Azura Schattensang

Schattenkönig


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lachte auf. „Nein, das hast du wirklich nicht.“

      Sie sah ihn an und spürte die Distanz zwischen ihnen, wie eine unüberwindbare Mauer. Sie wusste nicht wann und wie es passiert war, aber es war fast unerträglich.

      „Warum bist du hier?“, fragte sie ihn.

      „Um dich nach Hause zu holen, natürlich.“

      Ihr Lachen war bitter und freudlos. „Ehrenthal ist dein zu Hause, Kyle. Nicht meins.“

      Sein enttäuschter Blick sagte mehr, als er in Worte hätte fassen können. „Aber es kann dein zu Hause werden...“ begann er, doch sie hob abwehrend die Hände.

      „Zu Hause? Was hat dies noch für eine Bedeutung, wenn man keine Vergangenheit hat.“

      „Das ist nicht wahr. Auch wenn sie nicht deine richtigen Eltern waren. Auch wenn viele schreckliche Dinge geschehen sind... sie haben dich geliebt und dies hat dich zu dem Menschen gemacht, der du heute bist“, begehrte er auf.

      Aurelia sah ihn lange an. „Wer wusste über meine Identität Bescheid?“

      Kyle senkte den Blick und schob die Hände in die Hosentaschen. „Außer Norwin?“

      Aurelia nickte.

      „Meister Albion“, sagte er leise.

      Sie fühlte sich, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen. „Wer noch? Constantin?“

      Kyle schüttelte den Kopf. „Er hat es erst in der Nacht von Roderichs Tod erfahren.“

      „Du hast es gewusst“, sagte sie langsam. Stumm flehte sie zu den Göttern, sie möge mit ihrer Vermutung Unrecht haben, doch der Blick in Kyles Augen verriet ihr alles.

      „Nein...“, hob er an. „Ja... Vielleicht. Ich war mir nicht sicher.“ Er suchte ihren Blick. „Bei unserer ersten Begegnung... ich hatte so einen Verdacht und Meister Albion schien ihn zu bestätigen.“

      „Deswegen hast du dich nach meinem Familiennamen erkundigt?“

      „Ja. Als du sagtest, er laute Nachtschatten, dachte ich, ich hätte mich geirrt. Ich wusste es erst mit Sicherheit, als auch Roderich dich für Amelia hielt.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Wenn du wüsstest, wie ähnlich du deiner Mutter siehst.“

      Aurelia wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gefühle waren ein einziges Chaos. Sie fühlte sich von den Menschen, denen sie am meisten vertraute, betrogen und hintergangen.

      „Du hast es die ganze Zeit gewusst“, flüsterte sie. „Du hast es gewusst und hast es mir verheimlicht!“

      „Was hätte ich denn machen sollen? Ich war mir doch selbst nicht sicher! Hätte ich dir sagen sollen, dass du womöglich Amelias Tochter bist, auch wenn es ein Irrtum gewesen wäre?“ Kyle hatte Recht, doch es nützte nichts.

      Ihre Hände zitterten vor unterdrückter Wut und sie ballte sie zu Fäusten. „Also hast du das alles nur getan, weil du dachtest, ich sei ihre Tochter?!“ Ihre Stimme bebte.

      „Ja und nein“, gestand er. „Ich...“ Er kam nicht weiter.

      Mit aller Kraft, die Aurelia aufbringen konnte, schlug sie ihm ins Gesicht. Sprachlos sah er sie an.

      „Was bin ich für dich?!“ schrie sie ihn an.

      Kyle öffnete den Mund, doch kein Laut kam heraus.

      „Bin ich etwa der klägliche Versuch, die Fehler deiner Vergangenheit wieder gut zu machen?!“ Sie wusste, dass sie zu weit ging. Das war nicht gerecht, aber sie konnte nicht anders. Das Letzte, was sie wollte, war Kyle zu verletzen, doch der Schmerz in ihrem Inneren war so gewaltig, dass es sie fast den Verstand kostete. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie es ist zu erfahren, dass man seinen eigenen Onkel getötet hat?!“ Tränen stiegen ihr in die Augen und sie ließ ihnen freien Lauf. „Und das, obwohl er im Grunde unschuldig war?!“ Sie begann zu schluchzen. „Das Bild von seinem Blut an meinen Händen und der Ausdruck in seinen Augen verfolgt mich bis in meine Träume!“

      Es war zu viel. Ihre Beine gaben unter ihr nach und weinend brach sie zusammen. Kyle stürzte heran und schloss sie tröstend in seine Arme. An seiner Schulter weinte sie, bis sie keine Tränen mehr hatte.

      Er strich ihr über die Haare und wiegte sie sachte hin und her. „Aurelia, es tut mir so leid.“ Er drückte sie fest an sich. „Ich hatte so sehr gehofft, dass ich mich irre. Glaube mir. Um alles in der Welt wollte ich dir dieses Schicksal ersparen.“ Eine Weile sagte er nichts. Stille senkte sich herab und wurde nur von Aurelias Schluchzen unterbrochen.

      „Du bist meine Königin“, fügte er schließlich an. „Ich werde wieder zum General der königlichen Leibgarde ernannt. Bei meinem Leben schwöre ich dir, dass ich dir stets treu zur Seite stehen werden. Sei gewiss, dass ich dich mit meinem Leben beschützen werde.“

      Das war es also. Dies war der Grund für die Distanz zwischen ihnen. Kyle stellte seine Pflicht über seine Gefühle. Plötzlich fühlte sie sich leer, so als ob man ihr etwas von ihrem Selbst genommen hätte. Kyle sagte etwas, dass sie nicht verstand und half ihr auf. Widerstandslos ließ sie sich von ihm aufs Pferd helfen, nahm hinter ihm im Sattel platzt und klammerte sich an seinen Rücken.

      Die Reise zurück zum Schloss erlebte sie wie durch dichten Nebel. Die Landschaft zog an ihr vorbei, ohne dass sie davon Notiz nahm. Es wurde Nacht und wieder Tag und sie sprach kein einziges Wort. Irgendwann erreichten sie Ehrenthal und als Kyle das Pferd vor den Stallungen zügelte, rutschte sie aus dem Sattel. Ohne ihn anzusehen, verschwand sie im Inneren des Schlosses.

      Kapitel 5

      „Hättest du es dir jemals erträumt, dass ich eines Tages Königin sein würde?“ Sie saß zusammen mit Constantin auf einer der Bänke in den weitläufigen Gärten des Schlosses. Die Sonne war warm und kündete bereits von den ersten Sommertagen.

      Nach ihrer Rückkehr ins Schloss hatte sie Norwin und Meister Albion aufgesucht und ihnen ihre Entscheidung mitgeteilt. Keiner der beiden hatte sie nach ihrem Verschwinden, oder dem Grund dafür befragt. Sie vermutete, dass Kyle dafür verantwortlich war. Jedoch schienen Norwin und Meister Albion durchaus erleichtert über ihren Entschluss zu sein, ihr Erbe anzutreten. Als sie ihnen von ihrem Aufeinandertreffen mit Lillith berichtete, wirkten die beiden hingegen wenig erstaunt. Dabei war Aurelia ziemlich überrascht gewesen, auf einen leibhaftigen Drachen zu stoßen. Erst als sie ihnen von Lilliths Vermutung über den Schattenkönig berichtete, wurden sie zusehends unruhiger. Norwin warf seinem Bruder einen langen Blick zu und Aurelia konnte einen Anflug von Furcht spüren.

      Nach dem Gespräch zog sie sich auf ihr Zimmer zurück und schloss sich dort für die nächsten Tage ein. Nach einigen Bemühungen schaffte es Constantin schließlich, sie daraus hervor zu locken.

      „Nicht in meinen kühnsten Träumen!“ Constantin lachte und legte den Kopf in den Nacken. Mit geschlossenen Augen saß er neben ihr und genoss die Sonne auf seiner Haut. „Obwohl ich sagen muss, dass dir Kleider wirklich gut stehen.“ Ein freches Grinsen zuckte in seinem Mundwinkel und Aurelia knuffte ihn in die Rippen. Lachend zuckte er zusammen. „Zeige etwas mehr Respekt! Ich bin deine zukünftige Königin“, sagte sie lachend. Mit einer Hand strich sie die Falten in ihrem Kleid glatt und betrachtete den mit Spitze besetzten Saum. Die Bediensteten hatte ihr solange in den Ohren gelegen, bis sie schließlich nachgegeben und sich in eines der vielen Kleider hatte helfen lassen. Es war aus einem leichten hellblauen Stoff gefertigt, der sich kühl und glatt an ihre Haut schmiegte. Der eng geschnürte Mieder und der weite Rock waren mit hauchfeinen Applikationen aus weißer Spitze verziert. Staunend hatte sie sich im Spiegel betrachtet. Das Kleid war atemberaubend schön und brachte ihre Figur glänzend zur Geltung. Nichts desto trotz fühlte sie sich unwohl darin. In ihrem Leben hatte sie noch nie solch ein Kleid getragen.

      Constantin richtete sich wieder auf und sah sie lange an. „Es ist schon eine Ewigkeit her, dass wir so zusammen gesessen haben.“

      „Das ist