Azura Schattensang

Schattenkönig


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magisches Artefakt und wird in den Drachenfamilien von Generation zu Generation weitergegeben. Ich kenne die Familie der Nachtschatten und du bist keine von ihnen. Also, wer bist du?“

      Aurelia hatte genug. Genug von der Tragödie, die ihr Leben sein sollte. Genug von den Geheimnissen und den Dingen, die man ihr ein Leben lang verschwiegen hatte.

      Mit all ihrer Kraft warf sie dem Drachen einen Zauber entgegen. Der Schlag war so heftig, dass er einige Schritte zurück taumelte und sie freigeben musste. Aurelia sprang auf die Füße.

      „Ich weiß nicht wer ich bin!“ schrie sie den Drachen an. „Mein ganzes Leben war eine einzige Lüge! Ich wurde als Kind von Elmar und Lorain Nachtschatten aufgezogen! Sie waren meine Eltern. Lorain schenkte mir diese Kette an meinem zehnten Geburtstag, der Tag an dem meine Familie ausgelöscht wurde!“ Aurelia spürte die Tränen auf ihren Wangen. „Zehn Jahre später erfahre ich, dass es nicht meine richtige Familie gewesen sein soll?!“ Sie bückte sich und hob einen kleinen Stein auf. Wütend schleuderte sie ihn dem Drachen entgegen, doch er verfehlte sein Ziel. „Sie sagen, ich sei die Tochter von Amelia Algrim! Ich sei die Königin!“

      Mit den Fingern raufte sie sich die Haare und schrie ihre Wut und ihre Qual hinaus.

      Der Drache sagte kein Wort und musterte sie stumm. Aurelia schleuderte einen weiteren Stein nach ihm. Sie versuchte ihn zu einem Angriff zu reizen, damit sie ihre Wut an ihm auslassen konnte, oder er ihrem Elend endlich ein Ende setzte, doch er reagierte nicht. Ein erneuter Schrei entfuhr ihr, dann drehte sie sich um und stiefelte davon. Nach wenigen Schritten machte sie halt, setzte sich auf einen niedrigen Felsen und vergrub das Gesicht in ihren Händen.

      Kapitel 3

      Einige Augenblicke später setzte sich jemand neben sie. Aurelia zuckte erschrocken zusammen, als sie die Person neben sich bemerkte. Es war eine junge Frau mit langen, silbernen Haaren, einer Haut so hell wie Elfenbein und rubinroten Augen. Sie trug weiße, eng geschnittene Reisekleidung und dunkle Lederstiefel. Sie war die schönste Frau, die Aurelia jemals gesehen hatte.

      „Ich habe von der Tragödie um die Familie Nachtschatten gehört. Es tut mir leid was dir in jener Nacht widerfahren sein muss.“ Sie senkte den Blick und betrachtete ihre Hände und die gepflegten Nägel. „Wenn ich gewusst hätte, dass du Amelias Tochter bist, hätte ich dich vorhin nicht angegriffen. Auch darum bitte ich um Verzeihung.“

      Aurelia starrte die Frau fassungslos an. Für einen Moment war ihr Kummer und der Gram vergessen. „Wie...“ setzte sie an, doch die Frau winkte ab.

      „Die meisten Menschen wissen es nicht, aber wir Drachen können die Gestalt von Menschen annehmen. Das macht das Leben leichter.“ Sie lächelte breit. Es war ein warmes, ehrliches Lächeln und ließ ihr Gesicht noch schöner wirken.

      „Ich bin übrigens Lillith Blutauge.“ Sie reichte Aurelia die Hand.

      Irritiert ergriff Aurelia sie.

      „Nach dem letzten großen Krieg haben wir Drachen beschlossen, uns aus den Angelegenheiten der Menschen herauszuhalten. Wir leben nun weitestgehend zurückgezogen. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die jagt auf uns machen und unsere Köpfe als Trophäen und unsere Innereien und Krallen als Medizin verkaufen.“ Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Deswegen habe ich so ungehalten reagiert, als ich dich in meiner Höhle angetroffen habe. Es ist nicht leicht, gute Verstecke zu finden.“ Wieder lächelte sie. „Doch wie kommt es, dass die Tochter Amelia Algrims nachts in einem Drachenhort, beinahe von dem ansässigen Drachen gefressen wird?“

      Aurelia schmunzelte. Irgendetwas an Lilliths Art ließ sie ihren Kummer vergessen und die Welt weniger grau aussehen. Mit kurzen Worten schilderte Aurelia die Ereignisse, die sich seit jener Nacht vor zehn Jahren ereignet hatten. Lillith schien nicht sonderlich überrascht, als sie vom Tod Roderichs hörte. Interessiert lauschte sie Aurelia, als diese Norwins Worte wiedergab.

      Langsam nickte Lillith mit dem Kopf. „Dies ist also damals geschehen. Du musst wissen, dass ich früher häufig am Hofe des Königs zu Gast war. Ich kannte die königliche Familie recht gut und war sehr bestürzt, als ich von ihrem Tod erfuhr. Nach dem Gerüchte laut wurden, dass Roderich einen Hang zur dunklen Magie entwickelt haben sollte, bin ich nie wieder zurückgekehrt. Ich hielt es für zu gefährlich. Sich mit dunklen Zauberern einzulassen, ist niemals eine gute Idee.“

      Aurelia zog die Augenbrauen hoch und sah Lillith fragend an. „Ich dachte, ihr haltet euch aus den Angelegenheiten der Menschen heraus?“

      „Wir mischen uns nicht ein, nein. Aber es ist wichtig zu wissen, was in der Welt geschieht. Deswegen pflegen wir Kontakt zu den Führern der Länder. Dies gibt uns die Chance, Gefahren für unser Volk rechtzeitig abzuwenden.“

      „Was könnte einem Drachen denn gefährlich werden? Du hättest mich vorhin mit Leichtigkeit töten können. Ich hätte keine Chance gehabt.“

      Lillith zuckte mit den Schultern. „Jeder hat seine Schwächen. Wenn du den Schwachpunkt des anderen kennst, kannst du selbst den mächtigsten Gegner besiegen.“

      Aurelia schwieg und starrte auf den felsigen Boden. „Woher wusstest du, dass ich keine echte Nachtschatten bin?“

      Lillith lachte leise. „Du riecht nicht wie sie.“

      „Wie bitte?“

      „Ich bin ein Drache und nehme mehr von der Umwelt war, als du dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst.“ Sie musterte Aurelia aus ihren rotglühenden Augen. „Scheinbar hat man dich nie in die Familiengeschichte eingeweiht. Aber da du als eine von ihnen aufgezogen wurdest und Lorain dir das Herz geschenkt hat, finde ich, dass du ein Recht darauf hast es zu erfahren.“

      Aurelia schluckte eine bissige Bemerkung herunter. Es ärgerte sie, dass es ein weiteres Geheimnis um ihre Familie gab. Doch letztlich wollte sie die ganze Wahrheit erfahren.

      „Dieser Stein - das Drachenherz - welches du um deinen Hals trägst, ist das Herz von Ansgard Nachtschatten. Ich war noch ein junges Mädchen, als ich von ihm und seiner großen Liebe Thea hörte. Er war ein großer und mächtiger Drache. Während der wirren Zeiten des Krieges traf er auf Thea, eine junge hübsche Frau und eine sehr mächtige Zauberin, doch leider ein Mensch. Die Ältesten unseres Volkes hieß diese Verbindung nicht gut, aber er blieb Stur und setzte sich über alles und jeden hinweg. Gemeinsam kämpften sie Seite an Seite in der letzten Schlacht gegen den dunklen Herrscher. Die Dinge standen nicht gut und die Menschen drohten den Kampf zu verlieren. Thea wurde verwundet und Ansgard opferte sein Leben um sie zu schützen. Seine Lebensenergie entwich in einer gewaltigen Explosion und hinterließ den Krater in den öden Landen, welcher als Drachensturz bekannt ist. Dadurch rettete er Theas Leben und die Menschen gewannen die Schlacht. Ansgard hinterließ diesen Stein, sein Herz, welches Thea an ihre Tochter weitergab und diese an ihre und immer so weiter.“

      Aurelia sah sie verblüfft an. „Heißt das...?“

      „Die Familie der Nachtschatten trug Drachenblut in sich. Sie waren allesamt mächtige Zauberer.“

      Vor ihrem inneren Auge sah Aurelia wieder den Drachen aus reinem Feuer, der aus den Resten ihres Elternhauses emporstieg. Plötzlich ergab alles einen Sinn. „Dieser Drache aus Flammen...“, murmelte sie. „War es die Manifestation der magischen Kraft...?“

      „Deiner Großmutter. Ja“, beendete Lillith ihren Satz. „Sie war die Letzte in der Familie, in der das Drachenblut noch stark war. Gerüchten zufolge, hat es dieser Feuerdrache bis nach Ehrenthal geschafft.“

      Wortlos starrte Aurelia zu Boden und dachte an jene Nacht zurück. Es schien so unwirklich. Wie ein lang vergessener Traum und doch erinnerte sie der Schmerz in ihrer Seele daran, dass es wirklich geschehen war.

      „Norwin kannte Elmar und Lorain. Woher?“

      „Durch mich. Ich habe sie damals miteinander bekannt gemacht.“

      „Warum?“, wollte Aurelia wissen.

      „Aus keinem bestimmten Grund. Es hatte