Monika Kunze

Steh-auf-Frauchen


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an die Haustür geeilt. Zum Empfang, wie er es gern hatte.

      »Komm, mein Lieber, das Abendessen ist schon fertig«, versuchte sie jedes Wort zu vermeiden, das ihn hätte reizen können. Dabei zitterte auch sie innerlich wie Espenlaub.

      »Ich esse, wenn ich Hunger habe. Jetzt jedenfalls nicht. Wieso lauerst du mir hier eigentlich schon an der Haustür auf?«

      Das gefährliche Glitzern in seinen Augen kannte sie nur zu gut. Schnell wandte sie sich ab, lief die Treppe hinauf. Oben im Wohnzimmer saßen seine Schwestern und seine Mutter schon am festlich gedeckten Tisch und sahen ihm entgegen.

      »Komm, setz dich«, sagte die Mutter zaghaft, »die Würstchen werden sonst kalt … ich habe den Kartoffelsalat extra so gemacht, wie du ihn am liebsten hast, ohne Mayo …«

      »Was soll das werden? Eine Gerichtsverhandlung?«, fiel er seiner Mutter ins Wort. »Wieso sitzt ihr schon alle um den Tisch herum und glotzt mich so blöd an?«

      »Ach, komm Rolf, lass es gut sein! Was denn für eine Gerichtsverhandlung? Wir hatten uns nur schon hingesetzt, weil wir dich kommen gehört haben«, versuchte Renate, von den Familienmitgliedern, also auch von Rolf, als Respektsperson anerkannt, ihren Bruder zu beruhigen.

      Niemand sonst sprach ein Wort. Aber es half nichts, alles lief ab wie immer.

      Marlene kannte das schon zur Genüge. Was sie auch sagte, war falsch. Und wenn sie gar nichts sagte, dann war auch das falsch. Sie versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, aber dann war ihr doch ungewollt ein kleiner Schluchzer entwichen. Außerdem musste sie sich unbedingt die Nase putzen.

      »Ach, wieder einmal Tränchen«, höhnte Rolf.

      Er fuchtelte ihr mit dem Taschentuch, das er ihr aus der Hand gerissen hatte, vor dem Gesicht herum, und jedes Mal, wenn sie zugreifen wollte, dann zog er es mit einem boshaften Grinsen wieder weg.

      Nun konnte Marlene nicht mehr an sich halten. Es war jetzt auch für die anderen deutlich zu hören, dass sie weinte. Sie konnte es nicht mehr verheimlichen.

      »Also, was wird denn das nun hier? Du bist jetzt mal ganz still, du Heulsuse – und ihr anderen trampelt mir bloß nicht auf den Nerven herum. Und Du oller Schreihals, sei endlich still!«

      Bei seinen letzten Worten hatte er sich zu Karsten umgewandt, dessen leises Wimmern zu Geschrei angeschwollen, immer lauter geworden war.

      »Kannst ja noch nicht mal Papa sagen, du Heulboje!«, brüllte Rolf plötzlich los, schubste die Stühle um, dass es heftig polterte, riss den Kleinen seiner Großmutter vom Schoß, schwenkte ihn hoch über seinen Kopf – und warf ihn seiner Frau vor die Füße.

      »Da hast du dein Balg, kannst ja mit ihm verschwinden!«

      Angesichts dieser Szene reagierten alle unterschiedlich.

      Marlene war starr vor Schreck, hob erst Sekunden später ihren Karsten vom Boden auf und schaukelte ihn, leise und beruhigend auf ihn einredend.

      Marion beschimpfte ihren Bruder. Ilona greinte, dass doch nun alle endlich vernünftig sein sollten. Renate, die Respektsperson, war erschrocken aufgesprungen, als sie die Mutter sah, die schreiend und mit erhobenen Fäusten (Vergeh dich nicht an deinem eigenen Kinde!) auf ihren Sohn zustürzte. Die beiden jüngeren Schwestern kamen der Großen zu Hilfe. Sie konnten ihre Mutter erst in letzter Minute daran hindern, wild auf ihren Sohn einzuschlagen.

      Dieses Szenario hatte neben all dem Schrecklichen auch etwas Groteskes gehabt, denn Rolf überragte seine Mutter um mehr als zwei Haupteslängen.

      *

      Ja, spätestens damals hätte sie sich von diesem ihrem ersten Mann trennen müssen, das war ihr längst klar geworden.

      Aber sie hatte gezögert und gezögert, bis es wieder zu spät war.

      Irgendwann war ihr wieder dieses seitlich Ziehen in den Brüsten aufgefallen. Ihre Regel war auch ausgeblieben. Untrügliche Zeichen für eine erneute Schwangerschaft. Ein paar Tage später hatte der Frauenarzt ihre Vermutung bestätigt.

      Wieder hatte Marlene den eindringlichen Worten ihres Mannes geglaubt, als er sie inständig bat: »Bleib bei mir, ich werde mich ändern! Jetzt, wo wir ein zweites Kind bekommen, kannst du mich doch nicht verlassen!«

      Sie war geblieben. Jahrelang.

      Lediglich der Einberufungsbefehl hatte etwas Erleichterung für alle gebracht. So konnte wenigstens die kleine Birgit in ihren ersten beiden Lebensjahren ohne Geschrei und Angst, ohne Prügelszenen aufwachsen.

      Nur Karsten zeigte auffällig oft, dass er sein kleines Schwesterchen absolut nicht ausstehen konnte. Seine Eifersucht nahm ein Ausmaß an, das Marlene Angst machte. Als sie sich einmal beim Wickeln der Kleinen umgedreht hatte, um eine schmutzige Windel in den Eimer zu tun, nutzte der kleine Junge die Gelegenheit, seine ungeliebte Schwester vom Tisch zu schubsen. Seine Worte: »Die Ziege lacht bloß immer, die soll auch mal weinen!«, würde Marlene nie vergessen. Doch am allermeisten machte sie sich selbst Vorwürfe. Sie hätte als Mutter besser aufpassen müssen. Auf ihren Sohn und ihre Tochter!

      14. Beim nächsten Mann …

      So deutlich, als sei das alles erst vor Kurzem passiert, sah Marlene diese Bilder nun hier, einige Jahre später, im Krankenhaus wieder vor sich.

      Sie wollte, nein, sie musste unbedingt nach Hause. In Blocksdorf gab es einen Jungen, ihren Erstgeborenen, der brauchte sie jetzt bestimmt dringender denn je.

      Auch ihr Sonnenschein, die kleine Birgit, sollte sich erst gar nicht im viel zu weit entfernten Erzgebirge einleben – und ihr Jüngster, Alex, nicht im Spreewald.

      Die Bilder aus der Vergangenheit hatten es ihr wieder einmal vor Augen geführt: Jürgen, Karsten, Birgit, Alex und sie gehörten zusammen! Trotz aller Klagebriefe über die Schwierigkeiten, die Karsten seinem Stiefvater offenbar machte. Marlene wollte nun ihre gesamte Familie nach den vielen Wochen der Trennung endlich wieder um sich haben.

      Wenn sie sich nur richtig Mühe gab, würde es ihr schon gelingen, eine richtig intakte Familie hinzubekommen. Auch Birgit, Karsten und Jürgen würden sich mit der Zeit schon zusammenraufen. Sie jedenfalls war fest entschlossen, alles dafür zu tun. Denn in einem Winkel ihres Herzens konnte sie die Klagen ihres Ehemannes sogar verstehen: Er war einfach zu jung – und demnach mit den Aufgaben in einer Familie mit drei Kindern total überfordert.

      Als Jürgen Marlene damals, nach vierzehn Tagen Bekanntschaft, ernsthaft gebeten hatte, seine Frau zu werden, hatte sie das zunächst für einen schlechten Scherz gehalten. Aber jeden Tag merkte sie mehr, dass ihm wirklich etwas an ihr lag. Sie verstanden sich prächtig, konnten über dieselben Dinge lachen oder sich ärgern – und vor allem: Er war unglaublich gut zu ihren Kindern.

      Ganze sieben Jahre hatte ihre erste Ehe gedauert. Erst danach war Marlene in der Lage gewesen, sich von ihrem Mann Rolf scheiden zu lassen.

      Zugegeben, es hatte viel Mut und Kraft gekostet, heimlich die Scheidung einzureichen. Die ängstliche Frage, wie er wohl darauf reagieren würde, hatte noch einmal viele schlaflose Nächte mit sich gebracht. Doch dann beichtete er ihr bei einem seiner Besuche, dass er sich schon zu Beginn seiner Armeezeit in eine andere Frau verliebt habe. Marlene war ein Stein vom Herzen gefallen, denn so blieb der von ihr so gefürchtete Wutanfall aus.

      Mit Jürgen sollte alles ganz anders werden. Sie hatten es einander geschworen. Sie verspürten von ihrer ersten Begegnung an so einen wunderbaren Magnetismus, der sie zueinander hinzog. Das musste einfach Liebe sein.

      Nach zehn Wochen Bekanntschaft hatten sie geheiratet, die Braut diesmal mit Blumen und in einem wunderschönen, hellblauen Spitzenkleid, der Bräutigam in hellem Anzug. Aber allein waren sie auch diesmal im Standesamt, ohne Eltern und sonstige Hochzeitsgäste. Einen Kommentar gab die Standesbeamtin bei dieser Hochzeit nicht ab. Es war dieselbe, die Marlene und Rolf damals widerwillig getraut hatte.

      Jürgens Mutter war außer sich gewesen, als sie erfuhr, dass ihr einziger Sohn eine