Jochen Schmitt

Rolands Lied


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Ankobern mehr. In den 14 Tagen am Hof des Königs war er unbestritten das sexuelle Eigentum der königlichen Dame.

      Der Besuch der Mauren hatte spätere Folgen, und das nicht nur in Spanien. Neun Monate nach diesem unvergesslichen Reichstag von 777 n.Chr. im doch so hilligen Paderborn, trat in einigen Dutzend Schlafzimmern des Adels ein sehr erklärungsbedürftiges Ergebnis zu Tage. Nur im Fall der Mägde und Sklavinnen wurde das nicht weiter erörtert. Die adeligen Damen und manche ihrer Töchter hatten einige Mühe, die etwas vorzeitige Sonnenbräune ihrer Neugeborenen zu erklären. Zu allem Glück lebten die frisch getauften Franken noch in reichlich überliefertem altem Aberglauben. Der Zusammenhalt der betroffenen Damen wirkte mit. Sehr auch, dass der erstgeborene Ableger der unverheirateten Prinzessin Lioba gleichermaßen davon betroffen war. Gemeinsam setzten sie die Mär in Umlauf, und verteidigten ihre These aufs heftigste: Die Hautfarbe der anwesenden braunen Männer hatte über die Augen der Damenwelt auf die Produkte abgefärbt, die ihre fränkischen Ehemänner bzw. Liebhaber gezeugt. Bald glaubte jeder im Frankenland daran, so wie die heutige Menschheit an Eseloterik, an die Quacksalber der Homöopathie, oder an die Neue Verarschung, die auch als New Age bekannt ist.

       Da ist das Volk mit seiner Weisheit sehr viel weiter: „Glaube, dem die Tür versagt, steigt als Aberglaub durchs Fenster! Hast du Christus erst verjagt, kommen die Gespenster!“

      5. Kapitel: Der Reichstag

      Es war so weit. Eines fröhlich sonnigen Morgens konnte der Reichstag zusammentreten. Der war schon lange weit entfernt vom ursprünglichen Germanenthing, an dem alle freien Kriegsmänner teilnahmen, mitbestimmten und mitentschieden. Noch nicht einmal ganze 200 Würdenträger waren es noch. Die höhere Geistlichkeit, Stammesherzöge, Karls Mark- und Gaugrafen, deren Amt bereits den Charakter von Verwaltungspräsidenten annahm, und einige herausragende Köpfe des hohen Adels. Sie hatten Stimmrecht.

      Auch erste sächsische Adlige waren darunter. So mancher Sachse, vor allem Westfalen, deren Stammesgebiet an das der Franken grenzte, hatte schon lange vor dem Sachsenkrieg die richtige Spürnase bewiesen. Seit Jahren getauft, dem Christentum ernsthaft und aus freiem Entschluss zugewandt, zählten sie zum Establishment des Reiches. Ihre ostfälischen und niedersächsischen Stammesbrüder benötigten noch viele Jahre, bis sie Karls Lehrstück allmählich begriffen.

      Umfangreiche Vorbereitungen waren vorausgegangen. Wochenlang hatten Knechte und Handwerker Bäume gefällt, in Bretter gesägt, herangeschleppt und zu Bänken und Tischen geformt. Nicht ganz von modernem Styling, aber zweckmäßig dem Gewicht auch voller Bierhumpen gewachsen. Und da altes Brauchtum nur langsam ausstirbt, bohrten die dienstbaren Helfer von Karls Hofmeier Jerowin auch noch Löcher als Halterung für Trinkhörner in die Tischplatten. Das mit dem Quellwasser der Pader gebraute Paderborner Pils, noch heute ein Genusserlebnis, war in Hektolitern bereitgestellt. Während der Tagung der Franken eilten Dutzende dienstbarer Helfer durch die Tischreihen. Sie sorgten achtsam dafür, dass der Flüssigkeitspegel der Humpen und Hörner nie den Boden erreichte. Für so manchen der Anwesenden der wichtigste Grund zur Teilnahme. Die Verhandlungen waren zu oft so dröge, dass nur ein kräftiger Schluck das ausgleichen konnte.

      Der Frontwand und dem Portal seines Königsgutes vorgelagert, hatte Karl eine breite, um einen Meter höher über der Erde liegende, überdachte Veranda anbauen lassen. Auf dieser saß er mit seinem engeren Räten und den bedeutenderen Adeligen im wohltuenden Schatten. Wie jedes Detail der Veranstaltung wohl überlegt. Die anderen Teilnehmer am Reichstag saßen in der prallen Sonne beim Bier. Beides hatte die geplante Folge. Unnötige Debatten unterblieben, und nötige wurden angenehm verkürzt.

       An einem Flügel der Veranda hatten die Mauren ihre schattigen Sitze angewiesen bekommen. So konnte die Gesandtschaft des Emirs von der Empore aus dem Geschehen beiwohnen. Vor der Veranda erstreckten sich jetzt die Tischreihen in den Hofplatz, von Bänken gesäumt. Hier saß nun eine Woche lang der Rest der Teilnehmer im Rat, und am äußeren Rand jene, die nur Zuschauer waren. Das Ereignis als solches, eine beachtliche Sensation, hatte wie ein Magnet so manchen interessierten Krieger, vorwiegend Sachsen, angezogen.

      Früh am Vormittag hatten sich alle ungeduldig eingefunden. Die Bankreihen waren gefüllt. Es fehlte nur noch der König und sein Herold. Sie ließen nicht lange auf sich warten. Dem Stoß ins Horn folgte der Startspruch des Ausrufers. Er gebot Frieden und drohte allen Störern die Reichsacht an.

       Eröffnungsrede des Königs. Begrüßung der Geladenen. Dann verkündete der Herold die Ordnung des Tages. Rechtsprechung stand auf der Tagesordnung der ersten Sitzung. Nicht im alten Sinn für jeden Streit. Den zu schlichten war längst Sache der Gaugrafen. Vor den Reichstag kamen nur noch übergeordnete Streitfälle. Zum Beispiel wenn ein Erzbischof oder Erzabt gegen einen Stammesherzog oder Gaugrafen Krieg zu führen begann. Das kam unter dem strengen Regiment Karls nur selten vor.

       Gleich der erste Fall von heute war ein solcher.

      Oben in der Kammlage der mittleren Pyrenäen erstreckt sich eine wunderschöne Gebirgsregion mit weiten hügeligen Hochebenen, damals nur vom Land der Franken aus zugänglich. Nach Süden gab es nur Ziegenpfade. Erst 1913 bekam die Region eine Straße nach Spanien. Im Ländchen hatte bis dahin keiner deren Fehlen bedauert. 23 Jahre später dankten andere Gott, oder – je nach Überzeugung - den Behörden dafür. Tausende Demokraten entkamen mit ihrer Hilfe dem blutrünstigen Faschismus des Franco und retteten so ihre Freiheit, die meisten davon sogar zusätzlich ihr Leben.

      Ausgedehnte grüne Täler, von Bächen und Flüssen durchzogen, und mit sieben hübschen Dörfern daran. Auf gut 450 Quadratkilometern ausgebreitet, eine recht ansehnliche, wenn auch nicht sonderlich ertragreiche Grafschaft.

       Seit ihrer Christianisierung tobte ein mehrfach blutig ausufernder Streit um die Region. Die Grafen von Foix machten die jahrzehntealten Rechte ihrer Sippe geltend. Der neue Bischof von La Seu d´Urgell verlangte recht unchristlich auch die weltliche Oberherrschaft über seine neu gewonnenen Schäfchen.

       Beide Parteien trugen dem Reichstag temperamentvoll ihre Argumente vor. Die Stimmung näherte sich beiderseits rasch dem Punkt der Überhitzung. Und da war er auch schon erreicht. Der Bischof, mehr Kriegsmann als Gottesdiener, und von Statur ein Herkules, schleuderte dem schmächtigen alten Grafen den Handschuh vor die Füße und forderte ihn zum Gottesurteil durch Zweikampf heraus. Vergnügt brüllte der Reichstag Begeisterung. Gleich in der ersten Stunde schon wieder ein Höhepunkt. Im Sprechchor forderten Sie sofortige Ausführung.

      Karl wartete, dass sich das Getöse lege. Genau das hatte ihm gerade noch gefehlt: Die weltlichen Herren und die Geistlichkeit im Kampf auf Leben oder Tod! Sein Herold blies aus Leibeskräften das Horn. Als sich der Aufruhr langsam legte, sprang der Bischof von Metz in die Runde. Er hob zunächst den Arm und dann hervor, dass er nicht als der 3. Sohn des alten Grafen rede sondern als geistlicher Hirte aus christlicher Besorgnis. Schallendes Lachen und höhnische Zurufe ließ er unbeachtet. Er wandte sich der Bibel zu, zitierte gewandt aus diesem und jenem Gleichnis und geriet dann ins Predigen. Filibustern nennt man so etwas heute, und es hatte schon damals Erfolg. Die Stimmung normalisierte sich. Dann forderten erste ärgerliche Zwischenrufe das Ende der geistlichen und geistigen Turnübung.

      Karl hatte gelassen seine Zeit abgewartet und griff nun ein. Sein sehr bestimmter scharfer Kommandoruf erreichte den Bischof. Umstehende behaupteten später, Karl habe gerufen: „Nun halt endlich dein dummes Maul!“ Aber das kann nicht sein. Denn in den Reichsannalen im Reichsarchiv in Aachen fand man später nichts davon zu lesen! Der Bischof senkte jedenfalls sein Gesäß auf seinen Stuhl und wartete auf die Stimme seines Herrn. Karl zögerte nicht. Die Rolle des Salomon fiel ihm in diesem Falle leicht:

       „Ich befehle das sofortige Ende dieser Fehde! Wie jeder im Reiche weiß, folgt einer eigenmächtigen Fehde die Reichsacht. Franken kämpfen nicht gegen Franken. Dafür hat Gott uns Nachbarn geschenkt! Ihr werdet künftig die Grafschaft gleichberechtigt regieren und euch die Einkünfte brüderlich und auf den Pfennig teilen! Kommt sofort vor meinen Stuhl und reicht euch die Hand darauf!“

       Die beiden gehorchten unwillig, aber ergeben dem königlichen Gebot. Der König tat so, als hätte er den schmerzlichen Schrei nicht gehört, mit dem sich der Graf vom Händedruck des Herkules befreite. Er wandte sich gerade an Angilbert,