Thorsten Dürholt

Sommer auf dem Sonnenbergerhof


Скачать книгу

ihn glücklich an, gab ihm einen neckischen, halb geküssten Biss in den Finger und nahm sich eine Erdbeere aus der Tupperschale. Während er sie fast zärtlich zwischen seine samtenen Lippen schob, bat ihn Teddy: „So, jetzt erzähl mir nochmal, was die Leute hier in der Gegend für ein Problem mit deiner Angebeteten haben.“

      „Ist hier der Sonnenbergerhof?“ Emilia Sonnenberger wandte sich zu dem fremden Wanderer um, der an dem hölzernen Zaun stand.

      Gerade hatte sie ihre Schwägerin verabschiedet, die mit ihrem schwarzen Mercedes SUV losgebrettert war, als ihr der fremde Herr mittleren Alters aufgefallen war.

       „Ja“, sagte sie zögerlich und strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Nun, ich habe hier so einen Coupon und einige Fragen“, sagte der Wanderer leise, aber bestimmt, als wäre es ein in Stein gemeißeltes Gesetz. „Der Haupteingang ist eigentlich auf der anderen Seite, aber kommen Sie ruhig mit durch.“ „Das ist ausgezeichnet, ich war schon lange unterwegs.“ „Dann bringe ich Sie wohl gleich in unseren Biergarten und wir machen die Anmeldung dort bei einem kühlem Getränk“, schlug Emilia Sonnenberger vor. Zufrieden in sich hinein lächelnd folgte der Wanderer der hübschen Wirtin.

      Die letzten roten Strahlen der untergehenden Sonne fielen über die Rückenkracher Hügel auf das beschauliche Tal, als Sunny und Teddy von ihrem Ausflug zurückkehrten. Sauerbraten wieherte fröhlich, als sie mit ihren feinen Nüstern den nahen Sonnenbergerhof erkannte und fiel in einen munteren Trab, dem sich Gulasch sofort anschloss.

      Teddy hatte den Kopf in den Nacken gelehnt, während er seinem stolzen Gulasch freien Lauf gab. Er blickte in den Himmel voller Rot- und Blautöne und hing seinen Gedanken nach. Auch Sunny hatte bei Sauerbraten die Zügel locker gelassen und freute sich auf das Abendessen auf dem heimatlichen Gestüt.

      Seit seinem nachmittäglichen Gespräch mit Teddy war es so, als wären alle seine Sorgen wie fortgeblasen. Fröhlich pfiff er eine Melodie und genoss die laue Abendluft.

      Teddy hatte sich noch nicht zu seiner langen Erklärung geäußert, aber Sunny sah, wie die Gedanken in ihm arbeiteten. Er liebte es, wie Teddy jede Situation von allen Seiten zu betrachten wusste und war sich sicher, dass er bald wieder der Zeuge eines grandiosen Planes werden würde. Mit ihm auf seiner Seite würde sich alles zum Besten wenden.

      Die Hufe klackerten rhythmisch auf dem Backsteinboden des Gutshofes, als sich die beiden dem Stall näherten. Beide führten ihre vierbeinigen Freunde an den Zügeln über den Hof.

      Im gemütlichen Stall der Sonnenbergers war tatsächlich noch Licht und Sunny fragte sich, wer aus der Familie um diese Uhrzeit noch fleißig wäre. Als die vier Freunde den Stall betraten, begrüßte Salami, der niedliche Esel und heimliche Herr des Stalles, die beiden mit liebevollem Gebrüll. Doch irgendetwas stimmte nicht, denn in seiner Stimme lag eine seltsame Unruhe.

      Sunny schwante Übles und tatsächlich sah er seine Mutter und Herrn Doktor Spargelzupf, den örtlichen Veterinär, in der Stallung. Wie in Trance reichte er Teddy Sauerbratens Zügel herüber und ging eiligen Schrittes zu den beiden.

      Seine Mutter sah ihn und kam ihm zwei Schritte entgegen. „Es ist Frikadelle, irgendetwas stimmt nicht mit ihrem Fohlen.“ Sunny blickte in die Box der braunen Stute und sah, dass diese auf dem Boden im Stroh lag.

      Doktor Spargelzupf klapperte in seiner Arzttasche. „Was ist los?“, fragte Sunny voller Sorge. „Das Fohlen kommt zu früh und es hat sich nicht richtig gedreht“, antwortete Doktor Spargelzupf ein wenig abwesend, während er eine Spritze aufzog.

      Sunny sah sich zu Teddy um: „Du musst etwas tun!“ Seine blauen Augen blickten tief und verzweifelt zu Teddy und eine kleine Träne schlich sich aus einem Auge. Teddy, der die beiden Pferde angebunden hatte, kam herüber und strich sanft die Träne von Sunnys Wange. „Lass mal schauen“, sagte er mit ruhiger Stimme und betrat den Stall.

      Doktor Spargelzupf hatte sich gerade den linken Oberarm mit einem Gummischlauch abgebunden und unterbrach irritiert seine Suche nach einer funktionstüchtigen Vene: „Junge, was willst du machen?“, fragte er mit zittriger Stimme. Teddy kniete sich wortlos neben die zitternde und verängstigte Stute und fing an, sie sanft zu streicheln. Mit ruhigen und liebevollen Worten versuchte er die werdende Mutter zu beruhigen. Er würde es nicht zulassen, dass heute Mutter oder Kind starben.

      "Was will er machen?", fragte Doktor Spargelzupf, der gerade seine Beruhigungsspritze wieder aus seinem Oberarm zog und die kleine Wunde abdrückte. Das Morphium machte seine Stimme sofort deutlich ruhiger. „Keine Angst“, antwortete Emilia Sonnenberger, „Michael ist ausgebildeter Reiki-Meister.“

      Teddy blickte zu Sunny und rief. „Ich brauche deine Hilfe. Hol Tücher und warmes Wasser. Und einen Eimer, falls sich der Doktor wieder übergibt.“ „ Kann ich auch etwas tun?“, fragte Emilia Sonnenberger. „Ja, hol mir bitte einen Tee und einen Kaffee für den Doktor.“ Doktor Spargelzupf glitt mit entspannter Miene auf einen Strohballen und schaute verdutzt auf den alten Eimer, den Sunny vor ihn stellte.

      „Das Wasser kocht gleich und hier sind Tücher!“, rief Sunny Teddy zu und blickte dann seine Mutter an. „Warum hast du nicht Doktor Hasenknatterer geholt?“ „Er ging nicht ans Telefon und da fiel mir nur der alte Spargelzupf ein.“ „Du weißt doch, dass er seit dem Vorfall nur noch im Schlachthof arbeitet.“ „Gelernt ist gelernt“, sprach seine Mutter und lief Richtung Küche.

      Sunny bemerkte ein paar der Teenagermädchen, die die ersten Feriengäste auf dem Sonnenbergerhof waren. Neugierig drängten sie sich in den Stall. Zumindest hatte eines der Mädchen die Schüssel mit dem heißen Wasser dabei.

      „Gib mir die Arzttasche“, meinte Teddy, der immer noch tastend über den aufgeblähten Bauch der tragenden Stute strich. Sunny nahm die Arzttasche und ging beherzt in die Box. Er setzte sie neben Teddy ab und holte noch das Wasser, bevor er sich neben Teddy kniete, um ihm zu assistieren.

      Teddy holte die Wodkaflasche aus der Arzttasche und kippte großzügig von dem polnischen Billigfusel über seine Hände. Stumm reichte er sie Sunny, der sich gerade Einmalhandschuhe überzog.

      Still sagte er ein inneres Mantra auf und drückte geschickt einige Reflexpunkte mit einer geheimen Akkupressur-Technik, die ihm sein Sensei beigebracht hatte. Deutlich entspannte sich Frikadelle in seinen geübten Fingern und ein Teil der Panik verschwand aus ihren Augen.

      „Ich muss das Fohlen drehen“, sagte Teddy. „Nein“, antwortete Sunny. „Du musst sie weiter beruhigen, lass mich das machen.“ „Bist du dir sicher?“, fragte Teddy. „Natürlich, ich habe mein diesjähriges Schülerpraktikum bei Doktor Nasetrief, dem Gynäkologen gemacht, da konnte ich Erfahrungen sammeln.“

      Beherzt griff Sunny zu und versenkte seine Arme tief in dem Unterleib der Stute. Teddy beruhigte weiterhin die aufgelöste Frikadelle und nahm ihr mit sanftem Druck die Schmerzen.

      Als Emilia Sonnenberger mit den Heißgetränken in den Stall kam, nahm das neugeborene Fohlen gerade seinen ersten Atemzug. „Und“, fragte Teddy Sunny, der sich die Hände wusch, „Wie wollen wir es nennen?“ „Hmmm, ich wäre mal für etwas exotisches, wie wäre es mit Lasagne?“

      Er strahlte glücklich, als er sah, wie die mittlerweile wieder aufgerichtete Frikadelle zärtlich über die neugeborene Lasagne leckte. „Gut“, Teddy nahm noch einen tiefen Atemzug. „Lass uns vor dem Essen noch duschen!“

      Die Reitermädchen machten den beiden Jungen unaufgefordert Platz, als diese zu ihren Pferden gingen und anfingen, die beiden zu pflegen. Mehr als eines der Mädchen nahm sein Smartphone wieder hervor, um die beiden Freunde auch dabei zu filmen.

      Nach einer ausgiebigen heißen Dusche und einem guten Abendessen, lagen die beiden Freunde nebeneinander in Sunnys großem Bett und schauten aus dem geöffneten Dachfenster in den Sternenhimmel. „Weißt du, mir ist gerade etwas klar geworden, ich meine zu deinem Problem...“, setzte Teddy an, doch Sunny legte ihm einen Finger auf die weichen Lippen. „Das hat Zeit, lass uns den Abend genießen.“