Paul Kübler

Mein Leben begann 1918 in Weimar


Скачать книгу

bei Familie Birnstiel in Pflege - aber privat. Ich hatte den Vorteil vom Jugendamt betreut zu werden. Wir hatten einen Lehrer, Arno Gebhart. Er war Ende 30. Seinen 40. Geburtstag konnte ich noch mitfeiern. Er unterrichtete alle acht Klassen und war Organist beim Gottesdienst in der Kirche. Auch den Religionsunterricht führte er durch. Er besaß als erster im Dorf ein Radio und er fotografierte alle schulischen Ereignisse. Ich ging gern in die Schule und nutzte jede freie Minute, um meine Hausarbeiten in der Schule zu machen, denn ich war ja nun älter und etwas größer geworden. Alfred ging nach Weimar in die Lehre zu einem Tischlermeister. Ich wurde allmählich in die landwirtschaftliche Arbeit einbezogen. In der Schule machte ich gute Fortschritte. Ich durfte in Geometrie schon an dem Unterricht der nächsthöheren Klasse teilnehmen. Das war eine Anerkennung. Wir hatten im Musikunterricht einen Chor aufgebaut. Ich sang die zweite Stimme und konnte am schnellsten die richtigen Töne halten. Wir sangen in der Kirche bei Beerdigungen und Hochzeiten. Das war aber nur eine Nebenbeschäftigung. In den letzten Schuljahren habe ich meine Hausaufgaben überwiegend in der Schule gemacht und meine Gedichte in der Scheune gelernt. Wir hatten einen Mauersims. Da lag mein Buch und beim Häckselschneiden und Rübenzerkleinern habe ich immer in das Buch geguckt. Auf Grund dessen, dass im Klassenraum meist vier Klassen anwesend waren, gab es natürlich bestimmte Freiräume. Die siebente und achte Klasse hatte das gleiche Unterrichtsthema und auch die Stunden gemeinsam. Auch die fünfte und sechste sowie die dritte und vierte Klasse lernten zusammen Nur die erste und zweite Klasse wurden jeweils allein unterrichtet. Wenn sich der Lehrer mit den unteren Klassen beschäftigte, hatten die anderen bestimmte Aufgaben zu lösen. In dieser Zeit hatte ich Reserven. Die gestellten Aufgaben schaffte ich in kürzester Zeit und anschließend machte ich meine Hausaufgaben.

      Alte Schule

      Das erste Schuljahr war auch für mich etwas Neues und Ungewohntes. Die Disziplin wurde noch durch den Rohrstock dirigiert. Aber der Lehrer befasste sich mit jedem Schüler und hatte viel Geduld. Ich lernte schnell. An einem Tag im ersten Schuljahr hatten wir Rechnen. Dieses Mal übten wir das Kopfrechnen. Wir hatten ja das Einmaleins bis zehn schon gelernt und in diesem Bereich bewegten sich auch die Aufgaben, die uns der Lehrer stellte. Wir waren nur sechs Schulanfänger und da kam jeder auch dran. Doch als der Lehrer mit seinen Aufgaben über die Zehn hinausging, wurde die Teilnahme weniger und der Teilnehmerkreis schrumpfte auf zwei Schüler zusammen. Das waren Hans und ich. Auf den letzten zwei Bankreihen saß die siebente und achte Klasse und Alfred, mein Bruder, saß mittendrin. Ich schaute mich einmal um, wir waren schon bei Aufgaben zwischen 60 und 70 angekommen. Alfred saß da und bekam den Mund nicht zu, so erstaunt war er über seinen kleinen Bruder. Wir schafften die Aufgaben bis 100 zu lösen. Dabei waren wir gleich stark. Als Belohnung bekamen wir beide jeder einen großen Apfel. Diese Leistung sprach sich im Dorf herum. Ich wurde von mehreren Eltern gefragt: Na, Paul, wer kann nun von euch beiden am besten rechnen? Im Sommer 1925, Alfred und ich, wir waren im Hof, als zwei Jungen durch die Hoftür kamen. Der Hund bellte laut und wir schauten erstaunt auf von unserer Beschäftigung. Das sind ja unsere beiden Brüder, Männe und Alois. Wir wussten, dass die beiden in einem Dorf waren. Aber das dieses Dorf nur einen Kilometer von Stedten entfernt war, dass wussten wir bis dahin nicht. Das war natürlich eine große Freude. Wir liefen sofort hin und das Umarmen war der Freude Ausdruck. Nun ging es an das Erzählen. »Wir hörten von Leuten, dass hier zwei Jungen, ein großer und ein kleiner, sind, welche die gleichen Namen haben wie wir - Streipardt und Kübler. Da mussten wir doch einmal nachsehen«, sagte Männe. Das war nach fast zwei Jahren unser erstes Wiedersehen. Doch, da wir wussten, wie nahe wir beieinander sind, war das nicht die letzte Zusammenkunft. Die Jahre vergingen ohne besondere Zwischenfälle. In der dritten Klasse hatte ich Schwierigkeiten eine bestimmte Rechenart zu begreifen. Ich habe meinen Pflegeonkel gefragt, doch ich blieb eben dumm. Im Unterricht war Wiederholung an der Tafel.

      Ich meldete mich, obwohl ich keine Ahnung hatte, aber ich hatte Vertrauen, dass mir die Klasse helfen würde und so war es auch. Beim Singen hatte ich als erster die Melodie im Kopf und musste dann auch noch vorsingen. Bei größeren Veranstaltungen mit den Eltern wurde ich beauftragt, etwas vorzutragen. Das war ganz anders als im Hof und auf den Feldern. Da wurde ich als fauler Hund deklariert, obwohl ich immer nur gearbeitet habe. Doch Anerkennung gab es nicht.

      Zu den Weihnachtsfesten haben wir unter der Leitung des Lehrers und einiger Eltern kleine Programme eingeübt. Das war immer aufregend. In einem Jahr wurde der gestiefelte Kater einstudiert. Zur Vorstellung kam es nicht, ein Schüler, der den Kater spielen sollte, war nicht zu finden. Ich hatte nicht mitgemacht, um mir Ärger zu Hause zu ersparen. Ich war ja schon unentbehrlich geworden. Im Sommer des anderen Jahres besuchte der Herr Lehrer meinen Pflegeonkel Karl Weber und bat darum, dass ich doch mitspielen dürfte. Er wunderte sich, dass ich mich weigerte. Natürlich wurde ich gerufen und erhielt den Auftrag mitzumachen. Ich musste natürlich die Hauptrolle, den gestiefelten Kater, spielen. Die Vorführung fand vor Weihnachten statt. Ich musste mein »Kostüm« selber machen. Mäuse habe ich mir im Schokoladengeschäft gekauft. Ich aß ja damals schon gern etwas Süßes. Die Vorstellung war ein großer Erfolg. Wir hatten nicht nur die Eltern, sondern das ganze Dorf eingeladen. Der Turnverein wurde aufmerksam auf mich und nahm mich mit in ein Theaterspiel. Ich war Sohn eines Ehepaares. Auch das lief gut. So hatte ich in der Schulzeit auch etwas Freizeit, die mir Spaß machte. Ein Höhepunkt in jedem Jahr war für uns Kinder das Kreissportfest der Schulen. Es fand immer am Bismarckturm auf dem Ettersberg statt. Jede Schule stellte eine Mannschaft, die an den Sportkämpfen teilnehmen musste. Im Laufe des Jahres wurden die Teilnehmer ermittelt. Das geschah in den Stunden des Sportunterrichts. Disziplinen waren: Ballweitwurf (Lederball so groß wie ein Tennisball), 60- und 100-Meter-Lauf, 60 Meter für die Mädchen, Weitsprung und Kugelstoßen. Für jede Disziplin gab es einen Wanderpokal und die Schulmannschaft mit dem besten Gesamtergebnis erhielt den Wanderpokal der Schulen. Die Kinder, die nicht an den Wettkämpfen teilnahmen, konnten Zuschauer sein oder andere Spiele machen. Erst am Nachmittag ging es wieder nach Hause. Das Rittergut stellte für diesen Tag zwei bis drei Pferdewagen mit Kutscher und Gespann zur Verfügung. Die Wagen waren mit Bänken versehen und mit Grün geschmückt. Zur Aufsicht fuhren einige Mütter mit. Natürlich sangen wir auf der Fahrt alle Lieder, die wir gelernt hatten. Für mich war das immer eine schöne Abwechslung und ich habe mich das ganze Jahr auf diesen Ausflug gefreut. Die Fahrt mit dem Pferdewagen dauerte hin und zurück je fast eine Stunde.

      Feldarbeit

      Als ich so etwa neun oder zehn Jahre alt war, gab es für mich auch in der Landwirtschaft genug zu tun. Rüben ziehen ging schon mit sechs Jahren. Auch Hädrich raufen. Der musste aus den Getreidefeldern herausgezogen werden, wenn die Frucht schon so 25 bis 30 Zentimeter hoch war. Das Pferd musste beim Ackern für eine halbwegs gerade Furche geführt werden. Mein erster Versuch war schrecklich. Ich war ja nur so knapp ein Meter groß, aber das Pferd war kein Pony. Um die Zügel zu halten, musste ich mich ganz schön strecken. Hob das Pferd den Kopf etwas höher, rutschten mir die Zügel aus der Hand oder ich wurde hochgezogen. Und ich hatte Angst, es könnte mir auf die Füße treten. Ich war doch barfuß und hatte nicht so harte Zehen wie die Hufe des Pferdes. Außerdem waren die mit Eisen (Hufeisen) beschlagen. Wenn Kühe eingespannt wurden, war alles bequemer. Die waren nicht so hoch und sie waren auch langsamer. Schlimm waren auch die Fliegen und die Bremsen. Die verwechselten mich oft mit den Zugtieren. Daran und an vieles mehr musste ich mich erst gewöhnen. Aber der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier, sagt man. Als ich mit dieser Feldarbeit begann, war ich ja auch erst neun Jahre. Und es war ja nicht nur das Führen des Pferdes, was von mir zu bewältigen war. Im Frühjahr begann die Arbeit zur Frühjahresbestellung. Da wurden die Felder aufgelockert, das Getreide zur Aussaat vorbereitet z.B. Beizen und mit Giftweizen mischen gegen Mäuse und andere Schädlinge. Interessant war die Drillmaschine, die bediente der Schwiegersohn Herr Schmidt.

      Diese Anrede habe ich während meiner ganzen Schulzeit benutzt und niemand hat mir je erlaubt eine andere Anrede zu benutzen. Beim Kartoffellegen musste ich wieder das Pferd führen, denn wir hatten nur eine Flugschar, die wurde gegen den Riefenzieher ausgetauscht. Manchmal wurden die Kartoffeln hinter den Pflug in die Furche gelegt. Ich musste erst den Mist einharken, ehe der Pflug wieder an die gleiche Stelle kam. Das war ganz schön anstrengend. War alles in der Erde, begannen die Pflegearbeiten. Zuerst wurde der Winterweizen und Roggen durchgehackt