Jochen Schmitt

Rolands Lied


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das den Vorgang für das Staatsarchiv in Aachen festhielt. Leider ging es im Lauf der Geschichte verloren. Dafür lebt die Sage davon in der Nationalhymne von Andorra weiter, um welches es nämlich gehandelt hatte. Die entstand erst viel später, als Andorra selbständige Republik geworden war. Aber sie nennt ausdrücklich diesen Vorgang und erhebt „Kaiser! Karl“ zum Gründervater der Republik Andorra!

      Es folgten noch einige weniger spektakuläre Rechtshändel der Oberschicht. Karl schlichtete, befahl und urteilte. Im einen oder dem andern kritischen Fall, in dem ihm keine Lösung einfiel, ließ er abstimmen. Damit schob er die Verantwortung von sich weg dem Reichstag zu. Das schien immer dann notwendig, wenn es ihm brenzlig, oder auch nur ungeraten erschien, sich auf eine Seite zu schlagen. Am frühen Nachmittag war die Liste abgearbeitet. Der Reichstag vertagte sich auf morgen und ging zum gemütlichen Teil über.

      Kaum hatte sich Abdallah in seiner Wagenburg etwas entspannt und erholt, wurde er schon wieder in Anspruch genommen. In den letzten Tagen war es zu einer Art Brauch geworden. Fast schon regelmäßig schaute zu dieser Tageszeit Markgraf Roland bei ihm auf ein Schwätzchen herein. Dessen Vorwand war es, weitere Informationen für die bevorstehende Unterstützung der Mauren zu sammeln. Abdallah versuchte umgekehrt zu ermitteln, wie denn nun seine Aktien stünden.

      Den ersten Zug eröffnete der Graf mit der launigen Bemerkung: „Dieser eitle Bischof! Gibt an, als wäre er der Größte im Frankenland! Dabei bin ich das doch!“

       Er und Abdallah waren sich in kurzer Zeit nahe gekommen. Beide gleich überheblich von sich eingenommen, beide gleich eitel und angeberisch. Brüder fast im Geiste - und auf jeden Fall aus gleichem Holz geschnitzt. Sie gerieten bald wie immer in ein freundschaftliches Geplänkel. Eine Art von politisch-diplomatischem Schachspiel. Sehr viel klüger wurde dadurch keiner von beiden. Im „Zweikampf“ hatte König Karl ein Remis bestätigt. In Sachen Diplomatie herrschte ein Patt vor. Manchmal gab es auch da ein Remis.

      Was Abdallah anfangs irritiert hatte: Der Graf hatte stets sein Lotterielos dabei. Der begründete das damit, dass seine braune Äthiopierin leider seine Bettkommandos nicht verstehe. Abdallahs blonde Gotin könne doch der jungen Dame etwas germanisch beibringen, damit er sich ihr verständlich machen könne. Saßen die vier dann am Tisch, verschlang er Biliana mit seinen Blicken. Er konnte sie nie aus den Augen lassen, solange sie in seine Nähe weilte. Abdallah wiederum fand schnell eine Augenweide an der schönen Aida. Bald saßen sie jeden späten Nachmittag als Quartett zusammen. Die Männer umkreisten sich im diplomatischen Eiertanz. Die Damen neben ihnen tasteten sich mit ersten Sprachbrocken auf einander zu.

      An diesem Nachmittag wollte es der Zufall, oder hatte jemand es absichtlich gesteuert? Nun, keiner der vier wollte das ergründen. Alle taten so, als sei es schon immer so gewesen. Die Paare nahmen Platz und fanden sich erstmals diagonal einander gegenüber. Die Männer wechselten noch einige Bemerkungen, dann versickerte ihr Gesprächsinteresse, beide gleichermaßen abgelenkt. Des Grafen Augen waren in den blauen Bilianas ertrunken. Abdallahs versanken in den brauen Edelsteinseen ihm gegenüber, von Aida unübersehbar schelmisch dazu ermuntert, dort zu verbleiben. Dann rief die Pflicht zur abendlichen Königstafel, an der außer der Königin mit ihren Hofdamen kein weiteres weibliches Wesen teilnahm.

       Sein Werk erfolgreich abgeschlossen, griff Amor seinen Bogen und nahm die Suche nach dem nächsten Paar auf, das seiner Nachhilfe bedurfte. „Komisch, diese Menschenkinder! Manchmal ganz schön schwierig, so ein Pärchen in ein und dasselbe Bett zu bekommen. Muss wohl der Christengott Schuld daran haben. Gottvater Zeus haben sie diese seltsame Scheu jedenfalls nicht abgeguckt!“ murmelte er vor sich hin und entschwand.

      Beim nachfolgenden Bankett pirschte sich der Graf wieder an Abdallah heran. Dem Grafen war Abdallahs Gefangennahme durch Aida nicht entgangen. Vom Wein beflügelt klopfte er diplomatisch auf den Busch. Seine Anregung wurde ebenso diplomatisch aufgenommen und Akzeptanz angedeutet. Beide ließen ihre Visiere weg und beschlossen, sofort, jetzt und auf der Stelle, die Damen gegeneinander einzutauschen. Unauffällig verschwanden sie nacheinander zu einem Gang der Natur, trafen sich draußen und handelten.

       Von dieser Nacht an hatte jeder von ihnen die lang erwünschte Bettpartnerin. Ein in der Ökonomie sonst unbekannter, oder zumindest sehr seltener Fall von Tauschhandel, bei dem jeder hohen Gewinn gemacht. Aida musste allerdings noch ein wenig auf die volle Erfüllung aller ihrer Wünsche warten. Des Königs Schwester Lioba sah die Zahl der verbleibenden vergnüglichen Nächte schwinden. Sie machte rücksichtslos ihre älteren Bettrechte geltend. Durstig schöpfte sie gnadenlos in jeder verbleibenden Nacht den Brunnen leer. Aida musste sich, nach einem ersten Ansturm im Anschluss an den Tausch, auf später vertrösten.

      In den folgenden Tagen wurde über die Neuordnung des nun verdoppelten Reiches beraten. Nicht dass Karl da eines Reichstagsbeschlusses bedurft hätte. Seine Pläne standen fest. Deren Absegnung durch den Reichstag erhob die jedoch auf die Ebene von Verfassungsgesetzen. Das war für seine Nachfolger von unschätzbarer Bedeutung. Und bei aller überlegenen Herrscherqualität und mannhafter Tatkraft blieb er doch ein König von Germanen. Deren Könige „herrschten“ nicht, die wurden nach Germanenart als notwendiges Übel hingenommen. Es galt also, die Zügel unmerklich so anzuziehen, dass ihm die gewünschten Beschlüsse auf dem Silbertablett überreicht wurden. In dieser Taktik hatte er die Meisterprüfung lang schon hinter sich. Über Roland, Angilbert und seinen leiblichen Onkel Bernhard, dem Bischof von Trier waren verbündete Räte darüber instruiert, wohin die Diskussion gelenkt werden sollte. Auch diesmal verlief alles nach Plan. So reibungslos wie noch nie, weil es so viel zu verteilen gab, dass für fast alle etwas abfiel.

      Die wichtigsten dieser Beschlüsse sahen so aus: Niedersachsen bis zur Elbe wird in Reichsgaue aufgeteilt. Die nicht christianisierten Sachsen- und Stammesfürsten werden kaltgestellt. Die neuen Gaugrafen werden mit einem kleinen Verwaltungsstab und einer kleinen fränkischen Garnison in die vorhandenen Sachsenburgen gesetzt. Jedem wird ein Priester als Missionar zugesellt. Bischofssitze wurden bestimmt. Die Klöster im Frankenland bekamen die Order, im Sachsenland mindestens je ein Tochterkloster zu installieren, Klosterschulen einzurichten und die Söhne des sächsischen Adels zu Priestern, oder zumindest für die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zu schulen. Die Elbe wurde zur Ostgrenze bestimmt. Eine Ostmark wurde beschlossen. Ihr Auftrag: Die Unterwerfung und Christianisierung der Slawensiedlungen auf dem Westufer, im nach ihnen benannten Wendland. Diese Aufgabe wurde in einem Zug sofort Graf Odo übertragen, einem der tüchtigsten Generäle Karls.

      Danach, und die Nacht hindurch, wurden die Beschlüsse durch Angilberts Stab in Schriftform festgehalten, die Gaue und Bischofssprengel eingegrenzt, die künftigen Gaugrafen- und Bischofssitze eingeteilt und benannt, Sachsendörfer an künftige Klöster verschenkt, und denen ihre Standorte empfohlen. Am Folgetag gings dann an die Verteilung der Beute. Die nachgeborenen Söhne des Adels mutierten je nach Bedeutung ihrer Väter zu Bischöfen, Äbten, Gaugrafen usw. Gegen Abend gingen der Versammlung die Namen aus. Es wäre beinahe peinlich geworden, denn Paderborn stand noch offen. Für das zu errichtende Kloster hatte der Abt von Le Mans die Hand gehoben und einen Abt samt einigen Brüdern zugesagt. Für das Kloster Buranon hatte sich der Abt von Cluny begeistern lassen. Karl wollte aber auch einen Bischof für die Ostfalen in Paderborn haben. Wie schon so oft, errettete Angilbert seinen Herrn.

       Er hatte einen Freund zu Besuch, der damals mit ihm das Priesterseminar in Colonia absolviert hatte. Ein nachgeborener Sohn eines jener schon länger christianisierten westfälischen Grafen. Er betreute dessen Hofpfarrei und hatte seinen Vater zum Reichstag begleitet. Der junge Priester hatte einen Herzenswunsch: Einmal seinen König aus der Nähe zu erleben. Zufall oder nicht, Angilbert hatte seinen Studienfreund an diesem Tage mit auf die Veranda genommen. Ohne den zu fragen flüsterte er dessen Namen in des Königs Ohr. Der grinste erleichtert. Einen Wimpernschlag später war Ägilulf, der Westfale, der erste Bischof von Paderborn.

      Verwaltungstechnisch wurde das noch am gleichen Abend intern ergänzt. Der Königshof lag auf dem breiten, aber nicht sehr in die Tiefe reichenden Plateau über dem Paderloch. Daneben sollte die Bischofskirche gebaut werden. Im Hintergrund davon das Kloster mit dem Priesterseminar: Bischof Ägilulf wollte künftig junge sächsische Heiden zu christlichen Pfarrherren umschmieden lassen. Das geschieht noch heute an diesem Ort.

       Noch weiter dahinter steigt steil hinauf um 100 Meter die Felswand an, über der