Paul Kübler

Mein Leben begann 1918 in Weimar


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der Fleischer, der immer zum Schlachten kam, waren auch aus diesem Dorf. Dem Pfarrer lieferte ich öfter ein Stück Butter ab. Die Butter machten wir selbst.

      Im Winter 1932 habe ich wie immer in der Scheune Häcksel geschnitten, da hörte ich in der äußersten Ecke ein Huhn gackern. Ich kletterte gleich hinauf und fand auch ein Nest. In jede Hand nahm ich zwei Eier. Nun musste ich über die Scheunentenne vier Meter über der Erde zur Heuecke laufen. Den letzten Meter musste ich auf einem 12 bis 14 Zentimeter breiten Balken balancieren und das mit Holzpantoffeln. Natürlich ging das schief. Ich rutschte ab und segelte kopfüber in die Tiefe, streifte die Heuecke und warf dabei die Leiter um, landete unten auf der Tenne, mit dem Kopf genau auf der unteren Sprosse der umgestürzten Leiter. Zum Glück hatte ich eine Baskenmütze auf, die etwas geschützt hat. In den Händen hatte ich die Eier, aber als Rührei. Meine Stirn hat gebrannt und als ich die Mütze abnahm lief, mir Blut über das Gesicht. Im Ort war ein Sanitäter, der mich verband. Mit einem Turban bin ich dann nach Ottmannshausen in die Konfirmandenstunde. Ich saß in der zweiten Reihe, neben mir mein Freund Kurt. Natürlich musste ich erst erzählen, warum ich den Verband am Kopf trug. Der Pfarrer, Herr Stieb, hat gleich gefragt ob ich noch Schmerzen habe, aber ich habe verneint. Wenn der Herr Pfarrer hinter unserer Bank war stöhnte Kurt und jammerte »Oh mein Kopf, Oh mein Kopf.« Der Herr Pfarrer: »Kübler hast Du Schmerzen?« »Es geht«, sagte ich. Kurt jammerte wieder. Da sagte der Herr Pfarrer: »Es hat keinen Zweck, geh nach Hause!«

      Mein Arbeitspensum hatte sich nun so ausgedehnt, dass ich für alles, was zum Stallsauberhalten, Füttern und Tränken sowie Hof- und Strassen kehren gehörte, verantwortlich war. In der Landwirtschaft war ich eine volle Arbeitskraft. Freizeit hatte ich wenig. Spielen konnte ich nur in Verbindung mit meiner Arbeit. Da habe ich mit meiner Rübenleier eine Verbindung mit anderen Geräten hergestellt, so dass diese sich mitdrehten, wenn ich arbeitete. Die unterschiedlichen Eggehaken habe ich so aufgehängt, dass ich eine Tonleiter hatte. Ich bin musikalisch und liebe alles, was schön klingt. Zum Beispiel verlief ein Sonntag im Sommer so: Früh füttern und ausmisten, Futter für den Abend und den nächsten Morgen vorbereiten, Tränkwasser ranschaffen, Hof kehren und dann war Mittag. Nach dem Essen Schularbeiten soweit notwendig. Dann waschen und Sonntagsanzug anziehen. Zwischen 15 und 16 Uhr Freizeit. 16 Uhr Stalldienst: tränken und füttern, alles wieder ordnen und dann Feierabend.

      Sommer 1932, eigenes Geld

      Ich ging am Nachmittag eines Sonntags spazieren. Es war schönes Wetter und auf Grund meiner knappen Zeit hatte ich auch keine Spielgefährten. Ich war allein. An der Gaststätte kegelten Männer aller Altersklassen. Kurt stellte Kegel auf. Als er mich sah rief er: »Paul komm hilf mir. Die kegeln ja heute wie verrückt.« Ich wagte den Schritt und stellte Kegel auf. 16 Uhr musste ich ja im Stall sein, deshalb ging ich rechtzeitig weg. Für diese Hilfe bekam ich vom Anschreiber drei Groschen.

      Hurra, mein erstes verdientes Geld. Am Montag fragte ich Kurt, was er für den ganzen Nachmittag bekommt. Er antwortete: »Je nachdem wie viel Neunen geschoben werden, so 1,50 bis zwei Reichsmark.« Ich entschied mich, am nächsten Sonntag 16 Uhr nicht füttern zu gehen. Ohne ein Wort zu sagen ging ich zielsicher zur Kegelbahn. Erst nach 18 Uhr betrat ich den Hof. Ehe ich mich versah, bekam ich rechts und links kräftige Ohrfeigen und noch einiges auf den Rücken und musste ohne zu essen in meine Kammer. Ich habe nicht geheult. Ich habe nur meine Mark gedrückt, die ich bekommen hatte und habe krampfhaft gelächelt: »Dich habe ich mir schmerzhaft verdient!« Diese Prozedur wiederholte sich jeden Sonntag. Einen Unterschied gab es insofern, dass ich mir vor dem Weggehen eine Knackwurst unter das Kopfkissen legte. So war auch mein Abendbrot gesichert. Sechs Wochen lang habe ich die Schläge eingesteckt, aber ich ließ mich nicht umstimmen. Dann haben sich meine Leute damit abgefunden. Mit dem verdienten Geld habe ich für mich einiges verändert. Das Erste war: keine Glatze mehr sondern Faconschnitt. Allmählich gewöhnte ich meine heranwachsenden Haare daran, nach hinten zu liegen, ohne Scheitel. So trage ich sie heute noch. Dafür bezahlte ich damals 50 Pfennige. Glatze kostete 10 Pfennig. Meine Schreibhefte und alles, was ich in der Schule brauchte, kaufte ich selbst und ich brauchte nicht mehr zu betteln. Bei meinen Fahrten nach Weimar konnte ich mir nun auch einmal etwas kaufen. Eine Taschenuhr für drei Reichsmark und dazu eine Kette für 15 Pfennige waren meine ersten Errungenschaften. Stolz trug ich sie an meiner Hose. Onkel Karl entdeckte sie zuerst. Ich erzählte ihm alles, auch von welchem Geld ich sie bezahlt hatte. Eine Woche später zeigte er mir stolz seine neue Uhr mit goldenen Zeigern für 3,50 Reichsmark. Onkel Karl hat sich ein Haus gebaut, circa 50 Meter Richtung Ottmannshausen. Im Dorf nannten die Leute dieses Haus »Karlsruhe«. Er war Maurer von Beruf. Die Grundmauer bis aus dem Keller wurde aus Bruchsteinen, die Onkel Karl auf seinem Acker selbst gebrochen hatte, gemauert. Darauf wurden die Wände mit Lehmbacksteinen gemauert. Diese Lehmbacksteine hatte ich gepresst. Auch beim Mauern hatte ich den Lehm dazu eingerührt und auf das Gerüst getragen. Ferdinand Necke, Fartsnannte war sein Spitzname. Er war schon 84 Jahre und mauerte. Ich habe sogar noch mit in diesem Haus gewohnt. Das Büro blieb im alten Haus, dass nun der Tochter Tessi mit ihrer Familie gehörte. Ich arbeitete nach wie vor im Hof und hatte natürlich noch alle Aufgaben zu bewältigen. Alle Arbeiten, die ich verrichtet habe, kann ich nicht aufzählen. Zusammenfassend kann ich nur sagen, so hart es auch war, ich habe das Arbeiten dabei gelernt. Ich konnte mich satt essen und eingekleidet wurde ich jedes Jahr einmal vom Jugendamt. Fräulein Stapf war meine zuständige Betreuerin. Sie kaufte nicht das Billigste und das immer im November. Natürlich wurde das immer als mein Weihnachtsgeschenk betrachtet. Ein anderes bekam ich nicht. Einmal habe ich ein Weihnachtsgeschenk bekommen, aber nicht von meiner Pflegefamilie. Ich traf zufällig wieder auf der Straße meine Betreuungsschwester vom Jugendamt Weimar. Im Gespräch stellte sie mir die Frage, was ich mir zu Weihnachten wünschte. Ungläubig sagte ich, dass ich gern mit einem Baukasten spielen würde. Ich war damals 11 Jahre und wurde am 23. Dezember 12 Jahre alt. Ich habe nicht mehr daran gedacht und kurz vor meinem Geburtstag kam ein Paket an mich adressiert an. Es waren ein Steinbaukasten und einige Süßigkeiten darin. Ich habe mich sehr gefreut, denn es war mein erstes Weihnachtsgeschenk nach Ebeleben und damals war ich gerade sechs Jahre alt. Ich wurde zwar ausgelacht und deswegen gehänselt. Besonders Tessi konnte sich darüber ereifern, dass so ein großer Esel noch mit einem Baukasten spielt. Mich hat das nicht gestört. In Leipzig wohnte die Schwester von Otto Schmidt, Tessis Mann, Tante Mande. Sie kam zu Besuch und brachte den Kindern ihre Geschenke mit. Wenn sie nicht kam, schickte ihr Tessi ein Paket mit Hausschlachterwürsten und anderen Geschenken.

      Sie schickte ein Paket mit den Weihnachtsgeschenken für die Kinder. Nach ihren Besuch war immer eine Tafel Bennsdorb- Schokolade für mich dabei. Meinen Namen hatte sie darauf geschrieben. Das war mein einziges persönliches Weihnachtsund Geburtstagsgeschenk außer dem Steinbaukasten. Im April 1931 war für mich und meine Geschwister ein großes Fest. Nach unserer Trennung 1924 trafen wir uns alle mit unserer Mutter in Berlstedt zur Konfirmation meines Bruders Alois. Frau Sander, die Pflegemutter von Alois und ihrer Tochter,Frau Röder, die Pflegemutter von Hermann, hatten alle eingeladen und eine große Vorbereitung gemacht. Es war wie zu einer Hochzeit. Die festlich geschmückte Mittagstafel, das Festessen und die vielen verschiedenen Kuchen und Plätzchen habe ich nie vergessen. Das Schönste war, dass wir Geschwister mit unserer Mutter wieder einmal zusammen waren. Unsere Schwester Rosa hatten wir sieben Jahre lang nicht gesehen. Wir vier Jungen waren ja nur 1,5 Kilometer getrennt und sahen uns öfter mal. Ich hatte noch zwei Jahre Zeit und der Trott ging von Woche zu Woche weiter: Schule, Arbeit im Hof und meine Gymnastik-Stunden liefen normal weiter. Zwischendurch las ich auch mal ein Buch oder einen Zeitungsroman. Ganz besonders gern las ich in der Schule, wenn meine Aufgaben erledigt waren, »Renaldo Renaldini, der Räuberhauptmann der Abruzzen«. Ich musste natürlich meine Zeitung unter den Tisch halten. In der Scheune, zwischen Rübenleiern und Häckselschneiden, vertiefte ich mich in das Buch von Kügelgen »Erinnerungen eines alten Mannes«. Wenn sich die Möglichkeit ergab, erzählte ich gern meinen Mitschülern, was ich gelesen hatte. Das waren zum Beispiel »Pole Poppenspäler« oder »Wilde Wogen«. Letzteres handelte in der Zeit des 30-jährigen Krieges. Zwei Brüder wurden durch eine Sturmflut von ihrer Insel im Wattenmeer auf das Festland getragen. Einzeln gingen sie durch die Wirren des Krieges und standen sich nach vielen Jahren als Feinde gegenüber. Zum Glück erkannten sie sich rechtzeitig. 1932 streifte auch die Politik unsere dörfliche Idylle. Reichspräsidentenwahl war der große Rummel, für