Thorsten Dürholt

Sommer auf dem Sonnenbergerhof


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froh, dass Sunny daran gedacht hatte, genug Getränke mitzunehmen, denn er hatte wieder einmal vergessen, wie erbarmungslos die Sonne in das beschauliche Tal brennen konnte.

      Sunny trug wie immer seinen Cowboyhut, der ihn vor den unbarmherzigen Sonnenstrahlen schützte, und Teddy hatte sich sein Halstuch zu einem Bandana gebunden, welches seine lange Mähne aus dunklen Haaren aus seinem Gesicht hielt.

       Seit fast einer halben Stunde waren sie still nebeneinander her geritten und hatten ihren Gedanken freien Lauf gelassen, während sie dem staubigen Reitweg zur alten Mühle folgten.

      Immer wieder glitt Sunnys Blick über den weiten Horizont der endlos anmutenden Heidelandschaft. Teddy hingegen ließ seinen Blick über den Reitweg streichen, um einige der dortigen Spuren zu lesen. Er wusste gerne, was vor ihm lag, denn schließlich waren Sunny und er nicht die einzigen Reiter, die diesen alten Pfad kannten.

      Die Sonne blinkte in den silbernen Gürtelschnallen der beiden Freunde und ein leichter Wind strich durch ihr Gesicht. „Siehst du? Da vorne sind sie!“ Sunny zeigte mit dem ausgestreckten Arm über die endlose Weite der Heide und dann sah Teddy sie auch.

      Immer wieder war er beeindruckt von der Größe der Sonnenberger Schafherde. Gleich einem ausgekippten Paket Abschminkwatte auf dem Badezimmerboden ergossen sich die wolligen Wolken auf vier Beinen über ein erkleckliches Stück der grünen Landschaft. Teddy sah, wie der Anblick der Herde seiner Familie den Stolz in Sunnys Augen aufblitzen ließ. Allein dieses Leuchten in den tiefblauen Augen, deren Farbe Teddy an die azurblauen Lagunen einer mediterranen Küste erinnerte, war den langen und staubigen Ausritt mehr als wert.

      Mit einem Lächeln lenkte Sunny seine vierbeinige Freundin wieder auf den Weg und trieb sie mit einem leichten Schenkeldruck an.

      Die beiden jungen Reiter verfielen in einen gemütlichen Trab in Richtung der alten Mühle. Teddy war gespannt, was sie dort erwarten würde. Seit dem letzten Sommer war er nicht mehr an diesem geheimnisumwitterten Ort gewesen und er hoffte, dass niemand ihr geheimes Versteck gefunden hatte.

      Seit vier Jahren kamen die beiden regelmäßig am Anfang und am Ende der Sommerzeit zu diesem Ort, um ihr gemeinsames Ritual durchzuführen. Teddy erinnerte sich noch lebhaft an das erste Mal.

      Er war damals noch recht aufgeregt gewesen, denn er hatte diesen besonderen Moment noch nie mit jemand anderem geteilt. Sunny, der in diesen Dingen erfahrener war, hatte ihn beruhigt.

      Er erinnerte sich genau daran, wie Sunny ihm sanft versichert hatte, dass diese gemeinsame Erfahrung zwar beim ersten Mal ein wenig schmerzen könne, doch man sich daran gewöhnen würde. Der erwartete Schmerz war allerdings von der Aufregung verschluckt worden und als die beiden zwölfjährigen Knaben zurück geritten waren, so erinnerte sich Teddy, hatte er sich zum ersten Mal wie ein Mann gefühlt.

      Dieses persönliche Ritual hatte nach ihrem ersten gemeinsamen Sommer das Band ihrer tiefen Freundschaft für immer fest verflochten. Auch die vielen Male danach waren immer noch mit einem süßen Schmerz verbunden gewesen, dennoch gab sich Teddy immer wieder vertrauensvoll in Sunnys Arme und wurde nie enttäuscht.

      Er musste ein wenig lächeln, als er sich erinnerte, wie sie am Sommeranfang des letzten Jahres fast von Sunnys Cousin Adolpho und seiner BMX-Bande erwischt worden wären. Es war ihnen gerade noch gelungen, alle verdächtigen Spuren zu beseitigen. Die damalige Spannung kribbelte immer noch in seinem Bauch, wenn er daran dachte.

      Als sich die beiden Freunde der alten Ruine näherten, hörten sie schon von Weitem das Gluckern des Mühlbaches.

      Obwohl die Mühle vor knapp 50 Jahren bei einem Feuer zerstört worden war, war der Mühlbach immer noch der muntere Bachlauf, der schon seit Ewigkeiten durch das Tal floss. Es war eigentlich ein Seitenarm des gemächlichen Flusses, der das Tal in zwei Teile zerschnitt.

      Behutsam näherten sich die beiden dem halb eingefallenen Steinhaus, immer auf der Hut vor eventuellen Beobachtern. Sie banden ihre Pferde an dem alten Baumstamm fest, der zwischen den großen Steinen am Bach unverrückbar eingekeilt war. Weder Wind noch Wetter hatten dem mächtigen Stamm zusetzen können, nun war er überzogen von Moosen und bot allerlei Getier Frieden und Schatten.

      Die beiden Pferde schnaubten leicht und erkundeten mit ihren weichen Nüstern neugierig das Gras zu beiden Seiten des Stammes. Sunny, der eindeutig geschicktere Kundschafter, schlich leise zu den überwucherten Mauern der Ruine. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, pfiff er ihr gemeinsames Geheimsignal.

      Teddy schnappte sich die Decke und eine Flasche Wasser aus Sunnys Satteltaschen und überprüfte kurz, ob er ansonsten alle notwendigen Utensilien in der Tasche aus olivgrünem Drillichstoff dabei hatte. Dann schlenderte er elegant hinter Sunny her, um seine Aufregung zu verbergen.

      Sunny machte es spannend. Sie hatten die weiche Decke mit dem Einhornmotiv ausgebreitet und saßen gemeinsam darauf. Aufgrund der Hitze hatten beide ihr T-Shirt ausgezogen und ihre Oberkörper glänzten schweißnass im Sonnenschein. Obwohl Teddy schon alles Notwendige auf der Decke angeordnete hatte, ließ Sunny ihr gemeinsames Ritual langsam angehen. Er wollte nicht durch Hektik diesen wunderbaren Moment ihrer Freundschaft ruinieren.

      Als er die feurige Aufregung in Teddys Augen brennen sah, wusste er, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war. Sanft ergriff er Teddys Hand. „Wollen wir?“, flüsterte er sanft und blickte tief in seine Augen. Teddy brauchte nicht zu antworten, denn die Antwort war in sein Gesicht geschrieben. Sunny griff zu der Utensilientasche, die Teddy mitgebracht hatte und holte das wichtigste Werkzeug heraus. Teddy beobachtete mit halb geschlossenen Augen wie Sunny mit geübten Griffen den Klappspaten aufklappte.

      Entschlossen gingen sie zu der altbekannten Stelle und während Teddy den großen Stein zur Seite hob, fing Sunny an, darunter zu graben. Es dauerte nicht lange, bis sie die alte metallene Geldkassette gefunden hatten. Feierlich trug Teddy ihren Schatz zurück zu ihrer Decke.

      Als beide wieder saßen, holte Sunny den Schlüssel aus der geheimen Tasche im Innenfutter seines Cowboyhutes. Bedächtig schloss er die Kassette auf und hob den Deckel an. Darin befand sich ein kleines Sammelsurium aus Gegenständen und Schriftstücken.

      „Gut“, meinte Sunny. „Wir machen es wie jedes Jahr - etwas Selbstgeschriebenes, sowie eine gute und eine schlechte Nachricht und danach nach alter überlieferter Tradition, etwas Blaues, etwas Altes, etwas Neues und etwas Geliehenes!“ „ Bist du dir wirklich sicher, dass es der klassische Blutsbrüderbund ist?“, fragte Teddy wie jedes Jahr. „Natürlich, wer von uns beiden hat die meisten Abenteuerromane gelesen?!“, antwortete Sunny voller Zuversicht.

      Wiedermal blickte Teddy lange auf sein altes Seidentuch, das, befleckt mit ihrer beider Blut, das erste ihrer Devotionalien in der Schatzkiste war. Er war sich nicht sicher, ob Sunny sich dieses Ritual nicht nur ausgedacht hatte, aber er zuckte mit den Schultern. Tief in seinem Herzen fühlte es sich richtig an, daher packte er umsichtig seine sieben Opfergaben aus der Tasche.

       Mehr als eine Stunde saßen die beiden Blutsbrüder auf der rosafarbenen Einhorndecke, verglichen ihre Opfergaben, erinnerten sich an die alten Geschichten und lachten gemeinsam.

      Erst als die ersten roten Sonnenstrahlen über das Heideland zogen, verschlossen sie ihre Schatzkiste erneut und vergruben sie an der geheimen Stelle. Behutsam und sorgfältig hob Teddy erneut den Wächterstein auf den geheimen Platz, der die Seele ihrer Freundschaft bewachte. Sunny lächelte ihn an und plötzlich umarmte Teddy ihn aus einem Impuls heraus. Eine kurze Ewigkeit lagen sich die beiden langhaarigen Jungen wortlos in den Armen und genossen gegenseitig ihre Wärme und die sanfte Nähe, dann packten sie ihre Sachen, zogen ihre T-Shirts wieder über und schlenderten zufrieden zu den Pferden.

      Als sie gemütlich in der Abendsonne wieder auf den staubigen Reitweg abbogen, wand sich Teddy noch einmal um und flüsterte „Bis in sechs Wochen, alter Freund“ in den kühlen Wind, dann drehte er sich nach vorne und gab seinem Hengst mit bestimmtem Schenkeldruck zu verstehen, dass er sich nicht von Sunny und Sauerbraten abhängen lassen wollte, die schon fröhlich vor ihm den Weg entlang galoppierten.

      Seine Haare flatterten trotz des Bandanas im Wind und Teddy spürte