Paul Kübler

Mein Leben begann 1918 in Weimar


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geschah später mit Gerste und Hafer. Die Kartoffeln und Rüben wurden zweimal gehackt. Eine Arbeit zum Ausreißen war das Rübenverziehen. Die Pflänzchen waren doch erst so zwei bis drei Zentimeter hoch. Um große Rüben zu ernten, mussten diese vereinzelt werden, so dass alle zehn bis 12 Zentimeter nur eine Pflanze stehen blieb. Wir rutschten und bückten uns und das eine ganze Woche lang bis die Felder durchgearbeitet waren. Ich war der Jüngste in der Kolonne. Einmal habe ich mich so richtig gereckt und meinen Rücken durchgedrückt. Gleich wurde ich gefragt, ob ich etwa Pause mache. »Nee«, sagte ich, »mein Kreuz schmerzt.« »Ach, du hast doch noch gar kein Kreuz, das ist doch nur so ein Ding, wo dein Arsch dranhängt«, meckerte Tessi. Bei der Heuernte war ich hauptsächlich beteiligt beim Wenden und beim Einfahren von Heu. Mein Bauer hatte noch keine modernen Maschinen. Die ganze Arbeit war hauptsächlich Handarbeit. Für die Frühjahresbestellung hatten wir eine Drillmaschine, für die Ernte nur die Sense und Sichel. Um das Getreide zu dreschen, hatten wir die Dreschflegel und einen Göbel. Das war so ein Tisch mit einem Aufsatz, da waren Walzen mit Dornen, umgeben von einem gusseisernen Gehäuse. An der oberen Seite waren auch Dornen angebracht, so dass die Dornen der Walze dazwischen durchkonnten. Angetrieben wurden die Maschinen durch ein großes Zahnrad im Garten, darauf ein großer Balken. An dem anderen Ende wurde ein Pferd eingespannt, das das Rad zog. Wie im Karussell musste das Pferd im Kreis laufen. Zuerst habe ich das Pferd lenken und später habe ich das Stroh wegmachen müssen.

      Der Dreschplatz war oben so etwa in der ersten Etage, damit das Ausgedroschene nach unten fallen konnte. Das war eine große Dreckarbeit und es dauerte fast den ganzen Winter bis die Scheune leer gedroschen war. Nach dem Dreschen musste das Getreide gereinigt werden. Dazu hatten wir die so genannte Klapper. Die machte einen Krach und noch einmal großen Dreck. Diese Maschine musste mit der Hand geleiert werden. Im Vorderteil war ein Windrad und an dessen Achse war die Handleier befestigt. Auf der Maschine war ein Kasten mit Öffnung nach hinten, so dass das gedroschene Getreide durch die Öffnung auf Siebe fallen konnte. Mehrere Siebe mit unterschiedlicher Maschenweite waren übereinander angebracht. Jedes Sieb hatte bestimmte Körner durchzulassen. Durch das Windrad wurde zuerst alles Leichte hinten hinausgeblasen, so dass nur das in der Maschine blieb, was schwer war. An verschiedenen Öffnungen kam das gereinigte Getreide sowie das Unkraut heraus.

      Insgesamt war es eine mühselige Arbeit. Diese Prozedur habe ich etwa drei Jahre mitgemacht. Dann bekamen wir Hilfe, denn aus Ottmannshausen kam ein Großbauer, Herr Röder, mit einem Mähbinder. Wir brauchten nur die Felder vorzubereiten, z.B. eine Maschinenbreite mit der Sense hauen, dass die Maschine nicht auf das Nachbarfeld fahren musste. In unserem Dorf hatte ein Herr Necke eine Dreschmaschine, mit der er von Hof zu Hof zog und so die Arbeit der Bauern erleichterte. So haben wir die große Scheune an einem Tag leer gedroschen. Wir brauchten das Getreide nicht mehr von dem Tennenboden aufzuschaufeln, sondern an die Öffnungen wurden die Säcke gehängt und alles lief wie gewünscht hinein. So ein Dreschtag war ein halbes Fest. Die Feldarbeit wurde für mich von Jahr zu Jahr interessanter. Ich lernte alle Arbeiten: Mit Getreide Seile machen, Garben binden, die verschiedenen Getreidepuppen aufstellen. Jede Getreideart hatte eine andere Form in der Zusammenstellung der Puppen, wir sagten Stauchen. Ich lernte das richtige Beladen der Getreidefuhren. Auch das Abharken der abgeernteten Felder mit dem Hungerrechen.

      Das war ein großer Holzrechen, so circa eineinhalb Meter breit, ihn zog ich Strich für Strich über die Felder und das Zusammengeharkte nahm ich mit dem Handwagen mit nach Hause. Mistfahren und streuen bis zum Einackern, auch das Ackern selbst habe ich gelernt. Auch mit der Sense konnte ich umgehen und noch vieles mehr. Im Hof gab es ja auch noch andere Arbeiten, die auf mich warteten. So musste ich täglich Futter für die Rinder, Ziegen und für das Pferd vorbereiten sowie Stall und Hof sauber halten. Das genannte Vieh musste ich rechtzeitig tränken und füttern. Auch den Haushalt mit Brunnenwasser versorgen war meine Aufgabe. Das Wasserholen war eine schwere Arbeit. Am Stall stand ein ausgedientes Heringsfass. 200 Liter Wasser waren sein Fassungsvermögen. Etwa 50 Meter vom Hof entfernt war ein Dorfbrunnen. Insgesamt gab es drei solcher Brunnen. Das Wasser war einwandfrei und schmeckte sehr gut. Ich hatte für den Stall zwei Zinkeimer mit je 10 Liter, für den Haushalt zwei Emaille-Eimer auch mit je 10 Liter. Das Fass musste früh und abends gefüllt werden, damit das Wasser etwas abgestanden war. Im Winter wurde es in den Stall gestellt. Ich habe jahraus, jahrein täglich ca. 26 Eimer Wasser für den Stall und acht bis zehn Eimer für den Haushalt tragen müssen. Wenn große Wäsche war oder geschlachtet wurde, wurde natürlich mehr gebraucht. Das Problem bestand darin, dass ich zu klein war und immer meine Schultern hochziehen musste, damit meine Eimer nicht an etwas herausragenden Steinen aneckten. 1928 hat mich das Jugendamt für sechs Wochen in ein Kinderheim im Ettersberg bei Weimar zur Erholung geschickt. Besonders Tessy war nicht erbaut, weil ich ja in der Feldarbeit fehlte. Aber das Jugendamt hatte ja die Vormundschaft über uns und da gab es keine Widerrede. Für mich waren diese Wochen eine wirkliche Erholung. Ich bin die ersten Tage dort wie ein Verwundeter herumgelaufen. Die rechte Hand dick verbunden und auf dem Kopf einen Turban. Warum? Mir waren die Haare geschnitten - natürlich Glatze, denn die kostete ja nur zehn Pfennige. Es war Juni und beim Arbeiten auf dem Feld knallte die Sonne erbarmungslos auf meine Birne und natürlich hatte ich einen Sonnenbrand. Wenn es denn juckte, habe ich bestimmt auch mal gekratzt und meine Hände konnte ich ja erst waschen, wenn wir zu Hause waren. Die Folge: Meine ganze Schädeldecke war eine große Wundfläche und wenn ich darauf drückte, war meine Hand gelb vom Eiter. Meine Hand war ebenfalls vereitert. Jede kleine Verletzung eiterte. Zur Heilung bekam ich jede Woche einen Tag nur Rohkost. Das war immer der Donnerstag. Früh eine Suppenschüssel dicke Milch. Das war eine Qual. Wenn die anderen Kinder spielen durften, musste ich mich mit meiner dicken Milch abquälen. Bis zum zweiten Frühstück war ich beschäftigt, dann gab es Obst oder Beeren. Mittag nur gedämpftes Gemüse, nachmittags wieder Obst und am Abend auch Obst. Dieser Rohkosttag wurde bis Ende meines Aufenthalts beibehalten. Und es hat sich gelohnt: Mein Blut wurde dadurch gereinigt. Bis heute habe ich nie wieder solche Entzündungen gehabt. Ich denke gern an diese Zeit zurück. Wir gingen wandern und lernten Lieder. Zwei Lieder aus dieser Zeit kann ich heute noch. Zum Beispiel das Lied »Es wollt`ein Schneider wandern, am Montag in der früh`« oder das lustige Lied »In Regensburg auf der Kirchturmspitz`«. Beide Liedtexte finden Sie am Ende dieses Buches. Nach dem Mittagessen war Ruhe. Unsere Betreuerinnen lasen uns aus Sagen oder Märchen vor. Die Zeit verging wie im Fluge - Post kam täglich - für mich nichts. Alle Kinder hatten ein Taschengeld - ich nicht. Da habe ich mir von einer Tante, wie wir die Erzieherinnen nannten, Briefpapier und Umschlag erbettelt und von einem anderen Schüler eine Briefmarke geborgt, damit ich meiner Mutter schreiben konnte. Sie schickte mir dann zwei Reichsmark. Dann kam der Tag der Trennung. Es gab Tränen und Umarmungen. Viele der Kinder wurden von ihren Eltern abgeholt.

      Ich musste allein mit meinem Köfferchen die circa acht Kilometer nach Stedten laufen. Dort angekommen habe ich etwas gegessen und Tessy stand in der Tür und rief: «Mär dich aus, wir wollen ins Feld.« Da habe ich nur gedacht: «Ein schöner Empfang.« In der Schule wurde ich freudiger begrüßt. Mein Lehrer, Herr Gebhard, sagte: »Gott sei dank, dass du wieder da bist. Beim Singen habe ich drei für die zweite Stimme einsetzen müssen um dich zu ersetzen.« So ging der alte Trott weiter. Nur im Hof wurden meine Aufgaben allmählich erweitert. Ich war so langsam in den Rang eines erwachsenen Stallknechts avanciert. Mit dem Übergang vom 11. zum 12. Lebensjahr wurde mein Tagesablauf ungefähr so: Früh vor Schulbeginn musste ich den Stall ausmisten und das Vieh füttern. Dazu gehörten Kühe, Ziegen und Pferde. Dann in Schnellaktion waschen, Bemme auf die Hand und ab in die Schule. Meistens kam ich zu spät. Mein Name stand fast täglich an der Tafel in der Reihe derer, die nachsitzen mussten. Für jedes zu spät kommen musste ich 50 Mal den Satz schreiben »Ich muss pünktlich in der Schule sein«. Der Lehrer kannte meine Situation und ich nutzte die Zeit im Unterricht, in der wir Aufgabe lösen sollten und der Lehrer sich mit den Jüngeren beschäftigte, um in einem besonderen Heft diesen Satz vorzuschreiben. Nach 15 Minuten Nachsitzen meldete ich mich beim Lehrer, er strich 50 Mal den von mir geschriebenen Satz ab und ich konnte gehen. Meine Brüder Hermann und Alois besuchten mich wieder einmal. Alois hatte die rechte Hand dick verbunden in einer Schlinge. Beim Futterschneiden wollte er auch einmal das große Schwungrad drehen. Hermann verweigerte dies, er sei ja noch zu klein. Hermann war genau so groß, aber zwei Jahre älter. Aus Wut wollte Alois die Maschine anhalten und griff in Transportwalzen, die das eingelegte Stroh zum Messer befördern mussten. Natürlich wurde seine Hand