Thorsten Dürholt

Sommer auf dem Sonnenbergerhof


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aller Welten über die abendliche Heide galoppierten.

      Das Gebüsch raschelte nicht nur durch den Abendwind, als sich der alte Wanderer erhob. Er sammelte den beeindruckenden Haufen von Zigarettenstummeln auf, die sich in den letzten Stunden hier angesammelt hatten, während er mit seinem Fernglas die beiden Jungen beobachtet hatte. Kurz überlegte er, ob er den ominösen Inhalt der geheimnisvollen Kassette überprüfen wollte.

      Er blickte auf sein Tablet und entschied, dass es genug für heute war. In der Pension wartete ein leckeres Abendessen auf ihn und er hatte heute mehr erfahren, als er gehofft hatte. Mit bedächtigen Schritten wand er sich dem Rückweg zu und der Abendwind ließ sein langes graues Haar ein wenig spielerisch in sein Gesicht flattern.

      Er strich sich durch den Bart und grübelte, voller Vorfreude auf das, was in der Zukunft lag.

      Verschwörung im Hexenholz

      Verschwörung im Hexenholz

      Leise schlich sich Alise durch das dichte Unterholz des Bärenbrunner Forstes.

      Dank umfangreicher Schutzmaßnahmen hatte sich dieses wunderschöne Stück ihres heimatlichen Tals zu einer Art natürlichem Urwald entwickelt. Moose und Farne bedeckten, neben den allgegenwärtigen Brennnesseln, den ansonsten steinigen Untergrund des Mischwaldes, der mehrere Hektar des westlichen Hanges der hohen Rückenkracher-Hügel bedeckte. Nur wenige Wanderpfade führten durch das geschützte Revier, das nominell der Familie Bärenspalt gehörte, die noch immer auf der ehrwürdigen Burg Bärenspalt hoch oben auf einem der Hügel residierte.

      Die wohlhabende adelige Familie hatte den ehemaligen gräflichen Forst zu einem Reservat umgewidmet, um den Naturbestand des wunderschönen Tales zu erhalten. In einigen seiner Ausläufer erstreckten sich dieser Forst und das entsprechende Naturschutzgebiet sogar bis tief ins Tal zu den Ufern des großen Flusses, an dessen Westseite die unendliche Weite der Heide begann.

      Oft kam Alise in den fast unwirklichen Zauberwald, um nach seltenen Kräutern oder Pilzen Ausschau zu halten, deren Ernte in begrenztem Rahmen der einheimischen Bevölkerung erlaubt worden war, zumindest aus Gewohnheitsrecht. Manchmal beobachtete sie auch Tiere oder genoss einfach nur so den Aufenthalt unter dem grünen Blätterdach, durch das die Sonne nur in Form ätherischer Strahlen drang.

      Viele der Bewohner des Tales fanden große Teile des Waldes, gerade abseits der Wanderwege, schlicht gesagt, etwas unheimlich. Ein ganzes Stück des beeindruckenden Grüns trug den einfallsreichen Namen „Hexenholz“ und noch immer erzählten die einheimischen Eltern ihren Kindern gruselige Geschichten aus der Zeit, als in diesem wunderschönen Tal die Feuer der Hexenprozesse gebrannt hatten.

      Viele alte Familiennamen stammten noch aus jener dunklen Zeit des Mittelalters, als Angst, Schrecken und der schwarze Tod als grausame Reiter durch das Land gezogen waren, um das Ende aller Dinge zu bringen. Auch heute war die katholische Gemeinde der Gegend immer noch auf der Hut.

      Selbst die diversen Gerüchte über eine Verwandtschaft der Familie Bärenspalt zu der ungarischen Familie der Bathorys, deren Linie unter anderem die berühmte Blutgräfin entsprang, hielten noch immer so manch einen abergläubischen Bauern von seinem Nachtschlaf ab.

      Dass Graf Thomas Robert Wagenmacher der Dritte, Graf von Bärenspalt, der Fünfte seines Namens und Herr über Burg Bärenspalt, sowie deren Ländereien, ein gesteigertes Interesse an dem Schutz der hiesigen Fledermauspopulation hatte, ließ diese Gerüchte auch nicht wirklich verstummen.

      Es war erstaunlich, welche Aberglauben sich angesichts der wahren Probleme der ländlichen Gegend hartnäckig hielten, dachte Alise, während sie weiter leise wie eine Schlange durch das Unterholz schlich.

       Nur durch Zufall hatte sie von dem geheimen Treffen erfahren und hatte die Absicht, die dunkle Verschwörung dieses Kreises einheimischer Hexen zu durchkreuzen. Doch dafür musste sie Informationen sammeln.

      Sie wusste, dass der dunkle Zirkel etwas Bedeutendes plante. Doch noch viel mehr störte sie, dass sich dieser verzogene Haufen, der nicht das kleinste bisschen Ahnung über die alten Traditionen hatte, den Ruf der ehrwürdigen Töchter der Wicca in den Dreck zogen.

      Als Abkömmling zweier Familien mit einer langen, magischen Tradition auf der weiblichen Seite, hatte sie sogar von zwei Großmüttern den Weg der Hexerei erlernt und auch regelmäßige Besuche in sämtlichen alternativen Buchhandlungen der Umgebung hatten ihr Geheimwissen gemehrt. Sie konnte nicht zulassen, dass eine Gruppe von pubertierenden Hühnern ihre Tradition befleckte.

      Als sie die ersten Stimmen vernahm, duckte sie sich in das Wurzelwerk einer alten Eiche und spähte vorsichtig zwischen einigen dichten Farnblättern hindurch. Nur wenige Meter entfernt, auf einer kleinen moosigen Lichtung, saßen die fünf Möchtegern-Hexen. Zwei von ihnen hatten sich ihrer Schuhe entledigt und badeten ihre Füße in dem kleinen Bächlein, welches die Lichtung munter durchfloss, während zwei der anderen gerade eine Art Picknick auspackten.

      Die Fünfte, Benediktina Zapfenstreich, eine hochnäsige Göre aus einer der alten Bauerndynastien der Gegend und die eindeutige Königin dieses Haufens, saß auf einem altem Baumstumpf und rauchte, übertrieben nonchalant, eine Zigarette. Ihr engelsgleiches, blondes Haar glänzte in der nachmittäglichen Sommersonne wie Gold und ihre katzenhaften, kornblumenblauen Augen waren zu schmalen Schlitzen geschlossen. Wie immer saß ihre Bluejeans fast einen Hauch zu eng an ihren Leichtathletik- trainierten langen Beinen. Jeder wusste, dass Benediktina die beste Läuferin im ganzen Tal war und sie hatte schon mehrfach die Freudentaler Stadtmeisterschaften gewonnen.

      Aufgrund ihrer immer wieder bestätigten herausragenden Erscheinung und ihres sportlichen Talentes war sie ein Idol in der Mittelstufe des örtlichen Gymnasiums. Obwohl sie nur eine mittelmäßige Schülerin war, erschlich sie sich mit sozialem Geschick und fiesen Intrigen immer wieder gute Noten und war bei Schülern und Lehrern beliebt.

      Seit nunmehr zwei Jahren war die halbjährliche Wahl des Klassensprechers ein beständiges Duell zwischen Benediktina und Alise, das Alise stets verlor. Aus mangelndem Interesse von Seiten der Klasse war sie die dauerhafte, stellvertretende Klassensprecherin.

      Während sie alle Arbeiten erledigte, sackte Benediktina stets das Lob ein.

      Dazu kam, was aber Alise im Prinzip egal war, dass seit Anbruch der Pubertät alle Jungen in der Klasse die sabbernden Sklaven der blonden Königin waren.

      Es wäre nur halb so schlimm, wenn nicht alle Mädchen in der Klasse unheimlich in ihren zwei Jahre älteren Bruder Clemens Zapfenstreich verliebt wären, dem blonden König der Oberstufe des Freudentaler Gymnasiums und amtierenden Schülersprecher. Da sie es geschafft hatte, wirkungsvoll unter dem Schutz ihres Bruders und seiner Freunde zu stehen und sie ihrem engeren Zirkel Zugang zu Devotionalien des angebeteten Clemens gewährte, war sie nahezu unantastbar.

      Zwar kannte Alise durch ihren eigenen älteren Bruder einige der dunklen Geheimnisse des hochnäsigen Schön lings, da beide eine längere Zeit Mitglied des örtlichen Tennisclubs gewesen waren, aber seit ihr Bruder sich anderen Interessen zugewendet hatte, war diese Informationsquelle dürftig.

      Früher, als Kinder, waren Benediktina und Alise fast Freundinnen gewesen, als beide noch zusammen in die Freudentaler Ballettschule gegangen waren, aber nachdem Alise mit zwölf Jahren für zwei Jahre bei ihrer Familie im Ausland gelebt hatte, waren die Bedingungen, die sie bei ihrer Rückkehr in ihrer alten Heimat vorgefunden hatte, verändert gewesen.

      Die letzten zwei Jahre, seit sie wieder hier im Tal lebte, war sie plötzlich zum Feindbild der exklusiven Mädchenclique um ihre ehemalige Freundin geworden und Alise wusste immer noch nicht, warum.

      Neugierig beobachtete sie, wie sich Lauretta, eines der anderen Mädchen, Benediktina näherte. Es war zum Teil Glück, dass der Wind aus Richtung der Mädchen kam, denn so verdeckte er Alises Geruch und trug die Worte der beiden Mädchen deutlich zu ihr herüber. Andererseits wehte es auch den penetranten Geruch von synthetischer Erdbeere hinüber, der aus der chemischen Abomination entsprang, die irgendein trendiger Spinner dummen Mädchen als „Parfüm“ verkaufte. Da sich Alise ihre Kosmetika immer selbst herstellte, hatte sie kein