einen Job habe und mein eigenes Geld verdiene.“

      „Aber bis dahin bumst du sie, oder?“ Allgemeines Gelächter. Amadou fällt auf, dass Ibrahim und Sekou nicht lachen.

      Später