Thorsten Dürholt

Sommer auf dem Sonnenbergerhof


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wollen.

      Teddy, der ruhige Außenseiter, und Gulasch hatten Freundschaft auf den ersten Blick geschlossen und so gelang es ihm, den unruhigen Hengst wieder zu einem stolzen Reittier zu formen. Doch immer noch akzeptierte dieser selten einen anderen Reiter als Teddy.

      Sunny schmuste kurz mit Sauerbraten, seinem eigenen Pferd, einer zarten und ruhigen Araberstute mit fast schwarzem, seidigen Fell und einem einzigen weißen Fleck auf der Stirn in Form eines Sternes, der ihr eindeutig nicht ihren Namen gegeben hatte. Es gab fast nichts, das Sunny lieber mochte als Sauerbraten.

      Lachend und fröhlich sattelten die beiden Jungen ihre Pferde und schwangen sich dann in den Sattel, um im gemächlichen Schritttempo den Sonnenbergerhof in Richtung der südlichen Weide zu verlassen.

      Die Sonne strahlte über dem grünen Tal und kein Wölkchen war am azurblauen Himmel zu sehen. Kaum hatten sie die Koppel an der südlichen Weide verlassen, reichte ein Blick, schon schossen die beiden auf ihren Pferden los. Wie der Wind stoben die beiden Pferde über den sommerlichen Heidegrund und galoppierten der Sonne entgegen.

      Auf einer Parkbank saß ein Wanderer und trank gemütlich aus einer Wasserflasche, während er Bauer Hengstbeck beobachtete, der gerade seinen Traktor reparierte. Plötzlich sah er die beiden galoppierenden Reiter, die über die Heide preschten. „Nanu?“, fragte er laut: „Wer mag das wohl sein?“ „Ach“, antwortete Bauer Hengstbeck nach kurzem Aufblicken. „Das sind nur Sunny und Teddy, auf Gulasch und Sauerbraten. Die reiten hier herum und stellen sich dumm, weil sie Teenager sind“.

      Der fremde Wanderer blickte auf. „Interessant“, murmelte er: „Darüber muss ich mehr herausfinden.“ „Na, dann versuchen Sie es doch mal auf dem Sonnenbergerhof, die haben da sogar eine Ferienpension“, sprach ihn der Bauer an. „Zufällig habe ich hier einen Flyer mit einem Rabattcoupon.“ Der fremde Wanderer blickte ihn interessiert an.

      „Wenn Sie wollen, kann ich Sie gleich mitnehmen, wenn der alte Kübel wieder fährt.“ Der Fremde lehnte dankend ab, denn er verstand genug von Reparaturen, um sich dieser Warterei nicht auszusetzen und so wanderte er nur wenige Zeit später in Richtung des Sonnenbergerhofes.

      Nachdenklich schaute Sunny auf das ruhig vor sich hin fließende Wasser des Flusses. Er saß, wie so oft, gedankenverloren auf seinem Lieblingsplatz, einer Astgabelung in den Zweigen einer mächtigen Trauerweide, deren lange Äste sanft die Oberfläche des sommerlich glitzernden Flusses streichelten.

      Er sah das sanfte Wiegen der Blätter in den leichten Windzügen, die eine frische Brise über das sonnendurchflutete Tal trugen und lauschte dem Klang der Wellen und dem Gesang der Vögel, die sich in den Ästen des lichten Baumhaines angesiedelt hatten.

       Sunny wusste, dass es der letzte Tag dieses Sommers war, den er ungestört auf diese Weise genießen konnte, denn es war der zweite Tag nach dem Beginn der Sommerferien.

      Er blickte hinunter zu Teddy. Seit nunmehr vier Jahren war Teddy ein Stammgast der Sommerpension, die seine Mutter in einem der alten Fachwerkbauernhäuser betrieb, die zum Sonnenbergerhof gehörten. Der alte Gutshof, samt dem ehrwürdigen Gestüt und der bekannten Schafzucht, war schon seit dreizehn Generationen im Familienbesitz und seit dem Tod seines Großvaters wachte Oma Irmelbert mit Argusaugen über Haus und Hof. Zur Beruhigung aller war sie nicht nur extrem kurzsichtig, sondern auf eine sehr weise Art ein wenig dement. Sein Vater machte sich viel Mühe mit dem Erhalt des Besitzes und seine Mutter führte die Ferienpension, um ein wenig Geld zu den Einnahmen des Biohofes beizutragen.

      Als sich Sunny und Teddy zum ersten Mal als zwölfjährige Knaben gegenüber gestanden hatten, waren sie weit davon entfernt gewesen, so etwas wie Freunde zu sein. Teddy war sozusagen ihr erster Feriengast gewesen, denn erst im Jahr danach hatte seine Mutter die Pension Sonnenberger eröffnet.

      Damals war Sunny gar nicht damit einverstanden gewesen, seine Ferien mit einem fremden Jungen zu verbringen. Doch schon bald hatten sie nicht nur ein Zimmer geteilt, sondern auch eine tiefe Freundschaft, denn viele Ferienabenteuer hatten sie zusammengeschweißt wie die Stahlträger eines britischen Kriegsschiffes.

      Teddy war ihm näher als jeder Mitschüler oder andere Gleichaltrige aus der Umgebung.

      Es war nicht so, als ob Sunny ein Außenseiter wäre, im Gegenteil, denn viele seiner Freunde beneideten ihn um die Nähe zu den hübschen Mädchen, die gerne in den Sommerferien einige Tage in der Pension unterkamen, um das Reiten zu lernen oder sich auf Reitprüfungen vorzubereiten. Da Sunny bereits schwer verliebt war, interessierten ihn diese Mädchen aber nicht wirklich. So blieb es jedes Jahr bei harmlosen Urlaubsflirts und meist blieb der versprochene Email-Kontakt schon nach wenigen Wochen aus. Zumindest blieben genügend empfangene Selfie-Bilder hängen, mit denen er seine Schulkameraden beeindrucken konnte.

      Natürlich promotete die Neugier seiner Klassenkameraden auch seine Aktivitäten auf Facebook, was seiner Band zugutekam, aber so richtig zufrieden war Sunny mit seinen Ferienliebschaften nicht.

      Er wusste ehrlich gesagt auch nicht, was die Mädchen aus der Stadt an einem Langweiler wie ihm so aufregend fanden. Wenn er nicht gerade in der Natur war, schrieb er Songs für seine Band oder Gedichte für sich selbst. Er hatte keine aufregenden Hobbys und allein der Umstand, dass er ein guter Schüler war und gerade in den Naturwissenschaften brillierte, machte ihn eigentlich zu einem ziemlichen „Nerd“.

      Es war schon komisch: - Während sich die Mädchen aus der Stadt zumeist in seiner Nähe aufhielten, war es den Mädchen der Gegend scheinbar ein tieferes Bedürfnis, das Weite zu suchen, wenn er in ihre Nähe kam. Ebenso wusste er auch nicht, warum die Gespräche der Mädchen, die er bereits seit Kindergartentagen kannte, immer dann verstummten, wenn er in Hörweite kam.

      Auch die Freundschaft mit Teddy blieb im Dorf nicht unbemerkt und jedes Mal, wenn sie scherzend oder aneinander gelehnt durch die kleine Stadt bummelten, bekamen die meisten Mädchen diesen seltsamen Blick. Da die Freudentaler Mädchen auch zumeist langhaarig waren und gerne kichernder Weise oder händchenhaltend mit ihrer besten Freundin durch die Freudentaler Innenstadt schlenderten, wunderte sich Sunny, dass es eine so komische Reaktion darauf gab, wenn er mit Teddy dasselbe machte. Es war schon seltsam.

      Doch für diesen Sommer hatte er sich ja etwas vorgenommen. Sunny glitt elegant von der Astgabelung und landete grazil wie eine Katze zwischen den Wurzeln der Trauerweide.

      T eddy hatte die Decke ausgebreitet und bereits mit den Dingen aus dem Picknickkorb eine leckere Brotzeit angerichtet. Wieder einmal bewunderte Sunny, mit wie viel Perfektion und Anmut Teddy das ganze Ensemble für sie angeordnet hatte.

      Gerade kniete er mit halb geschlossenen Augen an der einen Seite der Decke und war dabei, einen Tee zuzubereiten. Für Teddy war die Teezubereitung ein Ritual, das er hochkonzentriert durchführte und Sunny genoss die ästhetische Vorführung japanischer Teezeremonien.

      Leise hockte er sich an das andere Ende der Decke und betrachtete das elegante Fingerspiel. Wie aus einem natürlichem Fluss heraus öffnete Teddy seine Augen und blickten in die seinen, während er ihm eine Schale mit Tee reichte. Sunny lächelte ihn sanft an.

      Einen kurzen Augenblick genossen sie ruhig einen perfekten Moment des inneren Friedens.

      Als sie sich langsam den zahlreichen Leckereien zuwandten, die Sunny eingepackt hatte, richtete er das Wort an Teddy.

      „Nun, wie stellen wir es an?“ „Also“, Teddy musterte ihn mit dieser verführerischen, leicht zynischen Haltung. „Eigentlich geht es ja größtenteils um dich“ „ Aber du bist doch auch ein wichtiger Teil. Ich meine, wenn es klappt und ich mit der Sache rausrücke, dann betrifft es doch auf jeden Fall unser beider Ferien.“ „Da habe ich keine Angst, ich stehe zu dir und werde dich unterstützen“ „Aber wenn dann jeder von meiner heimlichen Liebe weiß. Das ist doch peinlich!“ „Was ist denn an deinen Gefühlen peinlich?“ „Auf jeden Fall würde hier in der ganzen Freudentaler Gemeinde keiner so etwas wagen.“ Röte stieg in Sunnys Wangen auf: „Weißt Du, die Leute haben hier so ihre Vorstellungen und...“, zart unterbrach ihn Teddy, indem er seinen Finger sanft auf Sunnys Lippen legte.

      Tief